Einchecken, einkaufen und wieder nach Hause gehen, ohne an der Kasse zu bezahlen. Mit dem kassenlosen System „Just walk out“ wollte Amazon den Einkauf im amerikanischen Supermarkt revolutionieren. Eine große Expansionen im stationären Lebensmittelhandel wurde angekündigt. Traditionelle Supermarktketten befürchteten bereits ihren Niedergang, doch Amazons Erfolg blieb bisher aus. Im vierten Quartal 2022 gab der Online-Riese 720 Mio. Dollar aus, um sein Lebensmittelgeschäft wieder zurückzufahren. Vor allem Mietverträge mussten aufgehoben werden.
Dabei hatte Amazon vor sechs Jahren noch massiv investiert und für 13,7 Mrd. Dollar die amerikanische Supermarktkette Whole Foods übernommen. Damit wollte der Onlinehändler im stationären Lebensmittelgeschäft Fuß fassen und dazu eigene Filialmarken etablieren: die Convenience-Stores von „Amazon Go“ und die mit normalen Supermärkten vergleichbaren „Amazon Fresh“-Läden, benannt nach Amazons Lieferdienst für Lebensmittel. Dort werden Fertigprodukte, abgepacktes Obst und Gemüse sowie andere Produkte des täglichen Bedarfs angeboten.
Der erste „Amazon Go“-Store eröffnete 2018 in Seattle, wo das Unternehmen seinen Sitz hat. Hier wurde auch die „Just walk out“-Technologie ausgiebig getestet, die seitdem in den Amazon-Supermärkten eingesetzt wird. Sie funktioniert so:
Kunden installieren die Amazon Go-App auf ihrem Smartphone und hinterlegen dort ihre Zahlungsart. Im Laden checken sie dann über einen persönlichen QR-Code ein und suchen ihre Produkte aus. Dabei werden sie von Deckenkameras beobachtet, die erkennen, was im Einkaufswagen landet. Gewichtssensoren in den Regalen registrieren zusätzlich, ob etwas herausgenommen oder zurückgestellt wird. Wer fertig ist, checkt über den QR-Code wieder aus, verlässt das Geschäft und bekommt die Rechnung per E-Mail zugeschickt.
Neustart nach Expansions-Stopp erwartet
Das „Amazon Go“-Konzept soll so bequem sein wie der Online-Einkauf. In Nordamerika gibt es momentan rund 30 dieser Geschäfte. International verfolgte Amazon in Großbritannien große Pläne. 240 Filialen von „Amazon Fresh“ sollten bis Ende 2024 eröffnen. Doch vergangenes Jahr berichtete die „Sunday Times“ vom Stopp der Expansion. Die bereits eröffneten zwölf Stores im Großraum London hätten nicht die erwarteten Umsätze gebracht, teilte das Unternehmen damals mit.
Dazu hat Amazon 2022 alle anderen stationären Geschäfte, vor allem Buchläden und Pop-up-Stores, ganz geschlossen – mit der Begründung, sich stärker auf das Lebensmittelgeschäft zu konzentrieren. Dass die Strategie im stationären Handel bisher nicht erfolgreich war, muss aus Sicht des Experten Richard C. Geibel vom E-Commerce-Institut Köln jedoch nicht viel heißen. „Es gibt hier kein eindeutiges Richtig oder Falsch“, erklärt er. „Vielmehr ist die Akzeptanz des kassenlosen Systems bisher noch nicht groß genug. Die Zielgruppen und Produkte von Amazon sind so verschiedenartig, dass man unterschiedliche Konzepte ausprobieren muss.“
Genau das scheint Amazon gerade zu tun. Man experimentiere mit dem Sortiment, den Preisen und anderen Kassenformaten, sagte Amazon-Chef Andy Jassy gegenüber der „Financial Times“. 2023 wolle Amazon mit einem neuen Format „groß rauskommen“. Über Einzelheiten lässt sich nur spekulieren, aber das Kauferlebnis könnte ein entscheidender Punkt sein. „Amazon hat die neueste Technologie und die ist ein entscheidender Erfolgstreiber“, sagt Geibel. „Aber das persönliche Kauferlebnis, wie es große luxuriöse Modemarken zum Beispiel bieten, fehlt ihnen häufig.“
Nicht zuletzt die soziale Komponente sei beim Einkauf nicht zu unterschätzen. Zwar kaufe man im Supermarkt Lebensnotwendiges, aber die Coronapandemie habe die Supermärkte wieder als Treffpunkte in Erinnerung gerufen. Auch deshalb wächst der Online-Lebensmittelhandel zwar, wird den physischen Supermärkte aber noch nicht gefährlich. In Deutschland machte er 2021 nur 2,7 Prozent des Gesamtumsatzes im Lebensmittelgeschäft aus. Bei Amazon lag der Anteil der physischen Einzelhandelseinheit am Gesamtumsatz bei 3,6 Prozent im Jahr 2021 und war damit auch eher gering. Das Wachstum in diesem Sektor betrug in den vergangenen Jahren nur zehn Prozent.
Auf die Verzahnung kommt es an
Für ein stetiges Wachstum braucht es die richtige Balance und Integration von Online- und Offline-Geschäft. „Wir werden eine wachsende Koexistenz beider Welten sehen, die sich zunehmend verzahnen“, sagt Geibel. „Die Vision ist, dass die Kunden im Einkaufsprozess hin- und herspringen können und am Ende gar nicht mehr zu unterscheiden ist, über welchen Kanal und Kontaktpunkt letztlich gekauft wurde.“
Das scheint Amazon mit einem neuen Filialkonzept machen zu wollen – allerdings im Modebereich. Hier soll neben dem Lebensmittelgeschäft dieses Jahr der Fokus der Offline-Strategie liegen. Das Unternehmen will bald den ersten „Amazon Style“-Store in den USA eröffnen und dort „das Beste von Einkaufen vor Ort und online“ zusammenbringen. Im Laden soll traditionell gestöbert oder ein online entdecktes Produkt zum Anprobieren herbestellt werden können. Dort können die Kunden es eventuell auch direkt zurückgeben, anstatt es selbst zurückschicken zu müssen. Die Amazon Shopping App soll die Integration der Welten perfekt machen: Das Produkt im Laden anprobieren – und falls unentschlossen: scannen, speichern und später zu Hause bestellen.