Karen Horn ist freie Publizistin und Dozentin für ökonomische Ideengeschichte an der Humboldt-Universität Berlin sowie an der Universität Witten/Herdecke. Zudem ist sie Mitherausgeberin und Chefredakteurin der „Perspektiven der Wirtschaftspolitik". Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „Hayek für jedermann – Die Kräfte der spontanen Ordnung“ (FAZ Buch, 2013)
Wo die Furcht vor den Fremden in Feindschaft umkippt, ist Diskriminierung nicht weit. Schon jetzt gibt es Diskotheken, die ihre Türsteher systematisch junge Männer abweisen lassen, die augenscheinlich Flüchtlinge sein könnten – mit der Begründung, die machten doch immer nur Ärger, vertrügen keinen Alkohol und belästigten zu später Stunde die einheimischen Frauen. Da gibt es Privatleute, die ihr gebrauchtes Auto in einer öffentlichen Auktion feilbieten, Ausländer jedoch als Käufer von vornherein auszuschließen versuchen, weil sie damit rechnen, von diesen in irgendeiner Form über den Tisch gezogen zu werden.
Der einzelne mag für das Misstrauen seine Gründe haben. Und doch tut er dem konkreten Individuum unrecht, das er nur deshalb ausschließt, weil er mit anderen Trägern desselben Merkmals – beispielsweise dunkler Hautfarbe – möglicherweise schlechte Erfahrungen gemacht hat. Eine solche Pauschalisierung ist entwürdigend, weil sie den Betroffenen darauf reduziert, dass er dieses eine Merkmal trägt, an das sich pauschale Urteile oder Vorurteile knüpfen. Moralisch geboten ist es, jeden Menschen in seinen verschiedenen Facetten und aufgrund seines relevanten Tuns zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen.
Menschlich ist Diskriminierung – die Benachteiligung eines Individuums aufgrund eines Gruppenmerkmals und ohne Ansehen der Person – ein Desaster. Das heißt aber nicht, dass staatliche Gewalt sie unterbinden muss. Rechtlich gäbe es dazu durchaus eine Handhabe, denn sie verstößt gegen den Geist des Grundgesetzes. Artikel 3 macht die Gleichheit vor dem Gesetz zum Grundrecht. Satz 1 betont: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, einer religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Der Staat muss alle gleich behandeln
Allerdings beziehen sich die Grundrechte in ihrer Eigenschaft als Abwehrrechte vorrangig auf das Verhältnis zwischen Individuum und Staat; es sind mithin vor allem die staatlichen Instanzen, die niemanden wegen eines bestimmten Gruppenmerkmals im negativen wie im positiven Sinne diskriminieren dürfen. In einem Land, in dessen historisch dunkelsten Zeiten nicht nur auf öffentlichen Parkbänken „Nicht für Juden“ zu lesen stand, bedarf dieser Grundsatz besonderer Betonung. Dass der Staat alle Bürger als Gleiche zu verstehen und zu behandeln hat, ergibt sich abgesehen vom abschreckenden Beispiel der Geschichte aber auch schon rein perspektivisch aus der staatsphilosophischen Grundfrage nach der Zustimmungsfähigkeit und der daraus abgeleiteten Legitimität seines Handelns.
Einen rechtlichen Weg zur Eindämmung privater Diskriminierung bietet der Grundsatz aus Artikel 3 insbesondere im Zusammenwirken mit der Garantie der Persönlichkeitsrechte aus Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes (Menschenwürde und freie Entfaltung der Persönlichkeit). Diese Grundrechte können auch durch privates Handeln verletzt sein, beispielsweise wenn jemand öffentlich zur Schau stellt, dass er eine ihm missliebige Gruppe Menschen in seinem Geschäftsgebaren systematisch benachteiligt oder es ihnen verwehrt, ihren Bedarf zu decken. Ein Gastwirt, Krämer oder Diskothekbetreiber, der ein Schild mit der Inschrift „Keine Ausländer“ gut sichtbar ins Fenster hängt, darf Polizeibesuch erwarten.
Zur Freiheit gehört moralische Verantwortung
Gut so? Mitnichten. Man sollte diese Konstruktion möglichst nicht nutzen. Das Recht ist nicht dazu da, die Menschen davor zu bewahren, dass sie sich vor den Augen anderer als Rassisten aufführen und sich unmöglich machen. Auch die Polizei hat heute Dringenderes zu tun. Was bleibt, ist die Sanktion diskriminierenden Verhaltens durch soziale Ächtung. Diese ist gerade im Zeitalter der „sozialen Medien“ hochwirksam und schnell bei der Hand – manchmal vorschnell. Aber dieser gesellschaftliche Sanktionsmechanismus hat den nicht gering zu schätzenden Vorteil, dass er den Grundsatz der Vertragsfreiheit intakt lässt, von welcher der ordoliberale Freiburger Ökonom Walter Eucken (1891-1950) einst schrieb, sie sei in der Wettbewerbsordnung schlicht „unentbehrlich“. Deshalb lehnen herrschende Lehre und Rechtsprechung auch eine „unmittelbare Drittwirkung“ der Grundrechte ab; im privaten Rechtsverkehr hat die Privatautonomie Vorrang – und damit die Vertragsfreiheit.
Folglich haben sie tatsächlich recht, die da in ihrem ausländerfeindlichen Affekt auf kindische Weise toben, man werde doch wohl noch selbst entscheiden dürfen, mit wem man Geschäfte abschließe und mit wem nicht. Darf man. Soll man. Muss man sogar auch dann noch, wenn es das Leben auf unangenehme Weise komplizierter macht. Nur gehört zur Freiheit immer schon die Verantwortung, und das auch in moralischer Hinsicht: Wer diskriminierendes Verhalten an den Tag legt, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm harte Ablehnung entgegenschlägt und wenn seine Gegner unerschütterlich mahnen, dass jeder Mensch eine gesonderte, vorurteilsfreie Wahrnehmung und Würdigung verdient.
Diese Mahnung hat nichts mit überschießender „Political correctness“ und unkritischer Umarmung alles Fremden zu tun, gar mit „Multikulti-Wahn“. Es ist schlicht das Ergebnis von Liberalität und elementarer Menschlichkeit. Wer derlei nicht aufbringt, sondern sich an seinem Fehlverhalten noch ergötzt, der muss sich nicht nur gegenüber den Mitmenschen verantworten. Irgendwann steht auch er vor dem Tribunal des eigenen Gewissens.
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