Gastkommentar Die USA vor vier Jahren Stillstand

Kurzfristig unsicher, langfristig trübe: Sal.-Oppenheim-Volkswirt Moryson über die ökonomischen Perspektiven nach Trumps Wahlsieg
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Marin Moryson ist Chefvolkswirt der Bank Sal. Oppenheim

Mit Donald Trump wird ein völlig unerfahrener Polit-Neuling und Globalisierungsgegner das wichtigste politische Amt der westlichen Welt antreten. Damit trüben sich die wirtschaftlichen Aussichten für die kommenden Jahre ein. Der weltweite Trend weg von der Globalisierung hin zur Renationalisierung ist nicht mehr aufzuhalten.

Hinzu kommt, dass beide Kammern des Kongresses (Senat und Repräsentantenhaus) in der Hand der Republikaner bleiben. Damit wird Trump auch durch die Besetzung des freien Richterpostens die Mehrheitsverhältnisse am Obersten Gerichtshof zugunsten der Republikaner ändern. Eine solche Machtkonzentration haben die USA schon lange nicht mehr gesehen. Zudem wird dieser Wahlsieg Trumps Position innerhalb der völlig zerrissenen republikanischen Partei stärken.

Trotzdem wird er nicht frei schalten und walten können. In den USA fühlen sich die Abgeordneten des Repräsentantenhauses und noch mehr die Senatoren dem Wohl ihres Wahlkreises beziehungsweise ihres Bundestaates verpflichtet und weniger der Partei. Daher wird Trump sich auch nicht auf die Parteiräson berufen können, wenn er Gesetze durch den Kongress bringen will. Den Realitätstest müssen die Vorhaben des neuen Präsidenten erst noch bestehen. Jedoch: Für die meisten davon sieht es unserer Meinung nach nicht so aus, als könnten sie ihn bestehen.

Wirtschaftspolitisch sind vor allem drei Bereiche aus Trumps Wahlkampf relevant: die Steuer- und Haushaltspolitik, die Handelspolitik und der Umgang mit illegalen Arbeitsmigranten. Was wird er umsetzen können und welche Folgen für die Wirtschaft ergeben sich daraus?

Steuer- und Finanzpolitik

Trumps ursprüngliche Haushalts- und vor allem Steuerpläne sahen massive Steuererleichterungen und -vereinfachungen vor. Einige Maßnahmen würden dem komplizierten Steuerrecht in den USA tatsächlich gut tun; insbesondere die hohe Besteuerung von Unternehmen wird auch von der OECD kritisch beurteilt. Allerdings musste Donald Trump bereits während des Wahlkampfes seine Steuer- und Haushaltspläne mehrfach revidieren, da die Steuerausfälle nicht verkraftbar gewesen wären. Die Pläne sehen eine radikale Vereinfachung der Einkommensteuer vor. Der Spitzensteuersatz soll von derzeit knapp 40 Prozent auf 30 Prozent sinken. Außerdem will Trump zahlreiche Abzugsmöglichkeiten abschaffen und großzügige Freibeträge einräumen.

Ironischerweise kämen diese Steuererleichterungen fast ausschließlich Reichen zugute, während die Unter- und Mittelschicht – Trumps Wählerklientel – kaum profitieren würde. Zudem gehen von der Umverteilung vom Staat beziehungsweise den Armen hin zu den Reichen eher negative Wachstumsimpulse aus, weil der Staat beziehungsweise ärmere Schichten einen größeren Teil ihrer Einnahmen wieder ausgeben als reichere.

Neben einer Absenkung der Körperschaftssteuersatzes von 35 Prozent auf 15 Prozent sollen Unternehmen die Möglichkeiten erhalten, im Ausland akkumulierte Gewinne zu einem Steuersatz von 10 Prozent zu repatriieren – auch das ein an und für sich sinnvolles Vorhaben. Allerdings sind die Aussichten für eine Umsetzung dieser Reformvorhaben nicht besonders gut: Nach Berechnungen des Tax Policy Centers würde die jährliche Neuverschuldung (gemessen am BIP) von derzeit 4,5 Prozent auf 7,5 Prozent pro Jahr steigen. Das ist eine für Republikaner kaum vorstellbare Größenordnung. Die Chancen, dieses Vorhaben durch den Kongress zu bringen, sind daher begrenzt – auch wenn er komplett in republikanischer Hand ist. Schließlich stehen die Republikaner einer Neuverschuldung eher kritisch gegenüber und belastbare Planungen für Ausgabenkürzungen im notwendigen Umfang existieren bisher nicht.

