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BRICS Lula in Peking: Wie sich Brasilien und China wieder anfreunden

Brasiliens Präsident Lula ist am Freitag vom chinesischen Staatsoberhaupt Xi Jinping in Peking empfangen worden
Brasiliens Präsident Lula ist am Freitag vom chinesischen Staatsoberhaupt Xi Jinping in Peking empfangen worden
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ken Ishii
Brasilien sucht nach langer Distanz wieder die Nähe zu China. Ein enger Schulterschluss – auch gegen den Rest der Welt – soll es nicht werden. Aber Präsident Lula will auch die BRICS-Gruppe als Einflusszone nutzen

Wenn sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock beeilt, könnte sie in Peking noch auf den brasilianischen Präsidenten Lula treffen. Die chinesische Hauptstadt ist zurzeit das politische Zentrum der Welt. Im Stundentakt fliegen neue Staatslenker ein, vom französischen Präsidenten Macron, über Baerbock bis hin zu EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Sie alle verhandeln dort mit ihren chinesischen Amtskollegen. Doch unter all den Gesprächen, wird vor allem ein Treffen mit Spannung erwartet – das zwischen dem chinesischen Staatsoberhaupt Xi Jinping und dem brasilianischen Präsidenten Lula. 

Es ist mehr als ein symbolischer Akt: Zum Auftakt seiner China-Reise schaute Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva zuerst bei einer alten Bekannten vorbei: Seine Parteifreundin Dilma Rousseff war erst Ende März an die Spitze der Entwicklungsbank der BRICS-Staaten gerückt. Die einstige Nachfolgerin Lulas wird die 2015 von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gegründete Bank bis Juli 2025 leiten. Der bisherige Amtsinhaber aus Brasilien musste weichen – so hatten es die aufstrebenden Schwellenländer mit dem Wahlsieger in Brasilia vereinbart.

Die multilaterale Bank mit Sitz in Shanghai ist als ein Gegenmodell der Süd-Süd-Kooperation zu den dominierenden Finanzinstanzen des Westens, IWF und Weltbank, und ihrem Entwicklungsmodell gedacht: ein Finanzierungsarm des BRICS-Clubs, der sich 2001 zur diplomatischen und wirtschaftlichen Kooperation zusammengetan hatte. Die Bank hat seither nicht viel von sich Reden gemacht, doch sind nun auch Bangladesch und die Vereinigten Arabischen Emirate dabei, und das Projekt-Portfolio hat einen Umfang von knapp 33 Mrd. Dollar an Investitionen in Infrastrukturvorhaben vorzuweisen.

Die Platzierung Rousseffs gibt einen Hinweis darauf, welchen Schwerpunkt Lula im Verhältnis mit China setzen will. Wohl ist der Besuch mit einer Entourage, die ihresgleichen sucht, ein Zeichen, dass die beidseitigen Wirtschaftsbeziehungen kräftigt ausgebaut werden sollen. Sie waren unter dem pro-amerikanischen Vorgänger Jair Bolsonaro eher abgekühlt. Doch betont Lula zugleich seine Rolle als neuer starker Mann Lateinamerikas, der keine exklusiven „grenzenlosen Freundschaften“ (wie zwischen China und Russland) sucht, sondern selbst global eine Führungsrolle anstrebt – besonders zur Erreichung der Klimaziele, wie er es bereits bei der letzten internationalen COP27-Konferenz in Ägypten demonstrierte. Der BRICS-Rahmen verleiht ihm größere Einflussnahme.

Auch will Brasilien sich nicht in die zunehmend feindselige Rivalität zwischen China und den USA hineinziehen lassen, sagen Beobachter. Weder als Mitglied der BRICS-Runde, die nicht wirklich ein geschlossener Machtblock sind, der sich geopolitisch gegen den Westen positioniert. Dafür sind die Interessen der Mitglieder in der heutigen Konstellation der Mächte zu unterschiedlich. Noch im eigenen Verhältnis zu den USA und der EU: Mit US-Präsident Joe Biden vereinbarte Lula vertiefte Beziehungen im Klimaschutz und würdigte Demokratie und Menschenrechte. Mit Europa will man möglichst im Kreis der Mercosur-Gruppe zum Sommer den Abschluss eines überarbeiteten Handelsabkommens hinbekommen.

