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Energiezukunft Kernfusion: Durchbruch oder nur ein Laserstrahl auf den heißen Stein?

Kernfusion
Hier gelang der Durchbruch bei der Kernfusion: die National Ignition Facility in Livermore in den USA
© picture alliance / ZUMAPRESS.com
US-Wissenschaftlern ist es erneut gelungen, eine Fusionsreaktion zu zünden. Ist das ein Durchbruch auf dem Weg zur CO2-freien Energieerzeugung? Sibylle Günter ist wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik und kann das erklären

Capital: Frau Günter, viele Experten sind aufgrund der neusten Forschungsergebnisse in Aufruhr. Warum eigentlich?
SIBYLLE GÜNTER: Die Wissenschaftler an der National Ignition Facility (NIF) haben Ende des vergangenen Jahres erstmals ein kleines Kügelchen mit Fusions-Brennstoff im Wesentlichen mit der selbst erzeugten Fusionsenergie geheizt. Das ist wissenschaftlich gesehen ein echter Durchbruch, die Kollegen haben viele Jahre daran gearbeitet. Aber es stimmt nicht wirklich, dass mehr Energie erzeugt wurde als dafür aufgewendet wurde. Das gilt nur, wenn man ausschließlich die eingestrahlte Laserenergie betrachtet. Wenn man die gesamte Energiebilanz ansieht, dann wurde nur etwa ein Hundertstel der aufgewendeten elektrischen Energie als Fusionsenergie freigesetzt. Jetzt im Juli haben die Kollegen die Ergebnisse von 2022 wiederholen können. Das ist ein großer Erfolg, weil wir nun wissen, dass das Rekord-Experiment damals kein einmaliger Erfolg war.

Ist das denn überhaupt der große Wurf, wie er von einigen Experten propagiert wird – oder versuchen die Forscher damit einfach für Forschungsgelder zu werben?
Es ist ein großer Erfolg auf einem Weg zu einem Laser-Fusionskraftwerk, bei dem wir noch lange nicht am Ziel sind. Es gibt noch viele offene Fragen auf dem Weg zu einem Kraftwerk. Die Kollegen in den USA haben bei ihrer Pressekonferenz im vergangenen Jahr übrigens selbst gesagt, dass die Fusionsforschung, die auf magnetischem Einschluss basiert, weiter ist auf dem Weg zu einem Kraftwerk als ihre eigene Forschung zur Laserfusion.

Was sind die Unterschiede?
Um aus Fusionsreaktionen Energie zu gewinnen, braucht man Temperaturen von 100 bis 200 Millionen Grad und ausreichend viele Teilchen, damit in einer gegebenen Zeit ausreichend viele Fusionsreaktionen ablaufen. Um Materie auf solch hohe Temperaturen aufzuheizen, gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Entweder man sperrt sie in Käfige aus Magnetfeldern, so dass die heiße Materie keine Wände berühren kann, das ist Magnetfusion, oder man komprimiert und heizt ein kleines Brennstoffkügelchen so schnell auf, dass ausreichend viele Fusionsreaktionen ablaufen, bevor das Brennstoffkügelchen auseinanderfliegt.

„Das Endprodukt Helium ist nicht radioaktiv“

Es gibt also unterschiedliche Arten, mit Kernfusion Energie zu erzeugen. In Atomkraftwerken funktioniert seit Jahrzehnten die Kernspaltung, was ist dabei anders?
Bei der Kernspaltung spaltet man mit Hilfe eines Neutrons einen großen Atomkern in zwei kleinere. Dabei entstehen in der Regel radioaktive Elemente mit verschieden langen Halbwertszeiten und Neutronen, die weitere Kerne spalten können. Bei der Fusion macht man eigentlich das Gegenteil, man verschmilzt zwei leichte Kerne zu einem schwereren. In der Regel verwendet man dazu die zwei schweren Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium und verschmilzt sie zu Helium. Helium ist ein Edelgas und nicht radioaktiv.

Das heißt, man hat nicht das Problem mit dem Müll wie bei Atomkraftwerken?
Zur Fusion werden Deuterium und Tritium verwendet. Deuterium kann man leicht aus Wasser gewinnen, Tritium kommt auf der Erde natürlich nicht vor. Man würde es in einem Fusionskraftwerk aus Lithium erzeugen. Tritium ist tatsächlich radioaktiv, allerdings mit einer Halbwertszeit von ca. 12 Jahren und würde somit kein Endlager benötigen. Das Endprodukt Helium ist nicht radioaktiv. Allerdings wird bei jeder Fusionsreaktion auch ein Neutron frei. Dies trifft auf die Wände und kann diese im Laufe der Zeit aktivieren. Einfach gesagt: etwas Analoges zu den Brennstäben in einem Spaltungskraftwerk, die hoch radioaktiv sind, gibt es in einem Fusionskraftwerk nicht. Die Anlage selbst wird nach vielen Jahren Betrieb allerdings leicht radioaktiv sein. 