Außenhandel

Die USA werden ab Januar 2017 einen Präsidenten haben, der mit einem ausgemachten Antiglobalisierungsprogramm in den Wahlkampf gezogen ist. Er will einen Strafzoll in Höhe von 45 Prozent auf chinesische Waren und von 35 Prozent auf mexikanische Importe (ohne Öl) erheben. Diese Maßnahmen kann er zunächst einmal auch ohne die Zustimmung des Kongresses umsetzen. Die US-Importe aus China belaufen sich auf rund 500 Mrd. Dollar; weitere 300 Mrd. Dollar stammen aus Mexiko, das entspricht rund 35 Prozent der US-Importe. Allein Strafzölle für diese beiden Länder würden die US-amerikanischen Importe um rund 15 Prozent verteuern, die US-Inflation würde um rund drei Prozentpunkte steigen.

Auch wenn diese Maßnahme zunächst einmal auf ein Jahr beschränkt wäre, würde sie massive Auswirkungen auf die Verfassung der Weltwirtschaft haben. Der protektionistische Reigen ist um eine gewichtige Stimme reicher geworden. Das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ist faktisch tot, die Ratifizierung des transpazifischen Abkommen TPP dürfte ebenfalls scheitern und im Wahlkampf hatte Trump angekündigt, auch das nordamerikanische Abkommen mit Kanada und Mexiko nachzuverhandeln.

Vor diesem Hintergrund revidieren wir unsere Wachstumsprognose für China auf 5,9 Prozent nach unten. Die Risiken für einen Handelskrieg sind deutlich gestiegen. Auch für viele andere Emerging Markets verschlechtern sich die Aussichten. Aber auch umgekehrte Effekte sollten nicht unterschätzt werden. So könnte China drohen, den Export Seltener Erden zu beschränken.

Illegale Zuwanderung und Beschäftigung

Ein Kernelement von Trumps Wahlkampf waren die illegalen Zuwanderer. Insofern gehen wir davon aus dass er die geplante Abschiebung von Ausländern mit Nachdruck angehen wird. Es wird logistisch, rechtlich und wirtschaftlich unmöglich sein, alle rund 11,4 Millionen illegalen Zuwanderer abzuschieben. Allerdings gibt es zahlreiche Stellschrauben, mit denen er Druck auf die in den USA lebenden Ausländer aufbauen kann, das Land zu verlassen.

Ein wesentlicher Punkt ist die Neubesetzung des freien Richterpostens am Supreme Court. Durch die Benennung eines konservativen Richters kann Trump dem dort anhängigen Verfahren gegen ein liberaleres Zuwanderungsrecht zum Erfolg verhelfen. Damit würde die Hoffnung für rund 3,5 Millionen illegale Zuwanderer mit Kindern, die einen US-Pass haben, auf ein Bleiberecht zerstört. Realistische Schätzungen gehen davon aus, dass rund ein Drittel der illegalen Zuwanderer über die kommenden Jahre hinweg das Land verlassen wird. Das würde zu einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung von 1,7 Prozent führen. Der Beschäftigungsaufbau – in den letzten Jahren der zentrale Motor des Aufschwungs – erhielte einen erheblichen Dämpfer und auch das Potentialwachstum in den USA wäre auf Jahre geschwächt.

Unsicherheit belastet die Wirtschaft

Trump tat sich in erster Linie als ein höchst erratischer Wahlkämpfer hervor, der das „Establishment“ deutlich ablehnt und über keinerlei politische Erfahrung verfügt. Neben den drei oben genannten Faktoren belastet vor allem die völlige Ungewissheit über sein tatsächliches Vorgehen die Aussichten. Die Konsumstimmung könnte kippen und die Verbraucher veranlassen, mehr zu sparen. Auf der Unternehmensseite muss man davon ausgehen, dass Investitionen zunächst zurückgestellt werden – zumindest so lange bis klar ist, welche Teile seiner Politik der neue US-Präsident umsetzen kann.

