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Kolumne Kerrys vertracktes Angebot

Mit einer Milliarden-Geldspritze für die Palästinenser versucht der US-Außenminister dem Frieden näherzukommen. Doch auch der neue Anlauf wird wohl in einem faulen Kompromiss enden. Von Robert Skidelsky
Robert Skildelsky
Robert Skildelsky
© Getty Images

Robert Skidelsky ist Mitglied des britischen Oberhauses und emeritierter Professor für politische Ökonomie an der Warwick University

In dem (witzigsten jemals über Bridge geschriebenen) Buch Why You Lose at Bridge erteilt der Verfasser, mein Onkel S. J. Simon, Spielern den Rat, „nicht das bestmögliche Ergebnis“, sondern das „beste mit dem aktuellen Partner mögliche Ergebnis anzupeilen“. Dieser Rat gilt auch für den lange festgefahrenen israelisch-palästinensischen Friedensprozess, dem von US-Außenminister John Kerry neues Leben eingehaucht wird.

Die Vereinten Nationen definierten das „bestmögliche Ergebnis“ im Jahr 1947: Palästina - damals britisches Mandatsgebiet - sollte in zwei Staaten ungefähr gleicher Größe aufgeteilt werden. Israel akzeptierte diesen Plan, die Palästinenser jedoch nicht, weswegen nie ein palästinensischer Staat gegründet wurde. In aufeinanderfolgenden Kriegen bemächtigte sich Israel aller Palästina zugewiesenen Landesteile, insbesondere des Westjordanlandes am Ufer des Jordans und des Gazastreifens, wo heute Millionen palästinensische Flüchtlinge leben.

Nach den Osloer Abkommen von 1993, die einen palästinensischen Staat im Westjordanland und Gaza vorsahen, wurde der vermeintliche Palästinenser-Staat durch die vor Ort geschaffenen unumkehrbaren Tatsachen sogar noch weiter beschnitten. Ein Teil des Westjordanlandes annektierte Israel einfach oder israelische Siedler nahmen es in Besitz. Der Palästinensischen Autonomiebehörde wurde begrenzte Autonomie über 25 Prozent des Gebietes zugestanden, wobei dieses Territorium aus nicht zusammenhängenden Landesteilen besteht.

„Bantustan-Lösung”

Kerrys schwierige Aufgabe besteht nun darin, die Palästinenser dazu zu bringen, sich mit einem kleineren Staat zufrieden zu geben, als sie ihn anstreben und die Israelis dazu zu bewegen, mit einem kleineren Staat Vorlieb zu nehmen, als sie ihn bereits haben. Nachdem die Sicherheitslage in den „besetzten Gebieten“ unter Kontrolle ist, gibt sich die israelische Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu mit dem Status quo zufrieden. Kerrys Überredungskünste werden sich also an die Palästinenser richten. Seine Strategie besteht offenbar darin, sie mit 4 Mrd. Dollar zu bestechen, um eine (vorübergehende) „Bantustan-Lösung” zu akzeptieren (die Bezeichnung lehnt sich an die nominell autonomen Staaten in Südafrika an, in die das Apartheid-Regime die meisten Mitglieder der schwarzen Bevölkerungsmehrheit abschob).

Das könnte funktionieren. Den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas reizt vielleicht das Geld, wenn es mit den Insignien und Symbolen der Staatlichkeit verbunden ist. Mit 78 Jahren ist er ein Präsident, der dringend einen Staat braucht. Es wäre auch denkbar, dass die Regierung Netanjahu einer palästinensischen „Entität“ auf 75 Prozent des Westjordanlandes zustimmt, sofern Israel die Gesamtkontrolle behält.

Mit mehr Geld hätte Kerrys Initiative größere Erfolgschancen. Eine Möglichkeit wäre die Forderung der Palästinenser nach einem „Rückkehrrecht“ (in israelische Gebiete, von wo sie in den Jahren 1947-1948 flohen) in ein Recht auf Entschädigung umzuwandeln. Auf dem gescheiterten Gipfel in Camp David im Jahr 2000 schlugen die israelischen Unterhändler einen internationalen Fonds im Ausmaß von 30 Mrd. Dollar vor, der Zahlungen an echte Flüchtlinge leisten sollte. Würde Kerry auf dieses israelische Angebot zurückkommen, ließen sich wirtschaftliche Anreize mit einer Schlüsselforderung der Palästinenser sauber unter einen Hut bringen.

Hohe Hürden

Neuer Anlauf: Israels Präsident Peres, US-Außenminister Kerry und Palästinenserchef Abbas
Neuer Anlauf: Israels Präsident Peres, US-Außenminister Kerry und Palästinenserchef Abbas

Doch nicht einmal mit zusätzlichem Geld ist es wahrscheinlich, dass die beiden Seiten einen derartigen Ersatz einer Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren. Obwohl ein solches Abkommen den Sicherheitsbedürfnissen Israels entspräche, würde es doch den Abschied von dem von unbeugsamen Zionisten und religiösen Extremisten verfochtenen Großisrael-Projekt bedeuten. Und auch wenn Abbas der Verlockung kosmetischer Korrekturen des Status quo erläge, werden die meisten Palästinenser das als unlauter ablehnen.

Eine Friedenslösung sollte nicht unmöglich sein. Es müsste Einigkeit darüber herrschen, wie viel Territorium dem palästinensischen Staat vorbehalten sein sollte. Da keine israelische Regierung die dicht mit Siedlungen bebauten Grenzgebiete im Westjordanland aufgeben wird, müsste man als Ersatz Grund und Boden in Israel anbieten. Jerusalem wäre zu teilen, wobei die Verwaltung der heiligen Stätten der Uno oblägen. Überdies bedürfte es eines Abkommens hinsichtlich der Überwachung der durchlässigen Grenze zu Jordanien.

Doch die Chancen sind gering, dass bei den aktuellen Gesprächen ein derartiges Abkommen herauskommt. Die meisten Israelis – und ganz sicher die gegenwärtige Regierung – sind überzeugt, dass man die Palästinenser mit Gewalt davon abhalten muss, Juden zu töten. „Wie lösen wir den Widerspruch zwischen unserer extremen Moral und unseren eklatant unmoralischen Umständen?“ fragt der Autor Uri Avnery. „Ganz einfach: Wir begeben uns in die Verleugnung.“

Der Wunsch nach Frieden ist in Ramallah stärker ausgeprägt als in Tel Aviv. Doch Abbas hat es mit Unnachgiebigkeit im eigenen Lager in Form der Hamas zu tun, die in Gaza seit 2006 an der Macht ist und deren Bekenntnis zu Gewalt ein Spiegelbild zu Netanjahus „Frieden durch Stärke“ bildet. Eine echte Zwei-Staaten-Lösung erfordert daher einen Sinneswandel - und einen Führungswechsel - auf beiden Seiten.

Für die israelische Seite bedeutet das, eine weniger paranoide Sicht auf die Palästinenser einzunehmen sowie zur Einsicht zu gelangen, dass Israels Verhalten im Widerspruch zu zeitgemäßer Ethik steht. Besetzungen in der Vergangenheit können nicht die legitime Grundlage für gegenwärtige Herrschaft bilden. Aus diesem Grund haben auch alle zivilisierten Länder ihren Anspruch auf Gewaltherrschaft aufgegeben.

Die palästinensische Seite ihrerseits muss akzeptieren, dass Israel bleiben wird und dass wirtschaftliche Zusammenarbeit enorme Vorteile bringen kann.

Druck von außen

Auf beiden Seiten bedarf es politischer Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, für den Frieden echte Risiken auf sich zu nehmen, einschließlich des Risikos getötet zu werden. Schließlich müssen auch gewöhnliche Soldaten dieses Risiko tragen, warum also sollten politische Führer – die noch viel mehr Gutes oder Schlechtes bewirken können – dagegen immun sein?

Doch Druck von außen könnte neue Fakten schaffen. Die Hamas hat immer geglaubt, dass man einen echten Palästinenserstaat nur mit Gewalt erreichen kann. Deshalb müssen die Israelis eine dritte Intifada fürchten, wenn Abbas nicht liefern kann. Ein derartiger Volksaufstand würde brutal niedergeschlagen. Kurzfristig stärkte dies die Unnachgiebigen auf beiden Seiten und langfristig würde Amerikas Unterstützung für Israel untergraben werden.

Veränderungsdruck könnte auch durch die um sich greifenden Ereignisse im Nahen Osten entstehen, da diese regionalen Unruhen wohl nicht ohne Auswirkungen auf das Westjordanland und Gaza bleiben werden. Eine zunehmend instabile arabische Nachbarschaft könnte für Israel ein Beweggrund sein, in einem kleinen Gebiet für Frieden zu sorgen und sich damit das Chaos außerhalb vom Leib zu halten.

Das wahrscheinlichste Ergebnis der derzeitigen diplomatischen Bemühungen wird ein fauler Kompromiss sein, den beide Seiten als das „bestmögliche Ergebnis“ präsentieren werden. Es wird eine weitere Roadmap für die endgültige Errichtung einer Zwei-Staaten Lösung geben sowie einen vom Gewaltverzicht der Hamas abhängigen Zeitplan in Richtung eines palästinensischen Staates. Die Israelis werden behaupten, dass sie keine wesentlichen Zugeständnisse geleistet haben. Abbas‘ Fatah wird behaupten, sich einen mit Gold gepflasterten Weg gesichert zu haben. Und der Friedensprozess wird – mehr Prozess als Frieden – weiter dahinkriechen, bis er auf das nächste Hindernis stößt.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2013.
www.project-syndicate.org

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Fotos: © Getty Images

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