Anzeige

Sachsen und Thüringen So bewerten Wirtschaft und Ökonomen die Wahlergebnisse im Osten

Der amtierende thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (links) wird seinen Posten wohl verlieren. Seine Partie, die Linke, verlor massiv an Zustimmung – vor allem an die AfD um Björn Höcke (rechts).
Der amtierende thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (links) wird seinen Posten wohl verlieren. Seine Partie, die Linke, verlor massiv an Zustimmung – vor allem an die AfD um Björn Höcke (rechts).
© Chris Emil Janßen / IMAGO
Der Wahlausgang in Sachsen und Thüringen wird die Wirtschaft vor Ort schwächen – meinen Ökonomen. Einige Landkreise dürften bis zu 30 Prozent ihrer Fachkräfte verlieren

Top-Ökonomen und Verbände warnen nach den Erfolgen von AfD und BSW bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen vor wirtschaftlichen Konsequenzen. Für die sächsischen und thüringischen Unternehmen, die auch im globalen Wettbewerb stünden, könne sich der Arbeitskräftemangel weiter verschärfen, sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer der Nachrichtenagentur Reuters. „Unternehmensnachfolgen würden erschwert, gegebenenfalls könnte das zu Firmenaufgaben führen“, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates.

Staatliche Institutionen, medizinische und Bildungseinrichtungen litten ebenfalls unter Fachkräftemangel und würden dadurch weiter ihre Leistungen verringern müssen. Beide Freistaaten hätten seit der Wiedervereinigung etwa ein Fünftel der Bevölkerung verloren. Einige Landkreise dürften in den kommenden Jahren weitere 20 bis 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung verlieren. „Der jetzt schon bestehende Fachkräftemangel wird sich also noch weiter verschärfen“, sagte die Top-Ökonomin und fügte mit Blick auf die AfD hinzu: „Die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung ist an der Stelle das falsche Signal, denn sie wird Fachkräfte davon abhalten, diese Bundesländer als Option in Erwägung zu ziehen.“

Abwanderung von Unternehmen

Vor allem die AfD stehe für Protektionismus und eine Abschottung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt, sagte auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Er halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Wahlergebnisse zu einer Abwanderung von Unternehmen und auch Fachkräften führen werde. „Vor allem junge, gut qualifizierte und hoch motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren“, sagte der Ökonom. „Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben.“

Besorgt äußerte sich auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft. „Für die Wirtschaft kann das nichts Gutes verheißen, denn es braucht politische Berechenbarkeit, institutionelle Stabilität und verlässliche Rahmenbedingungen“, sagte IW-Direktor Michael Hüther zu Reuters. Da die Bundesebene ihren Einfluss auf die Wahlergebnisse gehabt haben dürfte, müssten auch dort die Herausforderungen entschlossen angegangen werden. „Eins ist klar: Mehr Sozialpolitik hält Menschen nicht von der Wahl populistischer Parteien ab“, sagte Hüther. „Da Abstiegsängste und Entwertungserfahrungen einen großen Einfluss haben, braucht es vielmehr den vorsorgenden Investitionsstaat statt des nachsorgenden Sozialstaates.“

„Ein Warnsignal“

Wirtschaftsverbände zeigen ebenfalls besorgt. „Für die Digitalwirtschaft sind die Wahlergebnisse aus Sachsen und Thüringen ein Warnsignal“, sagte der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Ralf Wintergerst. „Deutschland muss ein Land bleiben, das für Weltoffenheit und Innovationsfreude steht.“ Diese Werte würden weder AfD noch BSW vertreten. Ohne qualifizierte Zuwanderung könne Deutschland seinen Fachkräftebedarf nicht decken. „Die geplanten Halbleiterfabriken in Sachsen werden wir ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht betreiben können“, sagte Wintergerst. „Solche Spitzenkräfte können ihren Arbeitsort frei wählen.“

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger bewertet die Wahl als Warnzeichen für die Ampel in Berlin. „Besonders der Zulauf zu den politischen Rändern zeigt die starke Verunsicherung der Menschen und das fehlende Zutrauen, dass sich unser Land in die richtige Richtung entwickelt“, erklärte Dulger. „Die Antwort auf Populismus und rückwärtsgewandte Konzepte muss eine pragmatische Politik sein, die sich an den Problemen der Betriebe und ihrer Beschäftigten orientiert. Die Ampel-Parteien sind jetzt umso mehr zum Handeln aufgefordert.“

Dax kaum beeinflusst

Der deutsche Aktien-Leitindex Dax notierte zum Wochenstart etwas tiefer bei 18.810 Punkten, was einem Minus von 0,5 Prozent entspricht. Die Wahlergebnisse dürften dabei nur eine kleine Rolle spielen, da sich die Märkte einerseits kaum für regionale Wahlen interessieren – der Dax andererseits kaum noch für Deutschland steht. Die 40 Top-Werte erzielen gerade einmal 18 Prozent ihrer Umsätze hierzulande, und nur einen weiteren Bruchteil davon in Sachsen oder Thüringen. Als besseres Fieberthermometer gilt daher der MDax, in dem 50 mittelgroße Werte gelistet sind. Hier liegt der Umsatzanteil von Deutschland bereits bei 30 Prozent. Der MDax gab am Montag entsprechend stärker nach und notiert am Morgen etwa 1 Prozent im Minus.

Mit Agenturen

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel