Auf den ersten Blick zieht sich das Netz immer enger um Russland zusammen: In der vergangenen Woche verabschiedeten die EU-Staaten das nunmehr zwölfte Paket von Sanktionen gegen Wladimir Putin. Es geht um ein Einfuhrverbot für russische Diamanten, neue Hürden für Ölexporte in Drittstaaten und Strafen für Unternehmen und Personen, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine direkt unterstützen. Wer sich jedoch die tatsächliche Wirkung der immer längeren Sanktionsliste anschaut, der stellt fest: Sie versagt zunehmend am wohl wichtigsten Punkt. Und das hat viel mit der Volksrepublik China zu tun.
Von Anfang an sollten die Sanktionen vor allem die russische Rüstungsindustrie treffen, um Putins Kriegsmaschinerie zu schwächen. Deshalb einigten sich die G7-Staaten bereits unmittelbar nach dem Überfall auf die Ukraine darauf, den Export von Dual-Use-Gütern zu unterbinden. Es geht vor allem um elektronische Bauteile und Komponenten, die man sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke nutzen kann. Am Anfang funktionierte das Exportverbot relativ gut. Zeitungsberichte machten die Runde, dass die Russen die Halbleiter für die Steuerung ihrer Raketen aus Waschmaschinen ausbauen mussten.
Inzwischen aber läuft die Produktion in der russischen Rüstungsindustrie wieder auf vollen Touren. In Putins Raketen findet man Computerchips und Kabelstecker aus den USA und Europa. Sie gelangen nicht auf direktem Wege in das Land, sondern über die Volksrepublik China. Vor allem Hongkong ist zur Drehscheibe des illegalen Handels mit Dual-Use-Gütern geworden. Zuletzt lieferten chinesische Unternehmen pro Monat Maschinenbau- und Elektronikgüter im Wert von 3,6 Mrd. Dollar nach Russland, wie der Berliner Osteuropaforscher Janis Kluge errechnete. Ohne diese Exporte aus China wäre Putins Rüstungsindustrie kaum noch funktionsfähig.
Von „Neutralität“ kann keine Rede mehr sein
Man kann in dem ganzen Komplex gut die Doppelzüngigkeit der chinesischen Führer studieren. Einerseits liefert China nach bisherigen westlichen Erkenntnissen keine Waffen und Granaten nach Russland, wie es Nordkorea und der Iran tun. Xi Jinping will so verhindern, dass sein Land selbst mit schweren Sanktionen belegt wird. Auf der anderen Seite aber unterstützt China Putins Krieg indirekt immer stärker. Von „Neutralität“ kann keine Rede mehr sein, obwohl sie in Peking immer noch und immer wieder beschworen wird.
Die Europäer haben bisher nur einige wenige chinesische Unternehmen direkt aufs Korn genommen. Sie übermittelten immer wieder Listen mit chinesischen Sanktionsverstößen nach Peking, ohne das etwas geschehen ist. Doch wenn die EU-Länder und die Amerikaner Putins Kriegsmaschinerie treffen wollen, werden sie künftig nicht darum herumkommen, sich stärker mit der Volksrepublik China anzulegen. Bisher zucken sie noch davor zurück, um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen im Reich der Mitte nicht zu gefährden. Doch letztlich gilt für Xi Jinping das gleiche wie für Putin: Beide verstehen nur eindeutige Ansagen und eine Politik der Stärke.