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Interview „Prepper sorgen systematisch für Krisen wie diese vor “

Symbolfoto Prepper
Symbolfoto Prepper
© Michael Eichhammer / IMAGO
Prepper wappnen sich systematisch für Krisen wie die Corona-Pandemie. Kulturanthropologe Julian Genner von der Universität Freiburg untersucht die Szene und erklärt, was ihre Angehörigen richtigmachen – und wo sie falsch abgebogen sind

Capital: Sogenannte Prepper – abgeleitet von „to prepare“, vorbereiten – rechnen seit langem mit einer Krise. Nun ist sie da. Hätten Normalbürger mehr auf die Prepper-Szene hören sollen?

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Julian Genner

JULIAN GENNER: Jein. Diese Menschen sorgen vor, weil sie damit rechnen, dass der Staat in einer Krise versagt und sie komplett auf sich allein gestellt sind. Also horten sie Wasser, Hygieneartikel, Lebensmittel und teilweise auch Waffen, um im Ernstfall ohne Polizei, Stadtwerke, Supermärkte und Strom mehrere Monate überleben zu können. Angesichts der Corona-Krise sehen sich manche Prepper in ihrem Handeln bestätigt. Aber: Nur weil es zu einer Krise kommt, haben wir nicht direkt Zustände wie in der apokalyptischen Serie „The Walking Dead“. Alle Staatsorgane funktionieren weiterhin, das Wasser sprudelt aus der Leitung, Strom und Internet sind stabil, noch – wie einige Prepper wohl ergänzen würden.

Die Toilettenpapierregale sind dank Hamsterkäufen allerdings vielerorts immer noch leer. Steckt in uns allen ein kleiner Prepper?

Sowohl Hamsterkäufer als auch Prepper versuchen, ihren gegenwärtigen Lebensstandard in einer unsicheren Zeit zu bewahren. Im Unterschied zu Hamsterkäufern gehen Prepper ihre Krisenvorsorge mit System an und führen Listen. Sie kalkulieren, wie viel sie wovon für ein autarkes Leben brauchen. Dazu gehören neben Lebensmitteln und Hygieneartikeln auch Medikamente, Gaskocher, Wasserfilter oder Stromgeneratoren. Workshops zu diesem Thema sind seit Jahren beliebt. Die Corona-Krise wird diesen Trend sicher weiter befeuern. Ich habe bei meinen Recherchen und Befragungen den Eindruck bekommen, dass viele Prepper jetzt denken: „Gestern wurde ich noch belächelt, heute bin ich ein Vorbild.“

Was macht den Durchschnittsprepper aus?

Prepper sehen sich als Visionäre, die ihrer Zeit voraus sind, als Macher, die Herausforderungen nicht scheuen, nie aufgeben und für jedes Szenario gewappnet sind. Die meisten Top-Manager würden von sich wohl dasselbe behaupten. Wie das Top-Management ist auch Preppen tendenziell eine Männerdomäne. Der heroische Kampf um das Überleben der eigenen Familie oder des Unternehmens in einer Krise erfordere, so eine gängige Sichtweise, männlich konnotierte Eigenschaften wie Stärke, Risikobereitschaft, Selbstbeherrschung oder Dominanz. Preppen ist dem Mainstream näher, als man denkt.

Wie viel praktische Krisenvorsorge ist sinnvoll? Wo verläuft die Grenze zwischen Vernunft und Wahn?

Das hängt davon ab, wen man fragt. Wenn Sie einen Prepper fragen, ist sein voller Keller natürlich eine notwendige Vorsorge, genauso wie für jemand anderen ein teures Auto essenziell ist, um von A nach B zu kommen. Wir neigen vorschnell dazu, unsere eigenen Lebensgewohnheiten und Selbstverständlichkeiten für sinnvoll zu halten und Menschen, die auf andere Dinge Wert legen, pauschal für verrückt zu erklären. In puncto Krisenvorsorge bieten Empfehlungen des ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine Orientierungshilfe. Er hat 2016 dazu geraten, einen Lebensmittelvorrat für zwei Wochen zu Hause zu haben. Aus meiner Sicht ist das ausreichend. Wir sehen ja gerade, dass die Supermärkte weiterhin wie gewohnt offen haben und die Regale voll bleiben. Ein kleiner Vorrat schützt aber davor, jeden Tag in den Supermarkt zu müssen.

Ein voller Keller klingt erst einmal ungefährlich. Trotzdem steht die Prepper-Szene unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, da einige Anhänger rechtsextreme Tendenzen aufweisen. Wie kommt man vom Lebensmittelhorten zum Rechtsextremismus?

Prepper bereiten sich ja auf Krisen vor, weil sie davon ausgehen, dass der Staat in so einer Situation die Versorgung und den Schutz seiner Bürger nicht leisten kann, vielleicht sogar zusammenbricht. Dieses grundlegende Misstrauen in Staat und Wirtschaft birgt eine gewisse Anfälligkeit für Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus. Das heißt aber nicht, dass alle Prepper solche Tendenzen zeigen. Manche fürchten an jeder Ecke eine Gefahr, andere fühlen sich mit ihrem Vorrat sicher und gut gewappnet für die Zukunft – und das ist ja der eigentliche Sinn von Vorsorge.

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