Was will Lula in Peking erreichen?

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping Zugeständnisse beim Klimaschutz abzuringen, dürfte auch Lula schwerfallen. Doch streben beide Seiten offenbar an, einen Beitrag gegen die Umweltschäden zu leisten, die durch übermäßige Abholzungen in Brasiliens Wäldern und Savannen entstanden sind ­– meist zugunsten des Soja- und Viehhandels. So sei der chinesische Handelsriese Cofco daran interessiert, degradiertes Agrarland zu rehabilitieren und die CO2-Emissionen der Landwirtschaft zu mindern, meldete Reuters unter Berufung auf Quellen im brasilianischen Agrarministerium. Ganze 30 Millionen Hektar Weideland vor allem in der Region Cerrado würden sich zum Anbau eignen.

Eine nachhaltigere Flächennutzung in der boomenden Landwirtschaft Brasiliens ist auch im chinesischen Interesse für Versorgungssicherheit, wenn die Abholzung im Regenwald und Cerrado gestoppt wird. Brasilien wiederum will seine Exporte nicht nur ausbauen, sondern auch diversifizieren. China ist der größte Handelspartner (es überholte 2009 die USA), Brasilien steht für 22 Prozent von Chinas Importen – vor allem Agrarprodukte wie Sojabohnen und Fleisch, aber auch Erdöl und Eisenerz. Nun hofft etwa Flugzeugbauer Embraer auf einen Auftrag. Die Energiewirtschaft war bislang attraktiv für chinesische Investitionen, die beispielsweise in die Ölförderung oder Hochspannungsleitungen fließen.

Nach offiziellen Angaben erreichten Chinas Importe vergangenes Jahr knapp 90 Mrd. Dollar, umgekehrt importierte Brasilien Güter im Wert von 61 Mrd. Dollar. Das Handelsvolumen erreichte somit einen Umfang von 150,4 Mrd. Dollar. Seit Lulas letzter Reise in die Volksrepublik im Jahr 2004 hat sich der Austausch um das 21-Fache erhöht.

Eine von acht Kabinettsministern, die Lula neben einer umfassenden Wirtschaftsdelegation begleiten, ist jedenfalls die Umweltministerin und bekannte Regenwaldaktivistin Marina Silva. So wird eines der geplanten Abkommen (von etwa 20) für die gemeinsame Entwicklung und den Einsatz von CBERS-6-Satelliten erwartet, der in einem gemeinsamen Programm seit 1988 mit neuer Technologie die ökologischen Bedingungen im Amazonas beobachten soll. China könnte auch einen Fonds einrichten, der die teure Wiedergewinnung von degradierten Böden finanziert, hieß es weiter, zudem gebe es Interesse an der Produktion von Wasserstoff.

Worauf ist Präsident Xi mit Brasilien aus?

Den Ton für Lulas Besuch setzte der Meinungsbeitrag eines renommierten Professors in der „Global Times“, in dem der Partner als Bewunderer des kommunistischen Entwicklungsmodells von China porträtiert wird, als Verfechter einer gestärkten BRICS und als Gegengewicht zur globalen Hegemonie der USA. Während Lula Brasiliens internationales Image neu erfinde, werde er sich auch stärker in der Schwellenländergruppe engagieren. Schließlich habe diese den Entwicklungsländern „Chancen eröffnet, die ihnen in 500 Jahren verwehrt blieben“ und bringe das globale System wieder ins „Gleichgewicht“. Eine engere Kooperation mit China werde „Brasilien helfen, seinen Traum von einer global bedeutsamen Macht zu erfüllen“.

China sieht sich somit in jedem Fall wirtschaftlich am Steuer der Staatengruppe und will sie als größte Volkswirtschaft auch machtpolitisch für sich einspannen – wenngleich Lula in der Runde seinerseits die moralische Führung in Sachen Klimaschutz ausspielen möchte. Immerhin vereint sie 40 Prozent der Weltbevölkerung und etwa ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung – verglichen mit etwas über 31 Prozent der führenden Industrienationen G7. Schon vor wenigen Wochen haben die Notenbanken in Brasilia und Peking vereinbart, Handel und Investitionen künftig auch in Yuan oder Real zu begleichen.

