Studenten oder Berufsanfänger ziehen mitunter zurück zu den Eltern, wenn das Geld nicht für eine eigene Wohnung reicht. Für die Notenbankchefin eines Landes mit einem BIP von 819 Mrd. US-Dollar ist so ein Schritt eher ungewöhnlich. Die Präsidentin der türkischen Zentralbank Hafize Gaye Erkan sah sich dennoch dazu gezwungen: Wegen der stark steigenden Mieten in Istanbul gab sie vor wenigen Wochen ihre eigene Wohnung auf und zog mit ihrer Familie wieder ins Elternhaus.
Am Freitag verkündete sie dann ihren Rücktritt als Notenbankchefin. Ihr wird Vetternwirtschaft vorgeworfen, Erkan sieht sich selbst als Opfer einer Rufmordkampagne. Zuletzt hatte sie die Leitzinsen in der Türkei massiv angehoben, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Seit ihrem Amtsantritt im Juni 2023 stiegen die Leitzinsen von 8,5 auf 45 Prozent.
Der Inflation konnte sie so nicht Herr werden – wohl auch einer der Gründe für ihren Rücktritt. Präsident Recep Tayyip Erdogan soll es außerdem nicht gefallen haben, dass Erkan die hohen Mieten in Istanbul zum Thema gemacht hat.
Unklar ist, was an dem Korruptionsverdacht dran ist. Laut türkischen Medien gibt es Hinweise auf Vetternwirtschaft. Erkans Vater soll von der Zentralbank Büroräume, Bodyguards und ein Auto erhalten haben. Erkan bezeichnete dies als „Anschuldigungen ohne jegliche Grundlage“.
Lohnerhöhungen, schwache Lira, teure Importe
Ihr Nachfolger Fatih Karahan steht vor großen Herausforderungen: Im Januar lag die Inflationsrate bei 64,9 Prozent. Die Zahlen gibt das türkische Statistikamt Turkstat heraus. Ob sie stimmen, wird schon seit Jahren angezweifelt. Als Vergleichswert lassen sich die Berechnungen der Handelskammer Istanbul heranziehen: Sie geht von einer tatsächlichen Inflationsrate von 129,1 Prozent im Januar aus.
Einer der Gründe: Erdogan hebt seit Jahren den Mindestlohn an, um die Bevölkerung auf seiner Seite zu halten. Erst zu Jahresbeginn wurde die Gehälter wieder um knapp 50 Prozent erhöht. Die Folge ist die aktuell zu beobachtende massive Inflation. Außerdem: Die Landeswährung Lira ist aktuell sehr schwach. Der Wechselkurs zum Dollar beträgt 1 zu 30. Das macht Urlaub in der Türkei billig, lässt die Verbraucherpreise für Einheimische aber steigen. Importe aus dem Ausland werden teurer. Es handelt sich also um eine importierte Inflation.
Wie geht es weiter
Was ist nun zu erwarten? Erdogan war mit Erkan auf einer Linie, was die Geldpolitik angeht. Ihr Rücktritt diente wohl eher dem Schutz seiner Beliebtheit und den Zustimmungswerten der Regierungspartei AKP. Von Erkans Nachfolger Karahan ist zu erwarten, dass er den Kurs der hohen Leitzinsen weiterverfolgt. Finanzminister Mehmet Simsek hatte in den letzten Tagen bereits bekanntgegeben, dass die aktuelle Wirtschaftspolitik fortgesetzt wird.
Sie zeigte Wirkung: Das Hoch der Inflation wurde 2022 mit einer Rate von 85 Prozent erreicht. Nachfolger Karahan hat mit Erkan einiges gemein: Wie die 44-Jährige begann seine Karriere in den USA. Er wurde bei Amazon Chefökonom und arbeitete ein Jahrzehnt bei der New Yorker Zweigstelle der amerikanischen Notenbank Federal Reserve.