Die Person, um die es seit Montag im Landgericht München geht, ist aus der Nähe nicht erkennbar. Man muss sich ein paar Meter vom Eingang des Justizpalastes wegbewegen und den Kopf in den Nacken legen, um sie zu sehen: Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, thront oben auf dem Giebel des Gebäudes, flankiert von Unschuld und Laster.
Justitias Anwesenheit im Prozess gegen Uli Hoeneß ist sinnbildlich, in mehrfacher Hinsicht. Im Sitzungssaal 134 des Gebäudes geht es seit Montagmorgen um sie, die Gerechtigkeit. Sie war das Leitmotiv in den Debatten über den Fall der vergangenen Monate. Sie ist das sehr gewichtige Argument derjenigen, die die Abschaffung der steuerlichen Selbstanzeige fordern. Aber erkennbar ist sie an diesem Tag allenfalls aus der Distanz.
Recht ist nicht Gerechtigkeit, das lernt man schon im Grundstudium. Der Münchner Prozess bietet wieder einmal reichlich Anschauungsmaterial dafür. Ob Hoeneß verurteilt wird, ist keine Frage der Gerechtigkeit. Oder jedenfalls nur in einem sehr weiten Sinne.
Es geht nicht um schuldig oder unschuldig
Pech für Hoeneß, heißt es unter den Kennern, dem Richter eile der Ruf voraus, „ein harter Hund“ zu sein, der keinerlei Milde für Steuersünder aufbringe. Es frappiert, mit welcher Selbstverständlichkeit akzeptiert wird, dass die Persönlichkeit oder Psyche eines Richters über den Ausgang eines Verfahrens entscheiden. Das mag in der Praxis so sein – gerecht oder auch nur gut ist es nicht. Die Funktionsfähigkeit des Rechtssystems basiert darauf, dass es auf Gesetzen beruht, die für alle gleichermaßen gelten.
Aufgabe eines Richters ist es, Gesetze anzuwenden. Wenn er sie auslegen muss, ist das Paragraphenwerk nicht besonders gut gelungen. Wenn sie ihm freie Hand lassen, ist es misslungen. Im - theoretischen - Idealfall kommen verschiedene Richter im gleichen Fall zum gleichen Ergebnis. Die Spielräume, die das Gesetz lässt, sollten sich auf den Fall beziehen, nicht auf die Befindlichkeit des Richters.
Der Prozess gegen Hoeneß wartet dazu noch mit einer besonderen Absurdität auf: Hier geht es gar nicht um schuldig oder nicht schuldig, diese Frage hat der Angeklagte mit seinem Geständnis schon selbst beantwortet. Ob der Fußball-Manager verurteilt wird, hat aber auch nichts mehr mit der Tat selbst zu tun. Seine Verurteilung hängt stattdessen vor allem davon ab, ob es ihm gelungen ist, die Selbstanzeige steuerlich korrekt abzufassen.
Einfallstor für eifrige Staatsanwälte
Im Klartext: Vor Gericht wird darüber verhandelt, wie gut Hoeneß’ Gedächtnis, seine Buchhaltung, Rechenkünste oder sein Anwalt waren, als er das Dokument aufsetzte. Hat er bei der Zusammenstellung ein paar Schweizer Transaktionen übersehen, ist er dran. Hat er den Formalia Genüge getan, ist er aus dem Schneider.
Die Bestimmung, dass Steuerhinterzieher bei einer Selbstanzeige nur dann straffrei ausgehen, wenn sie dem Finanzamt alles umfassend offenlegen, ist von der Idee her richtig. Doch wenn sie zum Einfallstor für eifrige Staatsanwälte wird, um Selbstanzeigen auszuhebeln, pervertiert sich die Regelung. Entscheidend müsste doch die Frage sein: Wollte sich der Betrüger wirklich ehrlich machen? Und nicht: Sind ihm dabei handwerkliche Fehler unterlaufen?
„Verunglückte Selbstanzeige“ nennen die Fachleute das Phänomen, der versehentlich mangelhaften Offenlegung. Der Prozess in München, glauben Juristen, könnte ein Präzedenzfall dafür werden, wie die Rechtsprechung damit umgeht. Gerechtigkeit wird er nicht schaffen.
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