Ein erstes Zugeständnis in Richtung Peking machte Lula so auch beim feierlichen Empfang durch seine Parteifreundin Rousseff als neuer Präsidentin der „New Development Bank“. „Warum soll eine Institution wie die BRICS-Bank nicht eine Währung haben, um Handel zwischen Brasilien und China, zwischen Brasilien und all den anderen BRICS-Ländern zu finanzieren“, fragte er in Shanghai.

Brasiliens Präsident Lula da Silva mit der neuen Präsidentin der New Development Bank in Shanghai, Dilma Rousseff. 
Brasiliens Präsident Lula da Silva mit der neuen Präsidentin der New Development Bank in Shanghai, Dilma Rousseff. 
© NDB via Twitter

Experten spekulieren bereits seit einiger Zeit, dass die BRICS – samt möglicher Neumitglieder wie Iran oder Saudi-Arabien – eine alternative Handelszone aufziehen könnten, in der mit ausgesuchten Währungen – nur nicht dem Dollar – bezahlt wird. Das wäre China gelegen, das eine zunehmende Entdollarisierung der Weltwirtschaft anstrebt, und auch Russland, weil westliche Sanktionen an einer solchen Blase vorbei- und ins Leere laufen würden.

Lulas Besuch in einem Innovationszentrum von Huawei, dem umstrittenen Hersteller von Kommunikationstechnologie, den die USA aus Sicherheitsbedenken ablehnt, darf auch als Signal gelten, dass Brasilien die von Vorgänger Bolsonaro im Gefolge der US-Regierung zunächst ausgesprochene Ächtung der 5G-Technologie vollends als vergangen ansieht. Die Zulassung der Technologie in Brasilien 2021 und der Ausbau der Kooperation passt in die Pläne von Präsident Xi, über eine engere Beziehung mit Brasilien in ganz Lateinamerika, und damit dem „Hinterhof“ der USA, bessere Zugänge und einen strategischen Fußabdruck zu gewinnen.

Hat Europa das Nachsehen?

Die BRICS werden sich nach Einschätzung von Experten von China nicht in eine einseitige Feindseligkeit mit dem westlichen Lager ziehen lassen – so ist auch Indien zugleich Mitglied der Quad, einem losen Verbund mit den USA, Japan und Australien, die bemüht sind, Chinas Einfluss in der indo-pazifischen Region einzudämmen. Und auch Lula will sich geopolitisch offensichtlich nicht voreilig binden. Schließlich wird Brasilien im nächsten Jahr auch die Präsidentschaft der G20-Industrie- und Schwellenländer übernehmen, und dann als Mittler zwischen den Welten – und den USA und China – gefragt sein.

Auch zuhause hat Lula durchaus mit china-kritischen Stimmungen zu tun. Er wird bemüht sein, den Handel mit grüner Technologie zu fördern, Investitionen in grüne Energie anzuziehen und eigene Exporte zu verbreitern. Doch es gilt auch Ängste der Deindustrialisierung, der chinesischen Zuwanderung oder der fortgesetzten Schädigung der Umwelt durch chinesische Interessen zu beschwichtigen.

Und in Richtung Europa sandte Lula schon früher ein wichtiges Signal, als er Uruguay dazu anhielt, nicht voreilig ein bilaterales Freihandelsabkommen zu verhandeln. Vielmehr könnten die Mitglieder der Mercosur-Runde aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay doch gemeinsam bessere Konditionen erzielen – allerdings erst nach einem Abschluss mit der EU. Die Blöcke hatten schon 2019 ein Freihandelsabkommen vollendet, allerdings lag es wegen europäischer Sorgen über Brasiliens Haltung in der globalen Klimakrise auf Eis. Nun hieß es aber zuletzt, bis Juli sei „entscheidender Fortschritt“ möglich. Dann treffen sich beide zum EU-Lateinamerika-Gipfel.

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