Mein lieber Hayek,
trotz Ihrer kühlen Marktideologie hoffe ich doch, dass letztlich ein Herz in Ihnen schlägt. Beim Blick auf die Wassermassen, die Anfang Juni Deutschland und auch Ihre Heimat Österreich überfluteten, müssen doch auch Sie ausnahmsweise einsehen: Hier kann nur der Staat helfen, hier kann Ihr geliebter Markt nichts heilen. Der Wiederaufbau von Häusern, Brücken, Straßen, Hilfe für Bauern, die ihre Ernte verloren haben, all das muss durch Notfallpläne der Regierungen organisiert und finanziert werden. So kann am Ende selbst aus der Katastrophe noch etwas Gutes erwachsen.
Im Vertrauen auf Ihren Zuspruch – Ihr John Maynard
Sehr geehrter Herr Keynes,
das ist nun wieder typisch. Selbst bei einer Jahrhundertflut denken Sie nur wieder darüber nach, wie man den aufgeblähten Staatsapparat beschäftigen und die Nachfrage stimulieren kann. Für Sie ist eine Flut offenbar nichts anderes als ein Multiplikatoreffekt! Meine Zustimmung bekommen Sie mitnichten. Wenn die Menschen den Wiederaufbau selbst organisieren, dürfte das effizienter sein als alles, was die Regierung tut: Die Bauern wissen, wie sich ein Feld noch retten lässt, Geschäftsinhaber können am besten einschätzen, was für eine Infrastruktur sie am dringendsten benötigen. Der Staat wird die Katastrophe nur zum Vorwand nehmen, um neue Brücken ins Nirgendwo zu bauen.
Ihr F. A. Hayek
Herr Hayek,
Sie stellen wie immer Ihre Dogmen über das Mitleid mit den Menschen. Die Katastrophenopfer dem Markt zu überlassen heißt, sie dem Elend zu vermachen. Dabei bieten Naturkatastrophen Chancen für neues Wachstum – sofern der Staat die Wiederaufbauprogramme organisiert. Nur er hat die Mittel und den Überblick, um Straßen und Telekommunikation wieder rasch instand zu setzen. Außerdem: Woher soll ein Mann, dessen Haus weggespült wurde, denn die 20 000 Euro für dessen Wiederaufbau nehmen?
John Maynard
Sehr geehrter Herr Keynes,
niemand will Menschen in der Not sich selbst überlassen. Politiker aber haben eine unersättliche Lust darauf, Dinge zu tun, von denen sie nichts verstehen. Mir graut vor Ihrem „staatlichen Aufbauprogramm“. Es bedeutet nur, dass Steuergelder in Projekte gesteckt werden, die niemandem weiterhelfen. Nicht aus böser Absicht, sondern aus Unfähigkeit zu erkennen, was sinnvoll wäre. Die Immobilienbesitzer sind das Risiko, in einem Hochwassergebiet zu leben, ja selbst eingegangen. Sie werden schon wissen, wo sie einen Kredit aufnehmen, ob ihre Versicherung ausreichend war und ob sie sich auf dieses Risiko noch einmal einlassen wollen.
Ihr F. A. Hayek
PS: Mitleid ist keine ökonomische Kategorie.
Hayek,
ich hätte es wissen müssen. Als Marktesoteriker scheuen Sie jeden noch so kleinen Eingriff in den Lauf der Dinge. Firmen müssen ja auch ab und zu verschwinden für Ihre heilige Marktbereinigung – warum also nicht auch ein paar Flutopfer, nicht wahr Hayek? Nein, in diesem Fall gibt es keine Alternative zum Staat. Aber ich fürchte, das kann ein kaltes Herz wie das Ihre nicht verstehen.
Erschüttert – Ihr John Maynard
PS: Angesichts des Einflusses meiner Thesen bestimme immer noch ich, was eine ökonomische Kategorie ist.
Den ersten Teil des fiktiven Briefwechsels finden sie hier: Sollen Straßennamen verkauft werden?