All das veranlasst uns, unsere Wachstumsprognose für das kommende Jahr in einem ersten Schritt von 2,1 Prozent auf 1,5 Prozent zu reduzieren. Die Aussichten für die US-Wirtschaft schwächen zudem den US-Dollar. Die Dollar-Schwäche zusammen mit der aufkommenden Unsicherheit trüben auch die wirtschaftlichen Perspektiven anderer Länder ein – insbesondere für solche mit starken Exporten in die USA. Vor diesem Hintergrund reduzieren wir in einem ersten Schritt die Wachstumsprognose für die Eurozone auf 1,3 Prozent und für China auf 5,9 Prozent. Weitere Revisionen sind nicht ausgeschlossen und werden vollzogen, sobald mehr Details zur US-Wirtschaftspolitik bekannt werden.

Geldpolitik

Wir gehen davon aus, dass die US-amerikanische Notenbank (Fed) die Zinsen auf ihrer kommenden Sitzung nicht erhöhen wird. Diese Zinserhöhung ist zwar von der Fed auf der letzten Sitzung gründlich vorbereitet worden, aber die aus dem Wahlausgang resultierende Verunsicherung und die ansteigende Volatilität an den Märkten dürften für die Fed zunächst einmal genügen, um von diesem Schritt vorläufig abzusehen. Die von der Fed erwarteten Zinserhöhungen stehen unter dem Vorbehalt, dass die US-Wirtschaft in etwa in dem von der Fed angenommenen Tempo wächst.

Aus unserer Sicht spricht vieles dafür, dass es im kommenden Jahr zu keiner Zinserhöhung mehr kommt. Sollte der neue Präsident die Strafzölle gegen Mexiko und China einführen, würde das zwar die Inflationsrate in den USA nach oben treiben. Wir rechnen aber damit, dass die Notenbank das Risiko einer Wachstumsabschwächung höher gewichtet als das eines Inflationsanstiegs. Zumal wenn dieser vorrübergehender Natur sein sollte, wird die Fed das kurzfristige Überschießen tolerieren und die Zinsen erst anheben, wenn sich die Wirtschaft im Rahmen der Fed-Projektionen positiv entwickelt.

...und die weiteren Aussichten

Die USA haben in den letzten Jahren einen sehr robusten Aufschwung hingelegt und seit Anfang 2010 über 13 Millionen neue Jobs geschaffen. Trotzdem läuft in der Gesellschaft vieles nicht rund. Die Einkommensschere läuft in den USA seit Jahrzehnten langsam, aber eben stetig auseinander; gerade die Unterschichten fühlen sich vom wirtschaftlichen Aufschwung abgehängt; die Produktivitätsentwicklung ist schwach, die Innovationskraft der US-Wirtschaft nimmt ab. Es gibt für den neuen Präsidenten also genügend zu tun: Er müsste massiv in Bildung investieren, um die Chancengleichheit zu erhöhen; es muss Investitionen in die Infrastruktur geben, um die Produktivität zu erhöhen; und letztlich müssen Brücken zwischen den zerstrittenen Parteien gebaut werden. Nur wenn diese Gräben überwunden werden, kann eine Politik gemacht werden, die allen Amerikanern nutzt und so in der Lage ist, die zerrissene US-amerikanische Gesellschaft wieder zu einen.

Allein: Dieser Aufgabe scheint Donald Trump nach den Erfahrungen aus dem Wahlkampf nicht gewachsen zu sein: Sowohl sein Charakter als auch seine mangelnde politische Erfahrung sprechen dagegen, dass er die amerikanische Gesellschaft versöhnen und so die notwendigen Reformen angehen kann.

Allerdings: So pessimistisch viele jetzt auf die USA auch blicken mögen, sie werden nicht untergehen. Wir gehen aber fest davon aus, dass die Checks and Balances des etablierten politischen Systems der USA so verankert sind, dass sie die Macht des Präsidenten auch weiterhin effektiv einzuhegen vermögen. Insofern ist für die kommenden Jahre weniger eine Konterrevolution zu erwarten, als vielmehr vier Jahre Stillstand – etwas, das sich die USA derzeit nicht leisten können.

Eins steht aber auch fest: Die Macht populistischer Strömungen, die auf eine Renationalisierung der Politik abzielen, kann und darf man nicht mehr unterschätzen. Das lässt einen für die anstehenden Wahlen in Europa nichts Gutes erwarten.

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