Was sind denn die Vorteile von Kernfusion im Vergleich zu anderer Energieerzeugung?
Kernfusion kann unabhängig von Sonneneinstrahlung und Windverhältnissen, Wärme und elektrische Energie in Grundlast herstellen, also rund um die Uhr und ohne Emission von CO2. Die dazu erforderlichen Brennstoffe sind weltweit gut verfügbar und nahezu unerschöpflich. Damit könnte Kernfusion in einem CO2-freien Energiesystem eine wichtige Rolle spielen. Sie könnte Elektroenergie erzeugen, in Zeiten, in denen Sonne und Wind nicht ausreichend Energie liefern, und wäre wegen des geringen Landbedarfs besonders hilfreich für die Energieversorgung von Großstädten und großen Industriebetrieben.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Risiken der neuen Technologie?
Die Anlage muss das radioaktive Tritium gut einschließen. Ansonsten gibt es eigentlich keine nennenswerten Risiken. 

Sollte das nicht gelingen und es zu einer Panne kommen, könnte es zu Katastrophen wie in Fukushima kommen?
Nein, definitiv nicht. Fusion funktioniert ja ganz anders als Kernspaltung und hat die beiden wesentlichen Risiken, die zu Tschernobyl und Fukushima geführt haben, nicht. In Fukushima ist die Kühlung ausgefallen. Das ist bei der Spaltung ein Problem, weil nicht nur die langlebigen radioaktiven Kerne entstehen, für die man ein Endlager braucht, sondern auch welche, die sehr schnell zerfallen. Bei diesen Zerfällen entsteht viel Wärme, die man sofort abführen muss. Das Problem gibt es bei der Fusion nicht, weil Helium entsteht, das nicht radioaktiv ist. Außerdem muss man bei der Spaltung die Anzahl der freiwerdenden Neutronen kontrollieren, weil man sonst einen unkontrollierten Leistungsanstieg wie in Tschernobyl haben kann mit den bekannten Folgen. Das ist bei der Fusion auch nicht möglich, weil die Leistung direkt durch die Brennstoffzufuhr reguliert wird, die Endprodukte spielen für die Fusion keine Rolle mehr. Und wir haben nur Brennstoff für weniger als eine Minute im Plasma. 

„Keine Konkurrenz zwischen Erneuerbaren und der Kernfusion“

Das klingt eigentlich zu gut, um wahr zu sein. Wann könnte es denn soweit sein, dass so ein Kraftwerk in Betrieb geht?
Ein genaues Datum kann man dafür nicht nennen, weil das sowohl vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt als auch von der Finanzierung abhängt. Als groben Richtwert würde ich 20 Jahre nennen, wenn man im Durchschnitt ca. 1 Mrd. Euro pro Jahr an Finanzmitteln bereitstellt und innerhalb der nächsten fünf Jahre einen gesetzlichen Rahmen für die Genehmigung von Fusionskraftwerken schafft.

Was bedeutet das für den Ausbau von erneuerbaren Energien in Deutschland?
Eigentlich zunächst gar nichts. Wenn wir bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden wollen, müssen wir jetzt die erneuerbaren Energien ausbauen. Ich sehe keine Konkurrenz zwischen Erneuerbaren und der Kernfusion. Wenn die Kernfusion als Option zur Verfügung steht, könnte man allerdings auf Reservekraftwerke verzichten, die man jetzt vorhalten muss, um eine verlässliche Energieversorgung unabhängig von den Wetterverhältnissen sicherzustellen. In Zeiten, in denen Sonne und Wind genügend Energie zur Verfügung stellen, würden wie bereits erwähnt, chemische Energiespeicher erzeugt, die dann bspw. als Treibstoffe für Flugzeuge oder in industriellen Prozessen genutzt werden könnten.

Das Münchener Start-up „Marvel Fusion“ ist nun in die USA abgewandert – angeblich, weil das Land deutlich weiter sei bei Forschung und Kapital. Stimmt das – und was muss sich in Deutschland ändern?
Es stimmt, dass es in den USA mehr private Gelder für risikoreiche Unternehmungen gibt. Es gibt in den USA zahlreiche Start-ups zur Fusionsforschung, die zum Teil sehr viel privates Geld einwerben konnten. Das prominenteste Beispiel ist Commonwealth Fusion Systems mit mehr als 2 Mrd. US-Dollar privaten Mitteln. Das ist ein Unternehmen, das auf Magnetfusion setzt.

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