Christi Himmelfahrt, der Tag, an dem sich dereinst die Pforten des Himmels öffneten, ist für dieses Jahr schon vorbei. Auf Erden jedoch wird er gerade nachgeholt, denn wenn Sie sich umsehen: Zur Zeit werden alle möglichen Schotten geöffnet.
Eine Öffnung, die mich persönlich sehr freut und schon fast ein bisschen aufgeregt macht: Ich darf endlich in meine Wahlheimat Barcelona zurück. Tschüss, Köln! Es wäre übertrieben zu sagen: Es war mir ein Vergnügen.
Eine andere Öffnung freut mich weniger. Sie macht mich sogar richtiggehend wütend und wenn Sie mich kennen, dann wissen Sie, dass das in der Regel so schnell nicht passiert. Ich meine die letzten Wochen verkündeten Öffnungen aller staatlichen Rettungsschleusen.
Vorsicht, ein Wumms!
Zunächst die amerikanische Fed (mehr als 2 Billionen Dollar), dann zum wiederholten Male die EZB (1,3 Billionen Euro) und dann natürlich der „Wumms“. So nannte Finanzminister Olaf Scholz das 130 Mrd. Euro schwere Rettungspaket für die deutsche Wirtschaft , das ja im ersten Moment nach etwas Gutem klingt. Manche der Einzelmaßnahmen sind das wohl auch. Doch in der Gesamtbetrachtung erblicken Sie hinter diesen Rettungspaketen einen Mechanismus, der mehr als unheilvoll ist.
Die Regierenden haben sich über die letzten Jahrzehnte zunehmend die Pflicht angemaßt, Not leidende Branchen und Unternehmen zu retten. Und mit jeder Krise vergrößert sich der Kreis der Zu-Rettenden, denn alle, die zuvor nicht bedacht worden sind, melden sich nun lautstark zu Wort: „Warum die und wir nicht? Wir sind auch Opfer der bösen Umstände!“
Gehören diese dann auch noch zu einer vermeintlich wahlentscheidenden Klientel, werden sie tendenziell mit ihrer Klage erhört und mit Millionen bedacht. Schließlich wollen die Retter von heute auch morgen noch an den Schleusenhebeln sitzen – zum Besten aller versteht sich, denn schließlich haben sie sich als patente Retter erwiesen.
Das heißt, die Zahl der Unternehmen, die sich zum Opfer erklären, wird immer größer. Und zwangsläufig werden die Rettungsaktionen immer größer. So wächst die Rettungsmaschinerie nicht nur stetig, sie arbeitet auch selbstverstärkend.
Dauerflieger
Lassen Sie uns das am Beispiel der Lufthansa-Rettung durchspielen: Neun Milliarden macht der Staat für die Fluglinie locker, die er für systemrelevant hält – wie auch immer er zu dieser Einschätzung gekommen ist. Darüber mag ich mich an dieser Stelle nicht streiten, denn es geht mir mehr um das Prinzip als um den Einzelfall.
Die Aktionäre der Lufthansa wissen jetzt endgültig: Dieses Unternehmen kann nicht pleitegehen. Unsere Spekulationen auf Börsengewinne haben ein extrem gutes Chancen-Risiko-Verhältnis. Totalausfall quasi ausgeschlossen. Kein Wunder steigt der Aktienwert trotz der Verluste. Die Großinvestoren reiben sich die Hände.
Ich kann ihnen das auch nicht verdenken: Das ist schließlich ihr Job.
Bezahlt wird der Spaß aus dem Säckel des Staates. Haha, das ist natürlich ein Euphemismus, denn Sie und ich wissen, wer diesen Säckel füllt. Füllen muss.
Unter den Befüllern sind natürlich unter anderem auch Geringverdiener, die auf diese Weise das Chancen-Risiko-Verhältnis von Großaktionären verbessern. Liebe Sozialdemokraten: Ist Euch das klar?
Gefüllt wird der staatliche Geldbeutel aber auch durch alle Unternehmen in Deutschland.
