„Rücksetzer“ nennt es der Profi, wenn die Zahlen mal vorübergehend nicht so gut aussehen, aber der Glaube an die gute Zukunft intakt ist. An den Börsen ist das dann eine Einstiegsgelegenheit.
Nach den neuesten Zahlen zur deutschen Wirtschaftsleistung haben jetzt viele das Wort aus der Schublade geholt: Das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal leicht um 0,2 Prozent geschrumpft. Die Experten hatten schon aufgrund von Wetter- und Kalendereinflüssen eine leichte Wachstumsabschwächung erwartet, das kleine Minuszeichen kam dann aber doch etwas überraschend. Zumal die Folgen der eskalierten Ukraine-Krise und der künftigen Sanktionen im Russland-Handel in diesen Daten noch gar nicht enthalten sind.
Schaut man nur auf Deutschland, dann lässt sich der BIP-Rückgang leicht relativieren. Hohe Beschäftigung und steigende Löhne stützen ja die Kaufkraft, historische Niedrigstzinsen helfen Investoren und Bauherren. „Made in Germany“ strahlt rund um den Globus und die Berliner GroKo gibt sich beste Mühe, die weltmeisterliche Stimmung im Land nicht zu verderben. Buchen wir das Minus also unter „Rücksetzer“.
Aufschwung in Europa ist gefährdet
Das Problem ist allerdings, dass der kleine deutsche Knick sich in ein größeres europäisches Muster einfügt. Auch im hoch verschuldeten Italien schrumpft die Wirtschaft, und zwar in einem wesentlich ungemütlicheren Umfeld. Das Minus im zweiten Quartal bedeutet dort den dritten Rezessionsanfall hintereinander, der eigentlich angekündigte Wende zum Besseren ist wieder einmal ausgeblieben. In Frankreich stagnierte das BIP im Frühjahr, auch dort ist der erwartete Aufschwung erst einmal wieder abgesagt.
Rechnet man Deutschland, Frankreich und Italien zusammen, dann machen sie rund zwei Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung in der Euro-Zone aus. Nur weil die Länder in der Peripherie sich wieder etwas erholen, ergab sich zuletzt für das Euro-BIP kein Minus, sondern nur eine Stagnation.
Der eigentlich von allen Seiten – und vor allem von der Wirtschaftspolitik - eingepreiste Aufschwung in Europa ist also akut gefährdet. Wenn die Schwergewichte Frankreich und Italien weiter in der Krise verharren und dazu noch unvorhergesehene Schocks à la Ukraine kommen, dann trifft das auch Deutschland.
Deutschland muss über neue Impulse nachdenken
Der bisherige politische Plan sah – vereinfacht gesagt - so aus: Nachdem die Peripherie ihre Rosskur schon fast hinter sich hat, starten auch Frankreich und Italien eine Reformoffensive. Die EZB signalisiert klar, dass sie einer Deflationsgefahr mit sämtlichen denkbaren Mitteln begegnen wird - wartet im Übrigen aber erst einmal ab. Die Deutschen wachen über die Stabilitätskultur in Europa, genießen ihren Aufschwung und ziehen durch ihre steigende Nachfrage auch die anderen ein wenig mit (was natürlich eine recht bequeme Rolle ist). Die drückenden Probleme Europas, hohe Arbeitslosigkeit und hohe Schulden, lösen sich so langsam aber sicher auf.
Es wird Zeit, diesen Plan zumindest einmal zu aktualisieren. Und zwar nicht nur in Rom, Paris und bei der EZB in Frankfurt. Auch die deutsche Regierung muss in den nächsten Wochen dringend darüber nachdenken, welche zusätzlichen Impulse sie selbst denn setzen könnte. Und wie denn ein Plan B für den konjunkturellen Notfall aussähe.
Die Deutschen haben sich in den Zeiten der GroKo daran gewöhnt, dass sie in Europa gleichsam auf einer Insel der Seligen leben, wo sie Reformdividenden verfrühstücken und nebenher den anderen strengste Ratschläge erteilen können. Die neuen BIP-Zahlen erinnern daran, dass diese glückliche Phase nicht ewig dauern wird. Der jüngste „Rücksetzer“ im Kern der Währungsunion kann sich zu einem herben Rückschlag auswachsen.