Die Marke setzte neue Standards in den Küchen dieser Welt, wurde zum Kult. Weit davon entfernt, nur banale bunte Plastikschüsseln zu verkaufen, verband Tupperware seine 77-jährige Geschichte stets mit dem Versprechen höchster Qualität. Wenn ein Vorratsklassiker sich in den Schränken stapelt, der sich „Eidgenosse“ nennt – einer der Verkaufsschlager – so steht dahinter vielleicht wirklich ein Eid. Ein Eid, so platzsparend wie keiner für Ordnung und Übersicht zu sorgen. Vollends zur Ikone wurden die amerikanischen Produkte schließlich über revolutionäre Tupper-Partys.
Nun zeigt sich, dass im digitalen Zeitalter – und einer Pandemie – manch Gestriges dann doch zur Last wird. Es wird eng um den Hersteller von Haushaltswaren, die heute von luftdicht verschließbaren Aufbewahrungsboxen über Schnitzelwerken bis hin zu Minigrills reichen. Der Alarmruf aus der Konzernzentrale im sonnigen Orlando, Florida, hat es in sich: Ohne neue Geldquelle sei der Geschäftsbetrieb finanziell nicht mehr tragfähig. Bis sich womöglich eine Lösung abzeichnet, seien Kündigungen nicht ausgeschlossen. Außerdem sollen Immobilien veräußert werden.
Was sich hier abspielt, ist indes ein Niedergang mit Ansage: Schon im November wurde mit den Quartalsergebnisse deutlich, wie knapp bei Kasse das Unternehmen war. Man gehe proaktiv auf die Banken zu für mehr Flexibilität, hieß es da, während das Geschäft entsprechend den Umsatztrends zurechtgestutzt werden sollte. Tupperware habe schon die erste Covid-Delle 2020 mit 150 Mio. Dollar Einsparungen überstanden, forthin sollten weitere 100 Mio. Dollar folgen – über drei Jahre, so die Finanzvorständin.
Dem Kursrutsch um 40 Prozent im Herbst folgte Anfang der Woche nun der nächste – mal eben um knapp 50 Prozent brachen die Papiere ein. Auf ein Jahr gerechnet verloren sie damit 90 Prozent ihres Wertes. Ob damit die Geschichte des versuchten Turnarounds zu Ende ist, mit dem Tupperware die Marke neu erfinden wollte: Unklar.
Tragende Säule: Tupper-Party
Im Zentrum jeder Neuausrichtung müsste zwangsläufig das ureigene Verkaufsmodell stehen, das Brownie Wise, die legendäre ehemalige Chefin, erfunden und im aufstrebenden Nachkriegsamerika zum gewinnbringenden Verkaufsschlager ausgerollt hat: Die Partys in privaten Wohnzimmern und Küchen, gemeinsam organisiert von Profi-Vertreterinnen und gastgebenden Schnäppchenjägerinnen – und perfekt geeignet zum Vorführen der Küchenvielfalt.
Noch im Jahr 2020 zählte der Konzern nach eigenen Angaben weltweit eine Verkäuferschar von etwa 3 Millionen, davon rund 20 Prozent hauptberuflicher Natur. Doch ob das in den 1950er Jahren etablierte und über Jahrzehnte perfektionierte System einer auf Provision arbeitenden Akquise-Armee in direktem Kontakt zum Kunden noch zeitgemäß ist, ließ der 2021 ausgerufene Dreijahresplan zum Turnaround im Kern ohne Antwort.
Die Coronapandemie und ihre Kontaktbeschränkungen verschlossen dem Geschäftsmodell viele Türen. Wohl reagierte die Konzernführung fix und baute eine digitale Handelsplattform sowie Kanäle für virtuelle Treffen auf. Dies und der Trend, im Lockdown mehr zuhause zu kochen, gaben Tupperware wieder Auftrieb. Allein im dritten Quartal 2020 wies das Ergebnis ein sattes Plus von 180 Prozent zum Vorjahr aus. Doch blieb die begonnene digitale Wende unvollendet: Erst jüngst hieß es aus dem Unternehmen, rund 80 Prozent der Einnahmen würden weiter über „direkte Vertriebskanäle“ erlöst.
Sollten darunter auch einstellige Prozente des direkten Online-Handels sein, so bleibt die ikonische Tupper-Party doch die tragende Säule – jedoch bei schwindenden Umsätzen. Nach dem vorläufigen Geschäftsbericht erlöste Tupperware Brands 2022 18 Prozent weniger als im Vorjahr. 1,3 Mrd. Dollar Umsatz erbrachten 124 Mio. Dollar Gewinn (EBITDA). Doch vor allem in Europa wurden mit 434 Mio. Dollar ganze 31 Prozent weniger umgesetzt, in Asien – einem heute fast gleichgroßen Markt wie Nordamerika – gaben Kunden 461 Mio. Dollar aus: knapp ein Viertel weniger als im Jahr davor.
Turnaround halbherzig
Der Turnaround setzt darauf, vor allem mehr Wachstum zu generieren und Liquiditätspolster anzulegen. Verbindlichkeiten sollten gestundet werden, offensichtlich hat die Konzernführung aber nicht ausreichend gut gewirtschaftet. Nur einige Kosmetik-Töchter wurden verkauft. Das Kerngeschäft, so die Idee, sollte – weniger vertriebsgetrieben – den modernen Verbraucher bei seinen Kaufgewohnheiten abholen. Es galt, „in entscheidendem Maße“ auch jüngere und finanzstärkere Kunden zu erreichen, die nie zu einer Tupper-Party gehen würden, so eine ehemalige Finanzvorständin, „und sie in unser Ökosystem zu holen“.
