Am 24. Februar jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine zum zweiten Mal. Die Auswirkungen treffen Deutschland seither vor allem finanziell: Zwei Wirtschaftsinstitute haben nun Zahlen veröffentlicht, wie viel die Folgen des Ukraine-Krieges den Bund in den vergangenen zwei Jahren gekostet haben. Doch die Zahlen haben ihre Tücken.
Marcel Fratzscher, Chef des arbeitnehmernahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), spricht gegenüber der „Rheinischen Post“ von deutlich mehr als 200 Mrd. Euro. Vor allem die hohen Energiekosten haben das Wachstum in Deutschland im Jahr 2022 um 2,5 Prozentpunkte reduziert, was 100 Mrd. Euro entspreche, so Fratzscher. Von 2023 bis heute sei es eine ähnliche Größenordnung.
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht in einer detaillierteren Untersuchung von 240 Mrd. Euro aus, die Deutschlands Wirtschaft der Krieg bisher gekostet hat. „Während die Ausfälle im Jahr 2022 bei rund 100 Milliarden Euro liegen, stiegen sie im Jahr 2023 wieder auf gut 140 Milliarden Euro an“, so IW-Experte Michael Grömling. Das entspricht Einbußen beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von knapp 3 Prozent (2022) und gut 4 Prozent (2023). Allerdings rechnet er in diese Summe auch die Folgen der Coronapandemie in den Jahren 2022 und 2023 ein. Im vierten Quartal 2023 kommt außerdem der Gaza-Krieg hinzu.
Welche Kosten sind dafür genau in die IW-Modellrechnung eingeflossen? Die gesamte Palette der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, so Grömling zu Capital. Um die Produktions- und Wohlstandsausfälle zu überschlagen, bezog er sämtliche Daten des Statistischen Bundesamtes zu Inflation sowie den daraus resultierenden ausfallenden Konsumausgaben und Investitionen bis zum Januar dieses Jahres ein. Auch die Rückgänge beim Außenhandel veranschlagte Grömling. „Wir haben es alle erlebt, als die Inflationsrate zeitweise bei 10 Prozent lag. Das sind immense Kaufkraftverluste, die damit einhergehen und die letztlich zu einer anhaltenden Konsumschwäche seit zwei Jahren beigetragen haben“, sagt Grömling. Besonders die Energiekrise und höhere Strom- und Gaskosten ließen die Preise steigen.
Um die Kosten zu berechnen, erstellten die Ökonomen eine modellierte Welt, in der die Belastungen der vergangenen Jahre auszublenden versucht – und so tut, als wäre die wirtschaftliche Dynamik der Vorkrisenzeit ohne Probleme weitergelaufen. Aus der Differenz des realen Wirtschaftsverlaufs und diesem „kontrafaktischen“ Verlauf ergibt sich letztlich die Summe der gesamtwirtschaftlichen Einbußen. Das hat zufolge, dass nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern auch andere Einflüsse auf die Wirtschaft wie der Krieg in Gaza oder Nachwirkungen durch die Corona-Pandemie mit einbezogen werden.
2023 schlagen Ausfälle voll zu
Dass die kriegsbedingten Ausfälle im Jahr 2023 mit 140 Mrd. Euro noch einmal höher waren als 2022 (100 Mrd. Euro), erklärt Grömling so: Im zweiten Jahr des Krieges schlugen die Ausfälle voll durch. Der Anstieg sei neben den weiter zurückgefahrenen Konsumausgaben vor allem mit den erheblich höheren Produktionskosten aufseiten der Unternehmen zu begründen – und den damit einhergehenden Wettbewerbsverlusten.
„Die geopolitisch bedingten Versorgungsrisiken mit Energie und Vorleistungen verursachen zusätzliche Kostenschocks“, analysiert Grömling. Eine Rolle spielten auch die 2022 erlassenen Russland-Sanktionen, die zahlreiche deutsche Firmen betreffen. Neue Handelsbeschränkungen trafen auf Lieferketten, die wegen der Pandemie ohnehin noch gestört waren. „Die Lage im Nahen Osten und die Auswirkungen auf den globalen Schiffsverkehr verstärken seit dem Herbst 2023 diese Effekte“, analysiert Grömling.
Die immense Abschwächung der Weltwirtschaft habe dazu geführt, dass das Exportgeschäft deutlich gebremst worden sei. Als Exportnation trifft es Deutschland besonders hart, wenn hiesige Firmen ihre Produkte schlechter ins Ausland verkauft bekommen.
Schlechte Konjunkturaussichten
Die IW-Berechnung ist lediglich eine Annährung an die tatsächlichen Kosten, dennoch spiegelt sie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre wider – und erklärt die derzeit schwierige Lage: Erst diese Woche stellte die Bundesregierung ihren Jahreswirtschaftsbericht vor, in dem sie mit einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent für 2024 rechnet. Als Grund nannte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unter anderem den schwachen Welthandel, der die exportstarke deutsche Wirtschaft belaste.
Auch die von russischem Gas übermäßig abhängige energieintensive Industrie ist demnach ein Grund für die schlechten Konjunkturaussichten. Gas und andere Energieträger hatten sich im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und infolge der Abkehr von Energielieferungen aus Russland drastisch verteuert. Der Staat versuchte mit Preisbremsen gegenzusteuern und so privaten Haushalten zu helfen. Ende 2023 beschloss die Regierung zudem die Entlastung von Unternehmen, die viel Energie verbrauchen, durch einen Industriestrompreis.