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Presseschau „Des Guten zu viel“: So schaut die internationale Presse auf die deutsche Haushaltskrise

l-r: Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz auf der Regierungsbank im Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) bei der Regierungserklärung
© IMAGO / Bernd Elmenthaler / IMAGO
Die Krise der Bundesregierung beschäftigt auch die internationale Presse. Ein Überblick von Frankreich bis in die USA

Le Monde, Frankreich

Die Krise, durch die Deutschland seit dem 15. November geht, ist erstaunlich. Weil es sich nicht an die strengen Regeln gehalten hat, die es sich selbst auferlegt hat, befindet sich die führende Volkswirtschaft der Eurozone in einem Zustand der Haushaltsblockade. Sie ist gezwungen, die Ausgaben einzufrieren und ist nicht in der Lage, ein Haushaltsgesetz für 2024 zu verabschieden, nachdem die Regierung einräumen musste, dass das Gesetz für 2023 wahrscheinlich verfassungswidrig war. Noch nie seit ihrer Gründung vor zwei Jahren war die Regierung von Olaf Scholz mit einer derartigen Glaubwürdigkeitskrise konfrontiert. Der Schock ist so groß, dass das Überleben der Koalition auf dem Spiel steht.

Der Standard, Österreich

Es ist ein Instrumentenkasten des Schreckens, der vor der Ampel liegt. Dennoch ist Eile geboten. Erstens befindet sich die Ampel mitten in den Beratungen für den Haushalt 2024 – und der muss wasserdicht aufgestellt sein. Zweitens müssen Bürgerinnen und Bürger so schnell wie möglich Klarheit darüber bekommen, was ihnen bevorsteht.

Zusätzlich wären vielleicht einige Meditationsstunden nicht schlecht. Habeck in seinem Frust meint nämlich, die Deutschen könnten sich bei der Union „bedanken“, die habe ja Klage beim Verfassungsgericht erhoben.

Bei allem Verständnis für blanke Nerven und die Notlage: Diese Verdrehung der Tatsachen ist atemberaubend. Schließlich hat das Gericht die Trickserei der Ampel gestoppt. Solche Bemerkungen von Habeck braucht es nicht. Auf eine andere hingegen wartet man gespannt: die von Kanzler Olaf Scholz, wie das alles passieren konnte.

Neue Zürcher Zeitung, Schweiz

Das Urteil des Verfassungsgerichts zur Haushaltspraxis der Ampelregierung sei der Beginn einer „neuen Realität“, sagte der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag im Deutschen Bundestag. […]

Wenn Bürger aus Realität eins auch nur die kleinste Regel übertreten – wenn sie falsch parkieren, wenn die Hütte auf ihrer Kleingartenparzelle drei Quadratmeter zu groß ist oder wenn sie eine Einnahme bei der Steuererklärung vergessen –, verfolgt sie der Staat mit liebevoller deutscher Unnachsichtigkeit. Aber in Realität zwei soll die Entlassung eines Staatssekretärs die einzige personelle Konsequenz sein, die die Regierung zieht? Zu anderen Zeiten hätten andere Politikerpersönlichkeiten über Rücktritt nachgedacht. Jetzt geht es um Machterhalt.

De Telegraaf, Niederlande

Die Differenzen in der linksliberalen Regierungskoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz scheinen unüberbrückbar. Während in der deutschen Hauptstadt die Temperaturen unter den Nullpunkt sanken, kam der liberale Finanzminister Christian Lindner, Frontmann der kleinen Regierungspartei FDP, seinen linken Kollegen von der SPD und der Umweltpartei (Die Grünen) in die Quere. Parteichef Lindner beharrt auf dem gesetzlichen Gebot der Schuldenbremse und weigert sich, unplanmäßige Ausgaben zu finanzieren. 

