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Kommentar Putin in Panik

Die russische Zentralbank versucht den Rubelverfall zu stoppen. Bald dürfte auch die Regierung unter Druck geraten. Von Nils Kreimeier
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Präsident Putin: Die wirtschaftliche Lage Russlands wird immer prekärer
© Getty Images

In den vergangenen Wochen kursierte ein Witz in Moskau, in dem es darum geht, wann sich der Dollarkurs des Rubels, der Ölpreis und das Alter Wladimir Putins treffen würden. Russlands Präsident wird im kommenden Jahr 63 – und diese Zahl, so die Prognose, könnte dann im Jahresschnitt auch für die beiden anderen Kategorien gelten. Schon das wäre eine Katastrophe für die russische Wirtschaft.

Seit Dienstag allerdings dürften sich manche in Russland fragen, ob sie diesem Rennen nicht noch einen weiteren Indikator hinzufügen sollten. Die Zentralbank erhöhte in ihrem Kampf gegen den Rubelverfall den Leitzins über Nacht um 6,5 Prozentpunkte auf spektakuläre 17 Prozent. Es ist der verzweifelte Versuch, in die Spirale aus Ölpreisverfall, Rubel-Absturz und Kapitalflucht einzugreifen und ein Chaos im russischen Finanzsektor abzuwenden. Allerdings auf Kosten eines Zinssatzes, der mit einiger Sicherheit dem letzten Rest an wirtschaftlicher Dynamik im Land den Garaus machen wird.

Die russische Führung, die sich nach der Annexion der Krim im Glanz eines neuen Selbstbewusstseins sonnte, ist in Panik geraten. Der Preis für ein Barrel (1 Barrel=159 Liter) der Referenz-Erdölsorte Brent liegt mittlerweile unter 60 Dollar, womit der Gegenwert des wichtigsten russischen Exportguts seit dem Sommer um fast die Hälfte gesunken ist.

Rezession ist ausgemachte Sache

Der Rubel ist in freiem Fall, was dafür sorgen könnte, dass die Inflationsrate gegen Ende des Jahres einen zweistelligen Wert erreicht. Für kostspielige Weihnachtsgeschenke dürfte vor allem die Mittelschicht in diesem Jahr kaum Geld übrig haben. Hinzu kommen die Finanzsanktionen des Westens, die es einem Großteil des russischen Bankensektors immer schwieriger macht, sich im Ausland zu refinanzieren.

Eine Rezession ist im Grunde schon ausgemachte Sache, die Frage ist nur noch, wie scharf sie ausfallen wird. Die immer noch gewaltigen Devisenreserven von gut 400 Mrd. Dollar können da schneller wegschmelzen als die Eisskulpturen, die auch in diesem Winter wieder im Moskauer Gorkipark errichtet werden.

In dieser fatalen Phase wird der Druck steigen, durch personelle Konsequenzen irgendeine Form von Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Aus der Staatsduma kamen bereits weitgehend absurde Vorwürfe an die Führung der Zentralbank. Doch ein Wechsel an deren Spitze dürfte weder in der Sache helfen noch die wachsende Nervosität in der Bevölkerung beruhigen.

Suche nach Sündenböcken

Ernster zu nehmen ist da schon eine andere Stimme: Der frühere Finanzminister Alexej Kudrin, der nach wie vor als Vertrauter Putins gilt, schrieb am Montag auf Twitter, Rubelverfall und Börsen-Absturz seien auch ein Zeichen des „Misstrauens gegenüber der Wirtschaftspolitik der Regierung“. Es ist nicht auszuschließen, dass im Kabinett von Premier Dmitri Medwedew bald Sündenböcke gefunden werden.

Zwar dürfte Putin mit solchen Schritten auch vorsichtig sein: Je mehr Leute ausgetauscht werden, desto deutlicher wird nach außen, dass es für die sich ausweitende Krise auch eine politische Verantwortung gibt – und desto klarer wird, dass dies auch ihn selbst betrifft. Immer aber, wenn es wirtschaftlich eng wurde in den vergangenen Jahrzehnten, hat Russland mit Wechselspielen an der Spitze reagiert. Und das Ausmaß der Krise bestimmte oft auch den Umfang des Umbruchs.

Die EU sollte sich darauf gefasst machen, dass sie es bald mit neuem Personal in der russischen Führung zu tun bekommt. Und es wird spannend sein zu sehen, wofür die neuen Leute stehen: für einen Dialog mit dem Westen oder für Funkstille.

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