Anzeige

Kommentar 500 Euro für die Inflation

Wie lässt sich die Inflation im Euroraum anheizen? Indem die EZB den Menschen einmalig 500 Euro überweist. Von John Muellbauer
Inflationsplan: 500 Euro für jeden Bürger Eurozone
Inflationsplan: 500 Euro für jeden Bürger Eurozone
muellbauer_120

John Muellbauer ist Professor für Ökonomie an der Universität Oxford und Senior Research Fellow am Institute for New Economic Thinking der Oxford Martin School

Es ist jetzt fast sicher: Sinkende Energie- und Rohstoffpreise werden die jährliche Inflationsrate in der Eurozone bis Jahresende unter den Nullwert drücken – und damit deutlich unter den Zielwert der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent. Statt weiter zuzulassen, dass von deutscher Wirtschaftsideologie geprägtes und fehlgeleitetes Denken, effektive Maßnahmen behindert, muss die EZB eine quantitative Lockerung „zugunsten der Menschen“ verfolgen – eine Adaptation von Milton Friedmans Strategie der „Hubschrauberabwürfe“ –, um die Deflation rückgängig zu machen und die Eurozone wieder auf Kurs zu bringen.

Wie die Dinge liegen, hat die hergebrachte Geldpolitik für die Länder der Eurozone kaum etwas gebracht – und mit der quantitativen Lockerung nach amerikanischer Art wird es genauso sein. Erklärbar ist das unter anderem dadurch, dass die Kapitalmärkte bei der Kreditvergabe in der Eurozone (wo die Banken wichtiger sind) einen viel geringeren Beitrag leisten als in den USA. Daher hat eine Senkung der Zinsen für Staats-, Unternehmens- und forderungsbesicherte Anleihen hier eine geringere Wirkung.

Zugleich lässt sich der Euro-Wechselkurs – der einzige Mechanismus, mit dem die derzeitige Politik noch etwas ausrichten könnte – nicht viel weiter nach unten drücken. Zunächst einmal würde das angesichts des enormen Handelsüberschusses der Eurozone starken internationalen Widerstand hervorrufen. Zudem funktionieren in der Eurozone die Mechanismen anders, mit deren Hilfe die Käufe besicherter Anleihen der Fed die Verbraucher zu höheren Konsumausgaben verleiten soll - niedrige Hypothekenzinsen, eine weithin verfügbare Eigenheimrefinanzierung, hohe Wohnungspreise und die Beleihung von Wohneigentum.

Keine Auswirkungen auf den Konsum

In Deutschland, Frankreich und Italien spornen höhere Häuserpreise die Nichteigentümer an, mehr für ihre Anzahlungen zu sparen, und machen Mieter vorsichtiger, die künftige Mietsteigerungen befürchten. Zudem führt das Immobilienvermögen der bestehenden Eigentümer angesichts des mangelnden Zugriffs auf Eigenheimkredite und ohne preiswerte Möglichkeit zur Refinanzierung von Hypothekenkrediten zu keinem wesentlichen Anstieg der Ausgaben. Und schließlich verringern in Ländern wie Deutschland, wo die Bankguthaben und Spareinlagen der Haushalte deren Schulden deutlich übersteigen, die niedrigen Zinssätze die Gesamtausgaben der Haushalte.

Die niedrigen Anleiherenditen sind ein weiterer Faktor, der die Wirksamkeit der quantitativen Lockerung in der Eurozone beinträchtigt. Sie steigern die Defizite der Pensionskassen und führen bei manchen Unternehmen zur Verzögerung von Investitionen. Diese sind dann eher geneigt, die Beitragssätze zu erhöhen und die Rentenleistungen zu beschränken. In den USA werden großzügigere Annahmen über die Diskontsätze zugrunde gelegt, um die Haftungsverpflichtungen der Pensionskassen zu berechnen.

