Anzeige

Stromnetz Rückkehr zur „Monstertrasse“? Die Erdkabel-Pflicht steht vor dem Aus

Stromtrasse im Sonnenuntergang in Nordrhein-Westfalen
Die Netzagentur schätzt das gesamte Investitionsvolumen für den Ausbau der Übertragungsnetze ab jetzt bis 2045 auf rund 320 Milliarden Euro
© Manngold / IMAGO
Die Energiewende kostet Milliarden. Eine Möglichkeit, um die Kosten zu senken, könnte der Verzicht auf Erdkabel sein. Die Zahl der Befürworter von oberirdischen Trassen wächst

Ohne neue Leitungen kommt Windstrom aus dem Norden nicht in den Süden. Doch muss der Transport über teure Erdkabel laufen? Nein, finden nicht nur einige Länder, sondern auch drei von vier Betreibern der großen Übertragungsnetze. Einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge regen TransnetBW, Tennet und 50Hertz an, die Pflicht zur Erdverkabelung zu überdenken.

Auch der Energieversorger EnBW aus Karlsruhe unterstützt den Wechsel von Erdverkabelung zu Freileitungen bei den neuen Projekten „Ostwestlink“, „Nordwestlink“ und „Südwestlink“. „Das könnte die Kosten fast halbieren", sagt Finanzvorstand Thomas Kusterer ntv.de. „Freileitungen sind zudem einfacher und schneller zu bauen. Denn wir können es uns schlicht nicht leisten, Effizienzen nicht zu realisieren. Schließlich können wir jeden Euro nur einmal ausgeben.“

Um die Klimaziele in Deutschland zu erreichen, müsse man weiter massiv in den Umbau des Energiesystems investieren. „Das benötigte Kapital für die Energiewende zu mobilisieren und Investitionen zu ermöglichen, ist womöglich die größte Herausforderung der kommenden Jahre“, so Kusterer. „Die Akzeptanz der Energiewende könnte dabei stark leiden, wenn die Netzausbaukosten unnötig steigen.“

Einsparpotenzial von knapp 35 Mrd. Euro

Dabei war der seit Anfang 2016 geltende Erdkabelvorrang für große Stromautobahnen von der Großen Koalition aus Union und SPD eingeführt worden, um die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Netzausbau zu erhöhen. Hintergrund waren Sorgen vor sogenannten Monstertrassen mit ihren rund 75 Meter hohen Masten. Doch das Umdenken hat auch in der Politik schon begonnen.

Die Klimaunion innerhalb von CDU und CSU sowie der CDU-Wirtschaftsrat sprechen sich längst für ein Umlenken aus. Die Länder Baden-Württemberg und Sachsen bringen am morgigen Freitag die Initiative „Freileitung statt Erdkabel“ in den Bundesrat ein. Am deutlichsten fällt der Kurswechsel beim bayerischen Ministerpräsident Markus Söder aus. Der sagte an diesem Donnerstag im bayerischen Landtag, künftig solle der Grundsatz gelten: „überirdisch wo möglich, unterirdisch wo nötig“. Bislang war die CSU in Deutschland einer der vehementesten Verfechter von Erdverkabelung.

Alle Vorstöße eint das Argument: Erdkabel sind wesentlich teurer als Freileitungen – auch für die Verbraucher. Schließlich werden die Kosten über die Netzentgelte auf alle Stromkunden umgelegt. Die Netzagentur schätzt das gesamte Investitionsvolumen für den Ausbau der Übertragungsnetze ab jetzt bis 2045 auf rund 320 Mrd. Euro – einschließlich der Wind-auf-See-Anbindungen. Beim Verzicht auf Erdkabel schätzt die Behörde das Einsparpotenzial für Projekte an Land auf 16,5 Mrd. Euro. Zusätzlich könnten weitere Einsparungen von 18,8 Mrd. Euro bei Offshore-Anbindungsleitungen, die bisher als Erdkabel teilweise bis weit ins Landesinnere weitergeführt werden sollen, möglich sein. Der Unterschied der beiden Berechnungen beträgt damit 35,3 Mrd. Euro.

Antrag unterschlägt nicht Gefahr von Konfliktpotenzial

„Freileitungen haben unbestritten Kostenvorteile. Gleichzeitig müssen wir verhindern, dass wir die Beschleunigung, die wir erreicht haben, wieder verlieren“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ den Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller. Man könne deswegen allenfalls für drei Neubau-Leitungen noch diskutieren, ob man den Erdkabelvorrang aufgibt.

Würden die Leitungen Nordwestlink, Südwestlink und Ostwestlink oberirdisch geplant, gebaut und betrieben, schätzt Müller die potenziellen Einsparungen auf rund 16,5 Mrd. Euro. Von einem ähnlichen Einsparpotenzial mit bis zu 20 Mrd. Euro gehen die Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW, Tennet und 50Hertz aus. Die Trassen sollen ab 2037 in Betrieb gehen. Der Beginn der Bauarbeiten ist für 2028 geplant.

Freileitungen bieten laut der Initiative der Länder Baden-Württemberg und Sachsen neben den deutlich geringeren Kosten auch weitere Vorteile: Sie können schneller errichtet werden, verursachen einen deutlich geringeren Eingriff in den Boden und weisen Vorteile beim späteren Betrieb auf. Der Antrag unterschlägt allerdings auch nicht: Die lokale Akzeptanz birgt durchaus Konfliktpotenzial. Doch die hohen Energiepreise der Vergangenheit, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, habe die Bürger für die Energiewende sensibilisiert.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.

Mit Agenturen/ dpa

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel