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Verbände-Wünsche Streit vorprogrammiert: Wer was vom Sondervermögen abhaben will

Straßen, Schulen, Krankenhäuser – das Geld aus dem Sondervermögen soll viele Bereiche finanzieren
Straßen, Schulen, Krankenhäuser – das Geld aus dem Sondervermögen soll viele Bereiche finanzieren
© Martin Wagner / IMAGO
Union und SPD haben in Sondierungsgesprächen ein milliardenschweres Sondervermögen für Infrastruktur vereinbart. Viele Branchenverbände melden sich mit teuren Wünschen zu Wort. Das sind die Forderungen der Verbände

Löchrige Straßen, bröckelnde Brücken, verspätete Züge – Deutschland kämpft mit zahlreichen Infrastrukturproblemen. Das nötige Geld, um sie zu beheben, soll nun aus einem 500 Mrd. Euro schweren Sondervermögen kommen – kreditfinanziert, abseits des Bundeshaushalts und außerhalb der Schuldenbremse. Das haben Union und SPD in ihren Sondierungsgesprächen vereinbart. 100 Milliarden sollen an die Bundesländer fließen, 400 Milliarden dem Bund zur Verfügung stehen.

Infrastruktur umfasst aber nicht allein die Verkehrsnetze, sondern „alle staatlichen und privaten Einrichtungen, die für eine erfolgreiche Daseinsvorsorge als erforderlich gelten“, so die Bundeszentrale für politische Bildung. Also auch: Strom- und Wasserversorgung, Kanalisation und Kommunikationsnetze sowie soziale Institutionen wie Schulen und Krankenhäuser. Was alle gemeinsam haben: Sie sind marode, wenig funktioniert. „Unser Land fährt auf Verschleiß“, sagt SPD-Chef Lars Klingbeil.

Wenig überraschend, dass das Sondervermögen – kaum genehmigt – umgehend Begehrlichkeiten weckt. Noch ist unklar, wer wie viel vom Kuchen abbekommt, aber die Wunschliste wird länger und länger.

Investitionen zu Land, Wasser und Luft

Das meiste Geld wird wohl das kaputte Straßen- und Schienennetz verschlingen. Der Investitionsbedarf auf allen Verkehrswegen beläuft sich laut Bundesverkehrsminister Volker Wissing bis 2029 auf rund 220 Mrd. Euro. Das Sondervermögen bezeichnet der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen (BVMB), Michael Gilka, als einen „längst überfälligen Impuls“ für das Land. Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) sieht im Sondervermögen eine „historische Chance“.

Dass neben Zugstrecken und Autobahnen auch Wasserstraßen, Rad- und Wanderwege profitieren, dafür setzt sich der Deutsche Tourismusverband (DTV) ein. Diese Teile der Verkehrsinfrastruktur seien tourismusrelevant. Eine leistungsfähigere Infrastruktur könne in vielen Regionen des Landes zusätzliches touristisches Wachstum generieren, unterstreicht auch der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft.

Doch nicht nur zu Land, auch in der Luft soll das Sondervermögen wirken: Der Flughafenverband ADV fordert, dass der Bund auch in die Flughafeninfrastruktur investiert, um die Flughäfen krisenfest zu machen. Der Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen wird konkreter: „Genauso wie beim Verkehrsträger Bahn sollte sich der Staat an der Finanzierung der Sicherheitskosten beteiligen“, sagt Hauptgeschäftsführer Joachim Lang.

Mehr Digitalisierung mit KI

Wenn es nach dem Verband der IT- und Telekommunikationsbranche Bitkom geht, muss Deutschland auch dringend digitaler werden. Dazu fordert Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst ein „Digitalpakt Deutschland“, das mit 100 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen ausgestattet werden soll. Damit will der Verband innerhalb der kommenden fünf Jahre Investitionen in digitale Schlüsseltechnologien wie KI und Quantum Computing anschieben.

Das sehen der KI-Bundesverband und der Verband der Internetwirtschaft Eco ähnlich. Sie nennen zwar keine konkrete Summe, fordern aber, „dass ein signifikanter Anteil in die Digitalisierung fließt“, heißt es in einer Eco-Pressemitteilung. Die mit dem Sondervermögen lockergemachten Mittel böten die Chance, „Investitionen in die Modernisierung, den Ausbau und die Stärkung der digitalen und KI-Infrastruktur voranzutreiben“, so der KI-Verband.

Sondervermögen soll Kliniken retten

Doch das ist nicht alles. Das Sondervermögen soll auch die Gesundheitsversorgung modernisieren. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hofft auf dringend notwendige Krankenhausinvestitionen. Bislang geplant ist ein „Krankenhaus-Transformationsfonds“, der binnen zehn Jahre mit bis zu 50 Mrd. Euro ausgestattet werden soll – die Hälfte soll aus Beitragsgeldern der gesetzlich Versicherten stammen. Nun eröffne sich „die Möglichkeit, die Gelder des Transformationsfonds für die Krankenhausreform vollständig über Steuern zu finanzieren“, sagt der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß. Dass Geld aus dem Sondervermögen in Gesundheitswesen fließt, erwartet auch die Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen GKV. 

Andererseits: „97 Prozent der Gesundheitsversorgung findet in den Praxen statt“, entgegnet Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der kassenärztlichen Bundesvereinigung. Investitionen in die Infrastruktur müssten daher auch den Praxen zugutekommen. Der Investitionsstau im ambulanten Bereich belaufe sich aktuell auf 1,8 Mrd. Euro.

Auch die Pflege müsse mithilfe des Sondervermögens „aus der Investitionsstarre“ geholt werden, fordert der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP). Es brauche einen „Zukunftsbooster Pflege zur Sicherung der Versorgung der Boomer-Generation“.

Darüber hinaus hebt die Pharmaindustrie den Finger: „Die Menschen müssen sich wieder verlassen können – auf ihre Brücken, auf ihre Bahn und auf ihre Arzneimittelversorgung“, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. Das von Union und SPD geplante Sondervermögen solle auch zur Stabilisierung der Generika-Versorgung eingesetzt werden, um Engpässen bei lebenswichtigen Arzneimitteln zuvorzukommen und unabhängiger von China bei Antibiotika, Blutdrucksenkern oder Schmerzmitteln zu werden.

Ein bisschen Bildung, kein Klimaschutz

Nach aktuell verfügbaren Zahlen beläuft sich der Investitionsbedarf in Kitas, Schulen und Hochschulen auf mindestens 130 Mrd. Euro. In dieser Höhe sollten deshalb Gelder aus dem Sondervermögen an den Bildungssektor fließen, fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Beistand kommt vom Philologenverband und dem Verband der Bildungswirtschaft Didacta. Weil Bildung Ländersache ist, dürften der notwendige Ausbau von Bildungsangeboten und die Sanierung der Einrichtungen schon den 100 Mrd. Euro schweren Länderanteil am Sondervermögen verschlingen.

Völlig unbeachtet im 500-Milliarden-Paket ist allerdings der Klima- und Naturschutz. Das beklagen Umweltschutzverbände wie die Deutsche Umwelthilfe: Friedrich Merz ignoriere in seinen Plänen zu den Sondervermögen „den größten Feind unserer Sicherheit: Die Klimakrise“, heißt es in einem Statement. Klimaschutz benötige in der Dekade von 2020 bis 2030 pro Jahr allein etwa 51 Mrd. Euro, rechnet der WWF vor. Seine Forderung: Mindestens 100 Mrd. Euro – für ein Sondervermögen „Klimaschutz und Transformation“.

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