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Timo Pache Haushaltskrise: Warum wir einen parteiübergreifenden Kraftakt brauchen

Parteichef Friedrich Merz vergangenes Wochenende beim Landesparteitag der baden-württembergischen CDU
Parteichef Friedrich Merz vergangenes Wochenende beim Landesparteitag der baden-württembergischen CDU
© imageBROKER | Arnulf Hettrich / Picture Alliance
Noch lehnt CDU-Chef Friedrich Merz eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz ab. Dabei könnte ein schneller lagerübergreifender Kompromiss ihm den Weg ins Kanzleramt ebnen 

Wenn alles so schwierig und komplex ist, sollte man mit dem Positiven anfangen: Es ist gut, wenn das Karlsruher Schulden-Urteil in den kommenden Wochen noch mal eine ernsthafte Debatte darüber auslöst, was wir uns in Deutschland leisten wollen, können und müssen. Und ebenso richtig ist, dass diese Diskussion nicht nur die Ampelkoalition führen muss, sondern die Union gleich mit. Denn spätestens für den Haushalt 2024, der eigentlich schon in dieser Woche hätte eingetütet werden sollen und sich nun womöglich in das nächste Frühjahr verschiebt, werden SPD, FDP und Grüne wohl auch CDU und CSU brauchen – zumindest wäre es sinnvoll, wenn alle fünf Parteien hier einen großen Kompromiss finden. 

Tatsächlich wird das Land nur mit einem lagerübergreifenden Kraftakt aus dem tiefen Haushaltsloch finden, das das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts gerissen hat: Gefordert sind Einsparungen, die jetzt vor allem Union und FDP ins Spiel bringen, und weitere Schulden für mehr Investitionen im regulären Bundeshaushalt. 

Natürlich gibt es in einem Haushalt von knapp 450 Mrd. Euro, mit dem Finanzminister Christian Lindner bisher für das kommende Jahr plante, immer Stellschrauben, die sich anziehen lassen: Man kann und sollte beim Bürgergeld, beim Elterngeld und gerne auch bei den diversen sehr teuren Nachschlägen der vergangenen Jahre im Rentensystem (Rente mit 63, Mütterrente) ansetzen – aber ebenso bei jenen Steuerprivilegien, die gerade FDP und Union gerne verteidigen: der niedrigere Steuersatz auf Diesel etwa, das Dienstwagenprivileg oder die Pendlerpauschale. Einsparungen zu fordern, aber immer nur bei der Klientel der anderen, wird nicht mehr funktionieren. 

Es wurde stets getrickst

Doch selbst wenn sich alle auf ein solches Sparpaket verständigen können, wird es kaum reichen, um den Konsolidierungsbedarf, der sich aus dem Karlsruher Urteil ergibt, zu decken: Der dürfte nach ersten Schätzungen allein im kommenden Jahr bei 40, womöglich sogar bei 50 Mrd. Euro liegen. Und in den Jahren danach geht es munter so weiter. 

An dieser Stelle sei erinnert an die berüchtigte Kabinettsklausur von Meseberg im Jahr 2010. Die schwarz-gelbe Koalition unter Angela Merkel beschloss damals Einsparungen von mehr als 80 Mrd. Euro. Ein Großteil davon wurde bei der Bundeswehr herausgeholt – weshalb wir heute eine Armee beklagen, die nur noch bedingt abwehrbereit ist und die wir nur durch ein 100-Milliarden-Sondervermögen neben dem regulären Bundeshaushalt wieder aufrüsten können (weil es die Schuldenbremse im Grundgesetz anders nicht zulässt).

Überhaupt ist die Geschichte der Schuldenbremse eine Geschichte der Tricksereien: In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens hätte das Land eher eine Ausgabenbremse gebraucht, denn für seine berühmte schwarze Null musste der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht sparen, sondern lediglich jedes Jahr die Ausgaben hochschrauben, um nicht noch höhere Überschüsse zu produzieren. Mit der ersten Krise (Corona) jedoch wurde die Bremse ausgesetzt, die ersten Schattenhaushalte wurden noch unter einer CDU-Kanzlerin erfunden, der ersten Übertragung ungenutzter Corona-Kredite an den damaligen Energie- und Klimafonds (EKF) stimmten auch alle 246 Abgeordneten von CDU/CSU zu. 

Absetzbewegungen in der Union

Statt die Schuldenaufnahme zu limitieren, steigerte die Schuldenbremse im Grundgesetz lediglich die politische Kreativität. Was angesichts der akuten Aufgaben, vor denen die Politik in der Pandemie stand und vor denen sie jetzt bei der Bundeswehr oder der nötigen Modernisierung von Infrastruktur und Wirtschaft immer noch steht, auch richtig war und ist. Alles andere wäre auch politischer und ökonomischer Selbstmord. 

Dass die Gegensätze zwischen Regierung und Opposition längst nicht so eindeutig sind, wie es CDU-Chef Friedrich Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann heute gerne glauben machen wollen, erkennt man schon daran, dass den beiden gerade niemand von Gewicht in der Union beispringt: Jedenfalls hat man von Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst zur Schuldenbremse bisher wenig gehört, ebenso vom eigentlich grundsoliden Markus Söder aus Bayern oder dem jüngsten Shootingstar der Partei aus Hessen, Boris Rhein. 

Stattdessen aber: Beschloss das CDU-regierte Schleswig-Holstein in dieser Woche die Aussetzung der Schuldenbremse gleich für dieses und das nächste Jahr; dazu fordern mit Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner sowie Sachen Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff bereits zwei CDU-Landesfürsten, die Schuldenbremse lieber gleich im Grundgesetz zu reformieren anstatt sich nun von Jahr zu Jahr immer neue Begründungen für eine Notlage aus den Fingern saugen zu müssen. 

Investitionen müssen möglich sein

Die ganze Verquastheit der heutigen Regelung im Grundgesetz zeigt sich noch an einem anderen Beispiel, ausgerechnet einem (sinnvollen) Lieblingsprojekt der Liberalen: Bis zu 12 Mrd. Euro will Finanzminister Christian Lindner in den kommenden Jahren jedes Jahr an neuen Schulden aufnehmen, um davon anschließend Aktien zu kaufen und diese für die gesetzliche Rente an der Börse zu investieren. Für die Schuldenbremse sind solche Aktionen aber keine neuen Schulden, sondern ein „Vermögenstausch“. 

Nun ist der Ausbau der Aktienanlage in der Altersvorsorge seit Jahren überfällig und das ganze Projekt daher auch nicht grundfalsch. Aber: Ob es dem Wohlstand Deutschlands tatsächlich mehr dient, wenn der Staat jedes Jahr 12 Mrd. Euro, die er sich leiht, in börsennotierte Unternehmen rund um den Globus steckt, statt hier die öffentliche Infrastruktur und die Wirtschaft zu modernisieren, kann man zumindest ebenfalls noch mal diskutieren. Der Logik der Schuldenbremse wäre nach diesem Modell jedenfalls gedient, wenn der Staat bei allen Projekten, die er künftig unterstützen will, (Mit-)Eigentümer werden würde. Verstaatlichung statt Subventionen – mal sehen, wann Grüne und Linke diese Idee aufgreifen, um ihre geplanten Förderprogramme noch zu retten.

Nein, die Lösung muss lauten: Wenn die Aktienrente möglich ist, dann muss auch eine Modernisierung des hiesigen Schienennetzes, der Stromtrassen, der Straßen und der Aufbau neuer Industrien möglich sein – ohne dass der Bund überall als Eigentümer einsteigt. Dafür muss die Schuldenbremse im Grundgesetz reformiert werden, das wissen inzwischen auch die meisten Führungsleute bei CDU und CSU. Wenn die FDP dabei nicht mitmachen will, dann gibt es dafür noch ein historisches Fenster: SPD, Union und Grüne kommen aktuell zusammen auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Ob es diese Mehrheit auch nach der nächsten Bundestagswahl geben wird, ist hingegen ungewiss.

Für Friedrich Merz könnte sich das Urteil von Karlsruhe als extrem mächtiger Hebel entpuppen: Er könnte die Position seiner Union nutzen, um die Ampelkoalition auseinanderzutreiben und den Weg für Neuwahlen freizumachen. Im eigenen Interesse sollte er zuvor nur eine Lösung für die Schuldenbremse gefunden haben, die ihm danach das Regieren erleichtert.  

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