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Kolumne Kaesers falscher Freund

Erfüllungsgehilfe der Politik muss die Wirtschaft nicht sein. Wenn sie sich Putin an den Hals wirft, schadet sie sich selbst
Ines Zöttl
Ines Zöttl schreibt an dieser Stelle über internationale Wirtschafts- und Politikthemen.
© Trevor Good

Ein paar wunderbare Jahre liegen hinter uns. Die deutsche Wirtschaft hat ihren Kritikern gezeigt, dass beides geht: Geld verdienen und gut sein. Deutsche Unternehmen ächten Kinderarbeit, achten auf die Einhaltung von Arbeitsgesetzen in chinesischen Fabriken, korrumpieren nicht, schonen die Umwelt und so weiter. In einem Wort: corporate social responsibility (CSR). Die unternehmerische Verantwortung, die über Profitstreben hinausgeht.

Wie stets war die Geschichte zu schön, um wahr zu sein. Joe Kaeser, der neue Siemens-Chef, hat die Legende der Versöhnung von Kapital und Moral öffentlich widerlegt. In Krisenzeiten besinnt sich die deutsche Wirtschaft auf ihren eigentlichen Daseinszweck: die Dividende. Deshalb ist Kaeser nach Moskau gereist, um Wladimir Putin zu versichern, dass „kurzfristige Turbulenzen“ wie ein militärischer Einmarsch im Nachbarland die gedeihliche Zusammenarbeit nicht stören dürften.

Putin ist Kunde und damit König

Dass der deutsche CEO damit die Politik seiner Bundeskanzlerin unterläuft und die Drohkulisse der Wirtschaftssanktionen gegen Russland entwertet, schert ihn nicht im Geringsten. Er hat nicht einmal versucht, das zu verbrämen. Kaeser hat klare Prioritäten gesetzt: Putin ist aus Sicht von Siemens einzig und allein „Kunde“ – und der war schon König, lange bevor die Idee von CSR aufkam. Eine Geschäftsbeziehung, die das Ende des Zarenreichs ebenso wie die Ära Stalin überdauert hat, wird auch diese kleine weltpolitische Krise überstehen.

Kaeser hat seinen Job dabei genau richtig verstanden: Seine Aufgabe ist es, das Unternehmen Siemens zum maximalen dauerhaften finanziellen Erfolg zu führen. Jenseits der Sonntagsreden fällt in diese Kategorie auch die Entdeckung von CSR: Die Unternehmen haben den Wert eines rücksichtsvollen Verhaltens erkannt, nicht weil sie ein moralisches Erweckungserlebnis hatten. Sondern weil die Wohlstandsgesellschaft ihnen ihre Produkte sonst nicht abnimmt. Der Verbraucher kauft auch gutes Gewissen ein.

Firmen sind keine Botschafter der Moral und auch keine Erfüllungsgehilfen der Politik. Das heißt nicht, dass sie schalten und walten können, wie sie wollen. Im Gegenteil: Regierung und Gesellschaft können ein bestimmtes Verhalten erzwingen oder verhindern. Bestechung ausländischer Geschäftspartner zum Beispiel war lange als normal akzeptiert und wurde sogar steuerlich gefördert. Heute ist das völlig anders, und die Unternehmen haben sich den veränderten Bedingungen angepasst. Wer wüsste das besser als Siemens?

Kaeser springt zu kurz

Wenn Merkel möchte, dass Kaeser die Geschäfte mit Putins Russland einstellt, muss der Bundestag nur entsprechende Regeln beschließen. Zu verlangen, dass die deutsche Wirtschaft vorprescht und im Alleingang schon mal aktiv wird, wäre absurd – und womöglich sogar ein Vertragsverstoß.

Aber handelt Kaeser mit seiner Verbrüderung mit Putin wirklich im Interesse seines Unternehmens? Daran darf man zweifeln. Erst einmal ist es taktisch unklug, die eigene sehr wirtschaftsnahe Regierung ostentativ vor den Kopf zu stoßen. Vor allem aber springt Kaeser zu kurz: Seit Jahr und Tag beklagen Unternehmen die fehlende Rechtssicherheit und staatliche Willkür in Russland. Wichtigste Garantie dafür, dass sich an der Misere nichts ändert, ist Putin. Und je stärker der Herrscher sich fühlt, desto willkürlicher wird er in allen Politikbereichen mit Gegnern und Verbündeten umspringen.

In der Gunst eines Tyrannen zu stehen, kann sehr lukrativ sein. Aber der Wind dreht sich in solchen Gegenden schnell. Der britische Ölkonzern BP hat das im Streit um seine Beteiligung beim russischen Joint Venture TNK-BP zu spüren bekommen. Der Manager Bob Dudley, musste in einer Nacht-und Nebel-Aktion das Land verlassen. Angeblich war sein Visum ausgelaufen.

Irgendwann wird sich auch Siemens Ärger im notorisch korrupten Russland mit Politikern oder Behörden einhandeln. Aber für den Fall hat Kaeser bestimmt Merkels Telefonnummer.

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