Im Juni 2019, bei der letzten physischen Hauptversammlung von Rocket Internet, schien es, als hätte Oliver Samwer tatsächlich Gefallen gefunden an diesen eigentümlich ritualisierten Treffen. Launig parierte er die kritischen Fragen der Aktionäre („Jetzt können Sie sagen: Vollidiot!“), in seltener Offenheit gab er zu, dass es an neuen vielversprechenden Ventures aus seiner Start-up-Fabrik gerade mangelte („Die Pipeline ist ein bisschen dünn“) und bemühte sich einmal mehr, das Konzept hinter Rocket Internet den Anteilseignern zu erklären („Wir machen dasselbe seit 2008, wir suchen Ideen“).
Als das Aktionärstreffen in diesem Frühjahr wegen Corona ins Internet verlegt werden musste, war da ein anderer CEO zu erleben: Müde las er vorgefertigte Antworten in die Kamera, erklärte zum wiederholten Mal, dass Erfolge eben nicht am Fließband produziert werden könnten und ließ das ganze wie eine lästige Pflichtübung aussehen.
Denn das war es im Grunde: In Berlin war es seit langem ein offenes Geheimnis, dass CEO und Gründer Oliver Samwer die Formalien, Pflichten und Erfordernisse der Börsennotierung seines Company Builders Rocket Internet als störend empfand. Die Frage, welchen Sinn das Dasein als gelistetes Unternehmen überhaupt hatte, wurde in der Szene häufig gestellt – und eigentlich niemand, selbst aus dem Rocket-Umfeld, konnte sie befriedigend beantworten.
Heute hat Samwer nun die Antwort gegeben: Er will Rocket Internet von der Börse nehmen . Das kommt spät, ist aber konsequent. Denn Rocket und die Börse, das war vor allem die Geschichte eines Missverständnisses.
Es fehlten die zündenden Ideen
Als Samwer seinen Inkubator 2014 an die Börse brachte, schien das wie die vorläufige Krönung seiner Karriere als Seriengründer, eine öffentliche Auszeichnung und für die deutsche Wirtschaft ein Signal, dass die Digital Economy in Zukunft noch mehr im Vordergrund stehen würde – der Gang an die Börse wirkte wie der natürliche nächste Schritt.
Für Rocket sollte das Listing den Zugang zu Kapital noch einfacher machen und damit das Wachstum beschleunigen. Anleger würden auf der anderen Seite vom Rocket-Erfolgsrezept profitieren können: Ideen scouten, entsprechend Firmen bauen und groß machen und sie schließlich mit hohem Ertrag verkaufen oder an die Börse bringen.
Dass Rocket das im Prinzip beherrscht, haben die Berliner in den vergangenen Jahren immer wieder und weiter unter Beweis gestellt – Zalando, Hellofresh oder Delivery Hero sind die spektakulärsten Beispiele dafür. Der Verkauf der eigenen Anteile spülte Rocket Milliarden in die Kassen. Allerdings fehlten in der Folge die zündenden Ideen für die nächste Generation an Start-ups – und für die paar neuen Ventures, die auf die Straße gebracht wurden, brauchte es die Milliarden aus dem Cash-Bestand auf absehbare Zeit überhaupt nicht.
Grummelnde Aktionäre
Und so stellte sich unter den Rocket-Aktionären ein stetig anwachsender Unmut ein: Der Aktienkurs blieb konstant weit unter Ausgabepreis (42,50 Euro) und Allzeithoch (56,67 Euro) von 2014, stattdessen dümpelte das Papier irgendwo zwischen 16 und 30 Euro. Der Forderung, die Anleger wenigstens mit einer Dividende zu entschädigen, stellte sich Samwer störrisch entgegen und verwies auf die vergleichbare Praxis von US-Tech-Konzernen.
Aber ein Tech-Konzern war Rocket eben nie – sondern eine Beteiligungsholding für Start-up-Investments. In diesem Geschäft sind Erfolge notorisch schlecht planbar und sehr erfolgreiche Phasen können sich mit langen Durststrecken abwechseln. Auch wenn Samwer es immer wieder versuchte, gelang es ihm nie, den Aktionären die Eigenheiten dieses Geschäftsmodells überzeugend zu erklären.
Das ist zum Teil den begrenzten kommunikativen Fähigkeiten des CEOs und seinem verschlossenen Unternehmen geschuldet – aber es beruht auch auf der Tatsache, dass die Börse einfach kein guter Ort für Start-up-Investoren ist (das zeigen übrigens auch die Aktienkurse von German Start-ups Group und Mountain Alliance – zwei weiteren, allerdings deutlich kleineren börsennotierten Start-up-Beteiligungsfirmen).
Das hat nun auch Oliver Samwer eingesehen. Als Chef eines privaten Unternehmens wird er sich wieder mit voller Energie und ungestört von Kurskapriolen und Anlegerfragen dem Scouten und Investieren widmen können. Und sehr wahrscheinlich wird er damit weiter erfolgreich sein.

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