In einer Ansprache vor der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank stimmte IWF-Chefin Kristalina Georgieva die Welt am Donnerstag auf die schwersten Turbulenzen dieses Jahrhunderts ein. „Wir erwarten die schlimmsten wirtschaftlichen Konsequenzen seit der Großen Depression“, sagte Georgiewa. Nicht weniger als 170 der 189 Mitgliedstaaten dürften einen Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens erleiden. Auch im kommenden Jahre stehe bestenfalls eine „teilweise Erholung“ bevor. Es könne aber auch schlimmer werden.
Mit dieser Perspektive fährt der IWF alle Geschütze auf. Der Fonds sei bereit, seine volle Kreditvergabekapazität von einer Billion Dollar einzusetzen, um Mitgliedstaaten im Kampf gegen Covid-19 und die teils desaströsen wirtschaftlichen und finanziellen Folgen zu unterstützen, betonte Georgiewa. Um Anfragen von mehr als 90 Ländern nachzukommen habe das Exekutivdirektorium bereits einer Verdoppelung seiner Notfallfinanzierung auf eine erwartete Nachfrage von 100 Mrd. Dollar genehmigt. Es dürften aber eher hunderte von Milliarden werden.
Vor allem schwachen und bereits hoch verschuldeten Ländern wie Kirgisistan, Ruanda, Madagaskar und Togo hat der IWF Georgiewa zufolge bereits flexible Notfallkredite aus einem Pool von 50 Mrd. $ zur raschen Verwendung bewilligt. Doch das ist erst der Anfang. In der einzigartigen Krise zeigt sich der Fonds auch bereit, seinen Instrumentenkasten um kurzfristige Liquiditätshilfen zu erweitern. Auch Staaten, deren Schulden lange nicht mehr tragfähig sind, sollten in der Not nicht alleine gelassen werden. Es würden Alternativen zu Darlehen entwickelt.
Schuldenmoratorium gefordert
Gemeinsam mit der Weltbank hatte der IWF staatliche bilaterale Gläubiger bereits vor einigen Wochen zu einem Schuldenmoratorium für die ärmsten Länder aufgerufen. Sofortigen Beistand zur Vermeidung von Schuldenkrisen könne der IWF aus einem Hilfsfonds für Katastrophenfälle leisten, der laut der IWF-Chefin auf 1,4 Mrd. Dollar aufgestockt wird. Es sei besser, Mittel für die Gesundheitsversorgung aufzubringen, so die IWF-Chefin, als jetzt Schulden zu bedienen.
Die höchsten Risiken sieht der IWF in den Schwellenländern und Staaten mit niedrigem Einkommen – in Afrika, Lateinamerika und weiten Teilen Asiens. Nicht nur hätten sie den Kampf in dicht besiedelten Städten und Slums zu führen. Sie seien gegen die Schocks von gleichzeitig sinkendem Angebot und Nachfrage und drastischen finanziellen Engpässen am wenigsten gewappnet. Einigen drohe eine nicht mehr tragfähige Schuldenlast – die Pleite.
Die Corona-Pandemie kann also Schwellenländer schwerer treffen als die Industrieländer, weil ihre Gesundheitssysteme schwach sind, viele Menschen ohne sozialen Schutz in informeller Beschäftigung sind und die Verschuldung schon vor der Krise kaum mehr tragfähig war. Als besonders riskante Länder gelten Brasilien, Südafrika, Mexiko oder auch Indien. Vor einigen Wochen hatte die IWF-Chefin den Finanzbedarf von in Not geratenden Schwellenländern konservativ auf 2,5 Trillionen Dollar geschätzt.
Hier geht es zu einigen Ländern, die sich in der Krise bereits an den IWF gewandt haben, oder dies womöglich noch tun werden.
Diese Länder brauchen IWF-Beistand
Der Tourismus steuert in Mexiko acht Prozent zur Wirtschaftsleistung bei und beschäftigt 4,4 Millionen Menschen. Mexiko gilt as äußerst anfällig für die Folgen eines Shutdowns: Zwei Wochen Stillstand und vier Wochen „Social Distancing“ und Fabrikschließungen könnten der Wirtschaft wöchentlich 0,7 Prozentpunkte kosten –¬ bis zu fünf Prozent Verlust in diesem Jahr. Der IWF erwartet für ganz Lateinamerika einen erheblichen Abschwung: fallende Rohstoffexporte, weniger Handel etwa mit Kaffee, Zucker oder Bananen, und sinkende Rücküberweisungen von Migranten aus dem Ausland. Staatliche Hilfen in Form von Bargeld, Kurzarbeit und Steuerstundungen müssten Haushalte und Unternehmen durch die Durststrecke bringen.
Venezuela brechen wegen des Ölpreisverfalls die bereits arg geschrumpten Deviseneinnahmen aus dem Ölexport weg. Während zahlreiche lateinamerikanische Länder bereits mit dem IWF verhandeln, wurden Venezuela Mittel aus einem Notfallfonds verweigert. Präsident Nicolás Maduro hatte um ein Darlehen von 5 Mrd. US-Dollar gebeten. Eine Bearbeitung würde die Anerkennung der Regierung des Landes „durch die internationale Gemeinschaft“ voraussetzen, erklärte der IWF. Darüber gebe es derzeit keine Klarheit. Rund 50 Staaten, darunter die USA und Deutschland, stützen den oppositionellen „Übergangspräsidenten“ Juan Guaidó, wegen Korruptionsgefahr vor Hilfen warnte.
Manche Ökonomen sagen Südafrika voraus, dass die Corona-Krise dem Land sechs Prozent Wirtschaftsleistung kosten wird. Präsident Cyril Ramaphosa hat zunächst eine dreiwöchige Ausgangssperre verhängt. Weil die Staatsschulden immer stärker ein nicht mehr tragbares Maß erreichen, und die Rating-Agenturen Staatspapiere nahe Ramschniveau bewerten, halten Beobachter es für wahrscheinlich dass die Regierung irgendwann den IWF um Hilfe bitten muss. Fraglich bleibt, ob Ramaphosa mögliche Auflagen wie eine drastische Verringerung des Staatsdienstes oder ein Aufräumen bei hoch defizitären Staatsunternehmen akzeptieren würde – oder lieber China um Unterstützung bittet.
Iran hat den Ausbruch der Corona-Pandemie früh in voller Wucht erlebt und stellte bereits Mitte März einen Antrag auf 5 Mrd. Dollar Nothilfe. Das Land braucht dringend Devisen, um medizinische Geräte und Material im Kampf gegen das Virus zu importieren. IWF-Chefin Georgiewa zeigte sich laut Financial Times aufgeschlossen. Es wäre das erste Mal seit 1960, dass Teheran und der IWF wieder Beziehungen aufnehmen. Es könnte aber sein, dass die USA eine Unterstützung des mit Sanktionen belegten islamischen Mullah-Staats verhindern.
Indien hat seit einer tiefen Krise 1991 keinen IWF-Beistand mehr in Anspruch genommen. Finanzexperten drängen die Regierung vor der Frühjahrstagung dazu, die dem Land zustehenden 5,8 Mrd. Dollar in Anspruch zu nehmen. Zwar haben die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank jeweils 1 Mrd. Dollar Finanzhilfen zugesagt. Aber das Schwellenland könnte ohne zusätzliche Milliarden im Umfang von fünf Prozent des BIP auf eine größere Finanzkrise zusteuern, so die Warnung. Sowohl der Automobil- und Stahlindustrie wie auch dem Öl- und Gas- und Bergbausektor, dem Bauwesen und der Textilbranchen werden zweistellige Einbußen vorausgesagt.
Der hoch verschuldete pakistansiche Staat verhandelte gerade mit dem IWF über die Auszahlung der dritten Tranche eines Hilfspakets von 6 Mrd. Dollar, als die Corona-Pandemie das Land erreichte. Nun will der IWF eine schnelle zinsgünstige Finanzspritze im Umfang von 1,4 Mrd. Dollar billigen, die unabhängig von dem 13. Darlehen an das südostasiatische Land gezahlt werden soll. Pakistan kämpft mit einem hohen Zahlungsbilanzdefizit. In der Wirtschaft wird vor allem die exportorientierte Textilindustrie hart getroffen, die 60 Prozent aller Ausfuhren des Landes ausmacht.