Gib mal lieber her
Diese haben schon die letzten Jahre im weltweiten Vergleich extrem viel an den Staat abführen müssen. Das Geld fehlte ihnen dann naturgemäß, wenn es darum ging, selbstverantwortlich für den Krisenfall vorzusorgen.
Manch eine Firma stünde wahrscheinlich nicht so schnell am Rande der Pleite, wenn der Staat ihr nicht väterlich auf die Schulter geklopft und gesagt hätte: „Kind, gib dein Geld mal lieber mir. Ich weiß besser, was damit zu tun ist.“
Wohlgemerkt: Ich bin der festen Überzeugung, dass das mit dem Steuerzahlen im Allgemeinen und für Unternehmen im Besonderen seine Richtigkeit hat. Es gibt öffentliche Aufgaben, die durch alle finanziert werden sollten. Rettungsaktionen für Insolvenz-bedrohte Unternehmen allerdings gehören nicht dazu.
Täter rettet Opfer
Auch wenn es sarkastisch klingt: Firmen, die pleite sind, müssen auch pleite gehen dürfen. Nur so erneuert sich eine Wirtschaft nachhaltig und macht sich krisenrobuster. Doch es sollte nicht der Staat sein, der durch das Eintreiben des Geldes für Rettungsaktionen die Firmen in die Pleite zwingt, aus der er sie – wenn sie nach seinem Gutdünken als rettenswert erscheinen – anschließend wieder rettet.
Genau das wird aber immer häufiger der Fall sein, denn der Staat muss sich immer mehr Geld von den Unternehmen und Bürgern holen, um seiner kostspieligen Retterrolle weiterhin gerecht zu werden. Schließlich wächst mit jeder Retterrunde die Abhängigkeit der Zu-Rettenden mindestens genauso schnell wie ihre Zahl. Den naheliegenden Kalauer mit dem R-Faktor verkneife ich mir jetzt.
Die Folgen dieser Politik werden weit über die Wirtschaft hinausgehen, denn die Bürger fühlen sich zunehmend im Dilemma: Sie selbst haben jeweils nach der Rettung gerufen, die sie immer teurer bezahlen müssen. Damit können auch sie selbst immer weniger eigenverantwortlich für ihre eigene Absicherung sorgen, sie rutschen immer tiefer in die Abhängigkeit.
In unserem Grundgesetz steht, dass wir das Volk als Souverän verstehen. Steht der Souverän jedoch in einer stetig wachsenden Abhängigkeit zum Staat, vor dem der Bürger ja mit dem Grundgesetzt geschützt werden sollte, ist er alles andere als souverän.
Ihre Ideen sind gefragt
Ich glaube, was mich daran so richtig ärgerlich macht, ist, dass ich gerade keine Idee habe, wie wir kurzfristig aus dieser Retternummer wieder heil herauskommen sollen.
Auch wenn mir vieles, was ich über die Medien von Ryanair-Chef Michael O’Leary vermittelt bekomme, eher unsympathisch ist: Seine Schimpftiraden über die Wettbewerbsverzerrung durch die Lufthansa-Rettung und seine Haltung, so weit wie möglich ohne staatliche Unterstützung auskommen zu wollen, ringt mir Sympathie ab. Aber ich kann auch jeden Unternehmer verstehen, der die Angebote annimmt und sie für sich als verdeckte kleine Steuerrückzahlung verbucht. Schließlich hat er in den letzten Jahren, in denen es gut lief, sehr viel Geld abgegeben. Doch damit trägt er auch seinen Teil dazu bei, dass die Retter-Opfer-Spirale sich noch verstärkt.
Wie dem auch sei: Wenn alles gut geht, erreichen Sie mich ab sofort wieder in Spanien. Nicht weil die Wirtschaftspolitik dort um einen Deut besser wäre als in Deutschland, aber weil ich aus der Distanz die deutsche Politik besser verfolgen kann. Sonst muss ich mich zu sehr ärgern – und dadurch ändert sich auch nichts. Oder haben Sie eine gute Idee, wie wir uns aus der Rettungsspirale retten können?
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem aktuellen Buch „Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden“ stellt er den Krisen in unserem Land Ideen von Selbstorganisation und Eigenverantwortung entgegen.