Nils Kreimeier ist Capital-Redakteur. Er schreibt unter anderem über Russland und Osteuropa.
Er ist wieder da. Anfang der Woche endete eine Phase von zehn Tagen, in der Russlands Präsident Wladimir Putin sich der Öffentlichkeit entzogen hatte - und damit eine mal groteske, mal beängstigende Welle von Spekulationen auslöste. Den einen galt als er schwer krank, andere wähnten ihn in einem kurzfristigen Vaterschaftsurlaub, wieder andere, wie Ex-Kremlberater Andrej Illarionow, raunten von einer Verschwörung der Generäle, bei der Putin zwischen die Fronten geraten sei.
Das eigentlich Beunruhigende aber ist: Auch jetzt nach der Rückkehr des Verschollenen lässt sich keine der Theorien wirklich ausschließen. Der Kreml tat in der Zeit von Putins Abwesenheit nichts, um für Ruhe oder Transparenz zu sorgen. Stattdessen glänzte Putin-Sprecher Dmitri Peskow mit kryptischen Äußerungen, die Fotos von öffentlichen Terminen wurden umdatiert, um Betriebsamkeit vorzutäuschen, und in guter alter Moskauer Manier wurden zahlreiche Nebelkerzen gezündet. Putin selbst kommentierte all das anschließend nur mit dem launigen Hinweis, ohne Gerüchte werde es schließlich langweilig. Mit anderen Worten: Was wirklich in diesen zehn Tagen mit dem Präsidenten los war, weiß außer ihm so gut wie niemand.
Nun wäre das weitgehend egal, wenn es hier um eine Bananenrepublik ginge. Die Rede ist aber von dem Land, das auf der Welt über die größte Zahl an nuklearen Sprengköpfen verfügt und zudem seit langem massiv aufrüstet. Allein die Vorstellung, an der Spitze dieses Landes könne ein Machtvakuum entstehen oder sich gar ein Coup anbahnen, muss jedem Militärbeobachter auf der Welt einen Schauer über den Rücken jagen. Gewaltsame Auseinandersetzungen um die Macht sind auch in der jüngeren Geschichte Russlands keine Seltenheit. Und es gilt immer noch der alte, auf die Sowjetunion gemünzte Satz, dass Führungskämpfe dort wie bei Hunden ablaufen, die unter einer Decke miteinander ringen: für Außenstehende ist nicht erkennbar, was passiert.
Transparenz ist in Moskau ein Fremdwort
Uns wird ja von den Putin-Freunden im Westen unentwegt eingebläut, wir sollten Russland ernst nehmen und Verständnis für seine Sorgen zeigen. Wie aber soll man einen Staat respektieren, der mit seiner ungeheuren Verantwortung so zynisch-interesselos umgeht? Der seine eigene Bevölkerung mit einer an Wahnsinn grenzenden nationalistischen Kampagne gegen einen Pseudo-Feind im Westen aufhetzt? Der auf den Mord an einem Oppositionsführer nur die Parodie einer Ermittlung folgen lässt? Dessen Staatschef mal eben erwähnt, man habe bei der Annexion von Teilen anderer Staaten auch die Aktivierung von Nuklearwaffen erwogen?
Vor allem aber hat es dieser Staat auch fast ein Vierteljahrhundert nach seinem angeblichen Übergang zu einer Demokratie nicht geschafft, einen auch nur ansatzweise transparenten Mechanismus für den Machtwechsel zu entwickeln. Es gibt keine echten Wahlen, keine funktionierende Gewaltenteilung und keine Medien, die als Korrektiv funktionieren könnten. Eine Leerstelle an der Spitze, das hat schon die kurze Zeit mit dem abgetauchten Putin gezeigt, löst deshalb Panik aus - weil alle wissen, dass ein eventueller Nachfolgestreit in Moskau nicht friedlich ausgetragen wird. Die Regeln macht der Stärkste oder der, der sich dafür hält.
Die Demokratie, die von Pegida-Demonstranten so verachtet wird, die die Ukrainer auf dem Maidan so sehnlichst haben wollten und die wir von Russland nach Ansicht der Putin-Apologeten nicht verlangen sollen – sie ist ja kein Selbstzweck. Sondern sie hat den unschätzbaren Vorteil, dass ein Land als Nachbar berechenbar und damit vertrauenswürdig wird. Solange aber jedes Mal, wenn ein russischer Präsident für zehn Tage abtaucht, die Welt den Atem anhalten muss, ist Vertrauen nicht denkbar.