Anzeige
Anzeige

Rohstoff-Fund Seltene Erden: Warum eine schwedische Stadt zum Umzug gezwungen wird

Auch die historische Kirche Kirunas muss 2026 umziehen
Auch die historische Kirche Kirunas muss 2026 umziehen
© picture alliance/vizualeasy | Harald Biebel
Unter der schwedischen Stadt Kiruna werden große Mengen Seltener Erden vermutet. Was dieser Fund für die Stadt und ihre Bewohner bedeutet

Jede Nacht wird der Erzberg vor Schwedens nördlichster Stadt ein Stück weiter abgesprengt. Seit Jahren geht das so in Kiruna. Die 18.000-Einwohner-Stadt liegt 200 Kilometer nördlich des Polarkreises und ist berühmt für ihr Eisenerzbergwerk. Nicht die Stadt war zuerst da, sondern der Bergbau. Seit dem 19. Jahrhundert bauen die Schweden in der Region Erz von zwei Bergen ab, dem Kiirunavaara und dem Luossavaara. Rundherum entstand eine Siedlung, 1900 wurde sie offiziell Kiruna getauft.

135 Jahre später wird Kiruna aber schon wieder Geschichte sein. Zumindest dort, wo die Stadt 1900 gegründet wurde. Die Stadt zieht um, gut drei Kilometer Richtung Osten, bis spätestens 2035 muss der Umzug abgeschlossen sein.

Die Stadtverwaltung hatte die Maßnahme 2007 beschlossen. Seitdem werden ganze Häuser per Schwertransport in die neue Stadt gebracht und dort abgesetzt. Auch die insgesamt 40 Geschäfte werden vom alten ins neue Stadtzentrum transportiert. Wenn alles nach Plan läuft, siedelt 2026 auch die historische Kirche von Kiruna an ihren neuen Standort um.

Denn die Eisenerzgrube frisst sich in die Stadt hinein und verschluckt sie. Gebäude bekommen Risse, sind nicht mehr einsturzsicher.

Weniger CO2, mehr Wettbewerbsfähigkeit?

Der schwedische Bergbaukonzern LKAB wird seine Arbeit nicht einstellen, sondern im Gegenteil weiter Erz abbauen und bald beginnen, einen neuen Schatz unter der Stadt zu heben: Anfang dieses Jahres wurde verkündet, dass unter Kiruna Seltene Erden schlummern, in der Lagerstätte Per Geijer. „Es handelt sich um die bei Weitem größte Lagerstätte von Seltenen Erden in Europa“, sagt LKAB-Chef Jan Moström.

Das genaue Ausmaß des Funds ist noch unklar, aber es wird gemutmaßt, dass LKAB unterhalb von Kiruna mindestens eine Million Tonnen Seltene Erden abbauen und damit Europas Bedarf an den wichtigsten Bausteinen für E-Autos, Handys und Windräder – also einer grünen Wirtschaft – decken kann. Denn dafür werden Seltene Erden hauptsächlich verwendet.

Aktuell importiert die EU ihren Bedarf vor allem aus China. Dort werden bislang 86 Prozent der Vorräte bereitgestellt. Denn bislang können die wichtigen Rohstoffe an keinem einzigen Ort in Europa abgebaut werden. Schwedens Energieministerin Ebba Busch stellt deshalb die „Eine-Million-Dollar-Frage“: Kann die europäische Wirtschaft ihren CO2-Fußabdruck reduzieren und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken?

Ja, das geht, sagt Busch. Aber nur mit neuem Bergbau, denn Seltene Erden sind eben unerlässlich für neue Technologien wie E-Autos.

Letzte Indigene Europas

Bis der Schatz gehoben wird, dauert es noch. Bergbau-Chef Moström rechnet damit, dass es in 10 bis 15 Jahren losgehen kann. Grund sind lange Genehmigungs- und ein kompliziertes Abbauverfahren. Know-how, das Schweden bislang noch gar nicht hat. Energieministerin Busch ist trotzdem überzeugt, dass der Bergbau-Plan für Schweden und ganz Europa alternativlos ist. Denn aus wirtschaftlicher Sicht ist Schweden durch den Fund „buchstäblich eine Goldmine“, so die stellvertretende Ministerpräsidentin.

Darunter leiden jedoch die Menschen in Kiruna. Ganz besonders die Samen, die Ureinwohner Lapplands und das letzte indigene Volk Europas. Etwa 30.000 von ihnen leben schätzungsweise im schwedischen Norden – ein Teil von ihnen ganz traditionell auch heutzutage noch von der Rentierzucht. Sie befürchten, die neuen Abbaupläne könnten ihre Lebensweise und ihre Tiere gefährden. Es werde „immer schwieriger, mit der Rentierzucht weiterzumachen“, warnt Stefan Mikaellson, stellvertretender Vorsitzender des samischen Parlaments, im britischen „Guardian“.

Bergbaukonzern LKAB sagt, dass seit der Eröffnung der ersten Mine in Kiruna im Jahr 1900 bereits zwei samische Dörfer ihre Rentierzuchtrouten anpassen mussten. Falls in der Region Seltene Erden abgebaut werden, könnte ein weiteres Dorf hinzukommen, zusätzlich zur Stadt Kiruna selbstredend.

Samen bereits vor Gericht erfolgreich

Aber mit einem Umzug ist es womöglich nicht getan. Werden in der Lagerstätte Per Geijjer etwas nördlich von Kiruna künftig tatsächlich Seltene Erden abgebaut, würde das Land drumherum in zwei Hälften geteilt, kritisieren die Samen. Die Rentiere würden dadurch ihren letzten Durchgang zu den Weiden verlieren. Die Rentierhaltung, wie sie jahrhundertelang praktiziert wurde, wäre nicht mehr möglich.

LKAB sieht das anders. Der Bergbaukonzern will Wildbrücken errichten, damit Tiere die Region um die Mine gefahrlos überqueren können. Er verkauft die Lagerstätte als Möglichkeit zur grünen Wende im Kampf gegen den Klimawandel, der die samische Bevölkerung ja auch betrifft. Wahrscheinlich mehr als viele andere Schweden.

Die Samen wollen sich trotzdem gegen die Ausweitung des Bergbaus wehren. Der Klimawandel dürfe „nicht zu den Bedingungen der“ gestoppt werden, sagen sie. Sehr wahrscheinlich werden die Ureinwohner Lapplands weiter lautstark gegen den Bergbau protestieren. Und möglicherweise auch vor Gericht ziehen. Dort waren die Samen in der Vergangenheit bereits mehrfach erfolgreich. Zum Beispiel 2021, als das Oberste Gericht in Norwegen zwei Windparks in der Region für unzulässig erklärte.

Ansonsten werden Haus um Haus von Kiruna weiter umziehen und die Mine von Per Geijer wird größer und größer werden. Der Umwelt zuliebe, sagen die einen. Vor allem wegen der Industrie, sagen die anderen.

Der ntv-Podcast „Wieder was gelernt“ ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones?  Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer. Alle Folgen finden Sie bei RTL+ oder überall sonst, wo es Podcasts gibt.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel