Anzeige
Anzeige

Kommentar Isch over – die Ratlosigkeit der Ratlosigkeit der CDU

Abgesoffen: Bei der Bundestagswahl erzielte die Union ihr schlechtestes Ergebnis
Abgesoffen: Bei der Bundestagswahl erzielte die Union ihr schlechtestes Ergebnis
© dpa | Boris Roessler / Picture Alliance
Die CDU klammert sich an die Fiktion des Regierenkönnens, weil sie noch nicht mal weiß, worüber sie sich den Kopf zerbrechen soll. Ohne Macht ist sie wie Darth Vader ohne Maske

Irgendwann in diesem aufregenden, langweiligen und vor allem viel zu kalten Sommer stand ich unten im Konrad-Adenauer-Haus und wartete auf einen Termin. Vorne ist ein Café, und während ich an dem Kaffeeautomaten stand, sah ich einen Mitarbeiter, der auf seinem Laptop gerade die Entwürfe für die CDU-Kampagne durchging.

„Mehr Gemeinsamzeit“ stand auf einem Entwurf, der später auch ein Plakat wurde: Ein Vater mit seinem Sohn, sie machen etwas zusammen, aber man erkennt nicht genau was; man sieht einen Fahrradreifen, Blumen und auf den ersten Blick auch eine Karotte. Es schien aber auch egal – Vater, Sohn, Fahrrad, Blumen, Gemüse, es war eines dieser weichgezeichneten, künstlichen Idylle, in denen Menschen angeblich leben. Es ging nur um die Botschaft, dass man etwas gemeinsam macht. Weil die Kernbotschaft der Union ja sein sollte, dass man „Deutschland gemeinsam“ macht.

Wie unklar und hohl dieses Versprechen war, hat die Union nun leidlich erfahren, ich spürte es aber schon bei diesem Plakat: Was genau wollte die CDU mir versprechen? Dass ich mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen könnte? Und wenn ja: wie? Oder warb sie nur damit, dass sie auch modern ist, dass sie solche Väter gut findet, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, um Fahrradreifen in Blühwiesen zu flicken?

Der CDU fehlt es an Inhalten

Nun sind Wahlplakate in der Regel inhaltsleer und platt, bei der CDU aber war es nahezu chronisch. Was überall fehlte, war das konkrete Angebot. Die Union hätte ja 500.000 neue Kita-Plätze versprechen können. Denn nebenan, auf dem großen roten Plakat grinste Olaf Scholz und versprach 12 Euro Mindestlohn. In Talkshows versprach er 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 Sozialwohnungen. Die Grünen wollen eine Million Solardächer und Tempolimit, die FDP weniger als 40 Prozent Abgaben. Die Kernbotschaft der SPD war vom Kaliber „Katzen würden Whiskas kaufen“. Die CDU wollte Deutschland gemeinsam machen.

Nun, die Wählerinnen und Wähler haben gesagt, sie wollen Deutschland lieber erst mal ohne die CDU machen, zumindest im Bund – in Ländern, Städten und Gemeinden ist die CDU ja noch da, und zahlreiche Bürgermeister oder Landräte machen bestimmt wertvolle und achtbare Arbeit und schaffen sogar Kitaplätze.

Das Problem der CDU war es nicht nur, dass sie auf all die Plakate nichts drauf geschrieben hat. Ich fürchte, sie wusste auch gar nicht, was sie hätte drauf schreiben sollen. Diese Ratlosigkeit wirkte sich auf das aus, was Werber Content nennen. Und Menschen, die gute Einblicke in die Kampagne der CDU hatten, erzählen genau das: Es gab keinen Content. Und da auch das Hauptprodukt, der Kanzlerkandidat, schwierig und umstritten war, kamen diese Plakate mit den blöden Wortspielen raus.

Es ist nun einfach, lemminghaft und etwas wohlfeil, auf die Union nur draufzuhauen, dass sie fertig ist und fertig hat. Wenn man antizyklisch denken würde, müsste man eigentlich in die CDU eintreten, zumindest, wenn man politisch etwas werden will – so wie sich vor einigen Jahren die SPD neu aufbauen musste und nun rund 100 Neulinge im Bundestag hat.

Zerstritten und orientierungslos

Aber so weit ist es noch nicht, noch klammert die CDU sich, noch weiß sie, wofür sie gebraucht werden könnte: Es ist ein kraftloses, kümmerliches Nochgebrauchtwerden, wie die Restlaufzeit eines deutschen AKWs. Es ist nicht mehr der „Regierungsanspruch“, den die CDU noch am Sonntag ankündigte, auch nicht das „Regierungsangebot“ und schon gar nicht die „Regierungsbereitschaft“ – denn letztere hat die CDU nicht mehr. Man traut ihr nicht zu, eine Regierung zu führen, weil sie zu zerstritten und orientierungslos ist. Sie wäre, in dem theoretischen Jamaika-Szenario, machtlose Machtmanagerin der Inhalte, auf die Grüne und FDP sich geeinigt haben – aber mit der SPD nicht durchsetzen konnten. Man muss hoffen, dass es nicht so weit kommt.

Die Union ist nicht nur ratlos, es ist eine Ratlosigkeit der Ratlosigkeit, die sie plagt. Sie weiß noch nicht, worüber sie sich genau den Kopf zerbrechen soll. Weil ihr derzeit noch unklar ist, was die berühmte Erneuerung in der Opposition überhaupt heißt.

Das liegt nicht nur an 16 Jahren Angela Merkel, in denen die Union drei Mal nur mit Merkel werben musste, und dass man Deutschland irgendwie so weiterlaufen lässt. Als sie das letzte Mal kämpfen musste, so richtig mit Inhalten ums Kanzleramt 2005, hatte die CDU ein Angebot – mit klaren Versprechen und Reformvorschlägen, die man heute wohl „neoliberal“ nennen würde. Etwa eine Gesundheitsprämie, die im Wahlkampf als Kopfpauschale Karriere machte.

Mit dem Programm wäre die CDU fast gescheitert, zu hart, zu viel, in manchen Dingen auch zu ehrlich. Und das alles erlebte die CDU in einer Welt, in der man auch noch sagen konnte, dass Rot-Grün jetzt mal wegmuss, damit die Bürgerlichen wieder drankommen. Das war übersichtlich. Inzwischen braucht die CDU im Bund das Regieren wie Darth Vader seine Maske, weshalb die Fiktion des Regierenkönnens noch aufrechterhalten werden muss. Sie kann aber ohne Maske atmen, auch wenn die Luft erst mal dünn ist.

Die CDU hat viel zu klären

Natürlich wird sich die Union erholen, das hat die SPD ja gerade vorgemacht, auch wenn die Erholung nicht so fulminant ist, wie die SPD gerade auftritt. Zumal Scholz vor der Partei wie eine potemkinsche Fassade steht. Oder ist das gar nicht so? Das wird noch zu ergründen sein. Erst mal stehen da schwarz auf weiß: 1,5 Millionen Stimmen gewonnen, von der CDU. Und 640.000 von der Linkspartei. Und 700.000 mehr als 2013. In dem Jahr machten 18,2 Millionen Menschen ihr Kreuz bei CDU/CSU. Am 26. September waren es noch 11,2 Millionen.

Die CDU hat viel zu klären, nach rechts, nach links, wie breit, wie groß, als erstes vermutlich müsste sie das Verhältnis zu Markus Söder klären, der die Partei in eine taktische Geiselhaft genommen hat: Keiner kann mehr an der Spitze bestehen, solange unklar ist, wie unbefriedigt das Ego von Söder noch ist – ob er nur um seinen Platz in Bayern im Herbst 2023 fürchtet, oder ob er für 2025 einen neuen Anlauf wagt. Ob er nur Kanzlerkandidat werden will, oder sich die Partei unterwerfen soll, wie es Sebastian Kurz in Österreich vorgemacht hat.

Opposition ist Mist, ist eines der geflügelten Worte der deutschen Politik. Für die CDU im Bund ist es der denkbar beste und erstrebenswerteste Zustand. Isch over.

Icon1

Kennen Sie schon unseren Newsletter „Die Woche“ ? Jeden Freitag in ihrem Postfach – wenn Sie wollen. Hier können Sie sich anmelden

Mehr zum Thema

Neueste Artikel