Derweil versucht die christdemokratische Opposition, von dieser Situation profitieren. Die Union aus CDU und CSU hatte höchstrichterlich prüfen lassen, ob Sonderkredite während der Coronakrise auch für Klimamaßnahmen ausgegeben werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat dies schlicht und einfach verneint.

Die Folge im politischen Berlin ist Panik. Sofort entstand eine Haushaltslücke von 60 Mrd. Euro. Für Minister Lindner, der Wert auf Finanzdisziplin legt, ist Sparen die Devise. Doch die linken Koalitionsparteien verweigern sich dem.

The Economist, Großbritannien

Ein Schlag auf die Knöchel tut weh. Er tut noch mehr weh, wenn er mit einem Hammerschlag vom höchsten Gericht des Landes ausgeteilt wird. Für die Regierungskoalition in Deutschland ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November, mit dem rückwirkend die Umwidmung ursprünglich für Covid-19-Zwecke vorgesehene Mittel gesperrt wurde, sowohl eine politische Blamage als auch ein Haushaltsalbtraum. Auf subtilere Weise ist das Urteil auch eine Rüge für Deutschland als Ganzes, die zeigt, wie die nationale Besessenheit, „Schuldenbremsen“ für Staatsausgaben zu verhängen, zu allen möglichen Dummheiten führt.

Financial Times, Großbritannien

Die Folgen sind gravierend und reichen über Deutschland hinaus. Das Land muss jahrelange Unterinvestitionen – auch dank der Schuldenbremse selbst – in Eisenbahnen, Brücken und Schulen und in die digitale Infrastruktur ausgleichen. Außerdem muss es seine Industrie und sein Energiesystem umbauen, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Konkurrenten wie die USA, China und Südkorea investieren unterdessen mit Subventionen in ihre eigenen Transformation. […]

Das Problem ist, dass die FDP, deren Parteichef Christian Lindner Finanzminister ist, auf die Bremse tritt. Das Gleiche gilt für die oppositionelle CDU, die in der damaligen großen Koalition mit der SPD die Regelung 2009 durchsetzte und seit langem auf ähnliche fiskalische Beschränkungen für die EU-Partner drängt – auch wenn sich einige regionale CDU-Politiker an den Grenzen stören, die die Schuldenbremse ihnen auferlegt. Die Lockerung der Schuldenbremse könnte bei den Koalitionsverhandlungen nach der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2025 eine wichtige Rolle spielen. Dies wird immer eine schwierige Debatte sein. Aber wenn das Land seine Wettbewerbsfähigkeit bewahren will, muss diese Debatte geführt werden. Deutschlands Interpretation von finanzpolitischer Umsicht zeigt, dass man des Guten auch zu viel haben kann.

Wall Street Journal, USA 

Die finanzpolitische Stunde der Wahrheit hat sich in Berlin zu einer politischen Krise zugespitzt. Es wird immer deutlicher, dass die schwerfällige Koalition aus Scholz' Sozialdemokraten, den Öko-Links-Grünen und den marktwirtschaftlichen Freien Demokraten (FDP) von Finanzminister Christian Lindner sich nicht auf eine andere Methode zur Finanzierung grüner Prioritäten einigen kann. […]

Es bleiben also Steuererhöhungen, die Lindner ablehnt, Sozialabbau, den Scholz hasst oder ein Ende der ehrgeizigen grünen Ausgaben, was Robert Habeck, dem grünen Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, peinlich wäre. Mit anderen Worten: Die Regierung wird möglicherweise harte finanzpolitische Entscheidungen treffen müssen.

Das politische Hütchenspiel rund um die Nullrunde besteht darin zu behaupten, dass jemand anderes als die Steuerzahler die Rechnung bezahlen wird. Die Deutschen sehen das anders, und der politische Aufruhr ist eine Warnung für andere Regierungen. Hätten die USA doch nur einen solchen Mechanismus, um grüne Schnapsideen wie den Inflation Reduction Act zu stoppen.

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