Darüber hinaus hat insbesondere eine quantitative Lockerung US-amerikanischen Stils tendenziell ungünstige Verteilungswirkungen, denn sie kanalisiert mehr Geld in Richtung der Reichen, die eine geringere Ausgabeneigung haben, ohne den Ärmeren, die das Geld für einen erhöhten Konsum nutzen würden, viel zu bringen. In der Eurozone ist die Verteilungsfrage besonders komplex angesichts der Tatsache, dass institutionelle Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern den Eindruck der Diskriminierung zwischen ihnen hervorrufen können.

Direktzahlung für die Menschen

Die EZB muss eine Strategie entwickeln, die im einzigartigen System der Eurozone funktioniert, statt weiter der Fed zu folgen. Eine derartige Strategie sollte bei der Behauptung Friedmans ansetzen, dass „Hubschrauberabwürfe“ – das Drucken und Verteilen großer Geldmengen – die Wirtschaft immer ankurbeln und die Deflation bekämpfen können. Doch um die Wirkung eines derartigen Vorgehens zu maximieren, müsste die EZB zugleich eine Möglichkeit finden, eine faire Verteilung zu gewährleiten.

Eine simple Lösung wäre es, das Geld an die Regierungen zu verteilen, die dann entscheiden könnten, wie sie es in ihren Ländern am besten ausgeben. Doch das Verbot in der Eurozone, die EZB zur Finanzierung staatlicher Ausgaben einzusetzen, versperrt diesen Weg.

Eine praktikablere Option wäre daher, allen Arbeitnehmern und Rentnern mit Sozialversicherungsnummern (oder ihrer lokalen Entsprechung) eine Zahlung der EZB zukommen zu lassen, bei deren Verteilung die Regierungen lediglich assistieren würden. Eine weitere Alternative wäre es, die Wahlregister zu verwenden – öffentliche Datenbanken, die die EZB unabhängig von den Regierungen verwenden könnte.

„Hubschraubergeld“ würde funktionieren

Von den rund 275 Millionen Erwachsenen in der Eurozone mit Sozialversicherungsnummern sind etwa 90 Prozent in den Wahlregistern verzeichnet. Bei Fortschreibung der US-Erfahrungen aus dem Jahr 2001, als eine Sozialversicherungserstattung von 300 US-Dollar pro Person die Ausgaben um etwa 25 Prozent des ausgeschütteten Betrages erhöhte, könnte ein Scheck von 500 Euro (640 US-Dollar) von der EZB die Ausgaben um rund 34 Mrd. Euro oder 1,4 Prozent des BIP steigern. Die zusätzlichen Steuereinnahmen, die eine derartige Ausschüttung produzieren würde, könnten die Haushaltsdefizite erheblich verringern.

Eine derartige Initiative würde die Wirtschaft der Eurozone nicht nur aus der Deflation befreien, sondern hätte auch enorme politische Vorteile, denn sie würde die Ablehnung gegenüber den europäischen Institutionen abbauen – insbesondere in Krisenländern wie Griechenland und Portugal, wo zusätzliche 500 Euro besonders starke Auswirkungen auf die Ausgaben hätten. Auf diese Weise könnte die EZB den unzufriedenen Bürgern und Anlegern beweisen, dass es ihr mit der Einhaltung ihres Inflationsziels ernst ist, und sogar dazu beitragen, dem Aufstieg nationalistischer Parteien Einhalt zu gebieten.

Sicher dürften sich einige Länder – insbesondere Deutschland – diesem Ansatz unter Verweis auf Besonnenheit und Verantwortung widersetzen. Tatsache jedoch ist, dass das „Hubschraubergeld“ funktionieren würde – und dass die Rechtslage in der Eurozone es zulässt.

Nach Jahren des Sparens, der Grabenkämpfe und der Arbeitslosigkeit ist es Zeit, ein Programm der quantitativen Lockerung umzusetzen, das liefert, was Europa braucht.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2014.
 www.project-syndicate.org

Neueste Artikel