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Kolumne Schildkrötenrennen

Frankreich vorn, Japan im Keller – die BIP-Zahlen verblüffen. In Wahrheit sind die konjunkturellen Unterschiede minimal. Von Christian Schütte
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© Trevor Good

Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik

Kommen die Franzosen also doch aus der Krise, hängen sie bald gar Deutschland ab? Gehen in Japan jetzt die Lichter aus, nachdem das BIP zum zweiten Mal in Folge geschrumpft ist? Und ist Premier Abe, der kurzfristig Neuwahlen ansetzt, mit seinen „Abenomics“ schon gescheitert?

Die jüngsten Wachstumszahlen zum dritten Quartal haben so manchen auf dem falschen Fuß erwischt. Sie haben zwar bestätigt, was seit Monaten absehbar war: Die Konjunktur in den nicht-angelsächsischen G-7-Ländern läuft nur noch ziemlich mäßig.

Die Reihenfolge auf dem Siegertreppchen verblüffte in dieser Gruppe aber doch: Den stärksten BIP-Anstieg meldete ausgerechnet Frankreich - auf ein Jahr hochgerechnet wuchs die Wirtschaftsleistung dort mit einer Rate von 1,2 Prozent. Es folgte ein fast stagnierendes Deutschland (annualisiertes BIP-Plus: 0,4 Prozent), ein leicht schrumpfendes Italien (-0,4) und ein wegbrechendes Japan (-1,6).

Zeit für Neubewertungen? Wer etwas genauer hinschaut, der merkt schnell, dass die Gemeinsamkeiten sehr viel wichtiger bleiben als die Unterschiede. Die Konjunktur in Japan ist zwar schwach, aber keineswegs im freien Fall. Und von dem vermeintlichen Neustart in Frankreich bleibt auf den zweiten Blick leider auch nicht viel übrig.

Enttäuschend in den Euro-Ländern wie auch in Japan ist, dass die Unternehmen durchgängig weniger investiert haben - trotz Mini-Zinsen und Abwertung. Diese Zurückhaltung ist und bleibt das zentrale Problem. Der Rest ist nur Detail.

Schaut man etwa auf die Binnennachfrage, dann legte der private Konsum zuletzt in Japan genauso wie in Frankreich leicht zu, oben drauf kam bei den Franzosen dann noch ein kleiner Schub von der Staatsnachfrage. Hier wie dort schrumpften die Investitionen.

Die Deutschen haben ihre BIP-Daten noch nicht nach Komponenten aufgegliedert, das Statistikamt Destatis schreibt aber von einem „kräftigen Konsum“ und leider ebenfalls „rückläufigen Investitionen“. Italien berichtet – ohne Details zu nennen - über eine sinkende Binnennachfrage.

Beim Außenbeitrag, also dem Saldo aus Exporten und Importen, meldeten die Deutschen immer noch einen „leicht positiven“ BIP-Effekt, in Japan hielt sich das Wachstum der Aus- und Einfuhren zuletzt die Waage. Die Italiener erreichten zwar ein leichtes Plus - das dürfte aber damit zu erklären sein, dass ihre Importe zuletzt noch stärker schrumpften als ihre Exporte.

In Frankreich war der Außenbeitrag im vergangenen Quartal sogar negativ: Die Einfuhr wuchs deutlich schneller als die Exporte. Nicht gerade ein Indiz für steigende Wettbewerbsfähigkeit.

Was also trieb dann den französischen BIP-Anstieg und die erneute Schrumpfung in Japan?

Die Bewegung im Lager

Rein rechnerisch sind sie jeweils komplett durch Vorratsveränderungen erklärbar: Während die Franzosen ihre Lager aufstockten, schmolzen die Japaner energisch ab. Auch in Deutschland gab es laut Destatis einen „deutlichen Vorratsabbau“.

Im Fall Japan ist diese Bewegung ziemlich einfach zu erklären. Im April hatte die Regierung die Verbrauchsteuer erhöht, was erst zu Vorziehkäufen und anschließend zu einem Nachfrageloch führte. Dieses Loch war noch sehr viel tiefer als von den meisten zuvor erwartet: Von April bis Juni blieb der private Konsum um etwa drei Prozent unter dem Vorquartal. Die Folge war ein kräftiger – aber unfreiwilliger – Lageraufbau.

Im dritten Quartal haben die Unternehmen nun gegengesteuert, um wieder zu normalen (Mini-Wachstums-)Verhältnissen zurückzukehren. Manches spricht dafür, dass sich die Wirtschaft mittlerweile stabilisiert: Japans Ausfuhren sind im Oktober auf den höchsten Stand seit dem Lehman-Crash gestiegen.

Unter dem Strich bleibt der Vergleich von europäischen und japanischen Wachstumszahlen damit bestenfalls so aufschlussreich wie ein Schildkrötenrennen: Dass mal der Eine und mal der Andere vorn liegt, hat mit Dynamik wenig zu tun.

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