Doch die Umsetzung einer verbreiterten Vertriebskultur erfolgte spät und schleppend. Obwohl schon im Frühjahr 2020 eine neue Führung die Diversifizierung der Kanäle vorantreiben sollte, dauerte es bis Mitte 2022, dass Online-Shopper die farbenfrohen Küchenboxen auch über die dominierende Handelsplattform Amazon erstehen konnten. Als zusätzliches Element einer Omni-Channel-Strategie sollten Produkte – zwischen 7,99 und 79,99 Dollar – bis Ende 2022 in allen Filialen der Einzelhandelskette Target verfügbar sein, dem zweitgrößten US-Discounter nach Walmart, sowie über deren digitale Kanäle.
Dieser Ausflug in den stationären Handel habe alle Erwartungen übertroffen, erklärte noch im März Miguel Fernandez, Präsident und CEO von Tupperware Brands. Sinnigerweise hatte Brownie Wise die von Gründer Earl Tupper 1947 erfundene Vorratsschüssel in einem Kaufhaus entdeckt, und für ihren wegweisenden, neuartigen Direktvertrieb auserwählt. Und so sprach Fernandez zugleich optimistisch von einer „post-pandemischen Phase“, in der das Kerngeschäft der Direktvermarktung wieder von regem Zulauf profitieren werde – besonders in China. Deshalb werde man einstellen – und die nächste Generation von „Business Buildern“ oder Vollzeitvertretern trainieren.
Nicht alle Probleme hausgemacht
Zu den strukturellen Hürden kamen derweil weitere – teils ebenfalls hausgemachte – Probleme hinzu. In einem Netz von 70 Vertriebsländern ist eines davon ein technologisches. Analysten kritisieren Mängel in der Digitalisierung interner Geschäftsprozesse. So räumte eine Finanzvorständin vor einem Jahr ein, dass ein Großteil des Geschäfts sich noch auf gedrucktes Papier und Kataloge zum Anfassen verlasse, die in vielen Märkten nur wenige Male pro Jahr erneuert würden. Das nehme viel Tempo aus Veränderungsprozessen. Vor allem in dem zuletzt instabilen Umfeld einer nicht nur in den USA auf ein 40 Jahreshoch gestiegenen US-Inflation verengt dies nicht unwesentlich den Spielraum der Preisgestaltung.
Bis vergangenen November hatte Tupperware die Preise inflationsbedingt um elf Prozent erhöht. Das wirkte sich spürbar dämpfend nicht nur im Nordamerika-Geschäft aus, das 2022 ebenfalls zurückging. Auch in Europa dürfte die Kauflaune vor allem aufgrund steigender Lebenshaltungskosten und unter dem Eindruck des Ukrainekriegs nachgelassen haben.
Während dort Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht sukzessive fielen, waren es auf dem asiatischen Markt vor allem noch Pandemie-Ausläufer, die das Geschäft vermasselten. Besonders in China, wo vor der abrupten Lockerung der rigiden Anti-Corona-Maßnahmen Millionen Verbraucher zurückgezogen leben mussten, brach die Zahl der aktiven Direktverkäufer rapide ein – um mehr als 30 Prozent.
Hat Tupperware eine Zukunft?
Ob Tupperware Bankrott erklären muss, wird sich auch daran entscheiden, ob es Unregelmäßigkeiten in vergangenen Geschäftsberichten aufklären kann. Die Konzernführung blieb den Jahresbericht schuldig und verhandelt mit der Börsenaufsicht. Anleger wurden im März mit der Ankündigung überrascht, dass das vierte Quartal 2022 Verluste bringe, statt Gewinne. Die Schulden werden mit 705 Mio. Dollar angegeben.
Doch fragen US-Analysten vor allem danach, was das Unternehmen für (alte oder) neue Geldgeber außer der ikonischen Marke an „Assets“ zu bieten habe. Das Markenversprechen, die Haushaltsführung mit zuverlässigen, praktischen und langlebigen Produkten zu erleichtern, stößt bei reger internationaler Konkurrenz an Grenzen – trotz der 8500 für Funktionen und Design angemeldeten Patente.
Und zuletzt meldeten Branchenkenner auch Zweifel an der Innovationsfähigkeit des Traditionsunternehmens an. Tupperware sei längst nicht mehr ganz vorne dabei, wenn es um Produktneuheiten gehe. Auch das Standbein der Nachhaltigkeit mit Tupper-Schüsseln als besserer Alternative zu Wegwerfbehältern tauge kaum noch als Alleinstellungsmerkmal.
Bei einem Umsatz, der vor zehn Jahren noch fast doppelt so hoch lag, und einer Zahl der voll-aktiven Tupperware-Berater, die vor fünf Jahren noch doppelt so hoch lag, stellt sich aber die Frage, ob ein dreijähriger Turnaround-Plan noch ausreicht, um die Zukunft zu sichern. Oder ob das Direktvertriebsmodell diesen Härtetest überhaupt bestehen kann.