Manchmal kommt der Fortschritt in Deutschland seltsam umständlich daher – zum Beispiel in Form des Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich, umgangssprachlich auch: Planungsbeschleunigungsgesetz. 148 Seiten, eng bedruckt mit zahllosen Streichungen, Einfügungen und neuen Halbsätzen, für Außenstehende ist das alles kaum zu verstehen. Und doch ist das Gesetz dazu geeignet, unseren Alltag auf der Straße und der Schiene in den kommenden Jahren sehr deutlich zu verändern. Zuerst negativ, und dann hoffentlich deutlich zum Besseren.
Worum geht es? Um nichts weniger als die Überwindung des wortwörtlichen Stillstands in diesem Land: Autobahnbrücken, die den Verkehr nicht mehr tragen und deshalb gesperrt sind; Züge, die nicht kommen, weil Weichen und Signalanlagen defekt sind oder das Gleisbett abgesackt ist. Millionen Menschen machen tagtäglich diese Erfahrungen, wenn sie auf zugigen Bahnsteigen auf ihren Zug warten oder sich zum Beispiel zwischen Frankfurt und Köln oder dem Ruhrgebiet über zugestaute Nebenstrecken quälen. Das Gesetzespaket, das der Bundestag heute beschlossen hat, ist damit auch: ein Gesetz zur Überwindung des Frusts in diesem Land.
So sieht das Gesetz vor, dass so genannte Ersatzneubauten von Autobahnbrücken künftig kein eigenes Planfeststellungsverfahren mehr brauchen, auch wenn diese dann eine Fahrbahn mehr haben werden oder etwas anders, hoffentlich moderner, filigraner und schöner aussehen als die heute maroden Betonklötze aus den 60er-Jahren. Bisher war dies häufig vorgeschrieben und machte aus den Genehmigungsverfahren für solche Ersatzneubauten Projekte für mehrere Generationen. Dabei muss Deutschland in den kommenden Jahren Tausende Autobahnbrücken erneuern oder gleich ganz neu bauen.
Das Gesetz sieht auch vor, dass knapp 140 Autobahnabschnitte und mehr als 300 Bauvorhaben auf der Schiene vorangetrieben werden sollen. Mehr als 80 Mrd. Euro stehen für die Sanierung maroder Bahnstrecken in den kommenden Jahren zur Verfügung. Zudem sollen Solarparks und Windanlagen entlang von Autobahnen schneller gebaut werden können, auch wird der Bau von Radwegen erleichtert. All diese Projekte sind überfällig und stehen künftig „im überragenden öffentlichen Interesse“. Damit können sie schneller geplant und genehmigt werden. Dabei wird wahrscheinlich nicht das inzwischen berühmt-berüchtigte „Deutschland-Tempo“ herauskommen, mit dem in der Gaskrise im vergangenen Jahr die Flüssiggas-Terminals an Nord- und Ostsee hochgezogen wurden und von dem der Kanzler seither so gerne phantasiert.
Verbesserungen erst in vielen Jahren spürbar
Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Zuerst wird es noch schlimmer werden, bevor es endlich besser werden kann. Bahnreisende zwischen Frankfurt und Mannheim werden es schon ab dem kommenden Jahr spüren, wenn die wichtige Strecke dort für Monate komplett gesperrt und neu gebaut wird. Statt mit dem ICE geht es auf dem Abschnitt dann mit Bussen weiter. Erst in drei bis fünf Jahren, sagen Verkehrsexperten und Manager, werde man die Verbesserungen richtig spüren. Bis dahin helfen Geduld und die Einsicht: Besser spät als nie.
Doch das Gesetzespaket der Ampel-Koalition ist auch auf einer anderen Ebene einen Blick wert: Monatelang war es hochumstritten, wurde vorgelegt, aufgehalten, hoch- und runterdiskutiert, Koalitionsausschüsse und Krisenrunden tagten stundenlang. Was jetzt herauskommt, ist weit mehr als viele Vorgängerregierungen im Verkehrsbereich auf den Weg gebracht haben. Und doch will niemand – vielleicht mit Ausnahme des zuständigen Ministers heute – noch von einem Fortschritt für das Land sprechen.
Hintenrum kritteln und hadern alle Beteiligten, es geht nur darum, wer sich wo durchgesetzt oder was wer wo verhindert hat und was noch alles hätte geregelt werden können und müssen – und nicht darum, was nun endlich kommt. Der Kitt in der Ampelkoalition ist inzwischen bröseliger als die Autobahnbrücken auf der A45.
Das ist gleich aus mehreren Gründen ein Problem: Das toxische Klima zwischen SPD, FDP und Grünen lähmt die Regierung, die eigentlich noch zwei Jahre zum Regieren hat (oder zumindest etwas mehr als ein Jahr, wenn man das Wahljahr 2025 einmal großzügig abzieht) und weiterhin vor großen Problemen stehen wird. Aber statt Aufbruch, Fortschritt oder wenigstens einem beherzten Krisenmanagement spürt man inzwischen überall in diesem Bündnis eine extreme Gereiztheit und Missgunst, die jedes weitere Gesetzesvorhaben erschweren oder verunmöglichen werden. Egal, ob es um Finanzen, Energie, Verkehr, die Migration oder auch die Außenpolitik geht: Man hat den Eindruck, jeder Minister und jede Ministerin kämpfen in dieser Koalition für sich und gegen alle anderen im Kabinett.
Streit statt Planungssicherheit
Dabei warten noch einige wichtige Vorhaben auf Umsetzung: etwa die Reform der gesetzlichen und privaten Altersvorsorge, die sich die Koalition für das kommende Jahr vorgenommen hat, die Millionen Menschen in ihrer ganz konkreten Lebens- und Finanzplanung betrifft – und die seit Monaten in einem ideologischen Streit festhängt, Ausgang völlig offen. Oder der weitere Umgang mit der Energie- und Wirtschaftskrise – jene klaren Rahmenbedingungen, die die Industrie zu Recht seit Monaten einfordert und die sie braucht, um einigermaßen verlässlich Investitionen hier (oder im Zweifelsfall künftig eben im Ausland) planen zu können – und die sie einfach nicht bekommt, weil sich Kanzler, Wirtschafts- und Finanzminister nicht einigen können. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen und betrifft inzwischen praktisch alle Ressorts der Regierung, die seit Wochen und Monaten an ihren Gesetzesvorhaben sitzen.
Der immer wieder schrille Streit unter den Koalitionspartnern zieht inzwischen zudem das ganze Land mit nach unten. Die schlechte Stimmung in den Unternehmen, die zurückhaltende Konsumlaune der Verbraucher, die große Frustration, die auch in den jüngsten Wahlen in Hessen und Bayern zum Ausdruck kam: All dies hat – nicht nur, aber auch – seinen Ursprung in einer Regierungskoalition, die lieber gegen- als miteinander arbeitet.
Heute Abend treffen sich die Spitzen von SPD, FDP und Grünen erneut zu einem Koalitionsgipfel. Von Neustart will ja schon niemand mehr sprechen, zu oft wurde der in den vergangenen Monaten versprochen und ging dann kurz darauf krachend schief. Man ist ja bescheiden geworden: Ein konkreter Plan, was die Ampel in den nächsten sechs bis zwölf Monaten noch schaffen will, das wäre ja auch schon was.