Beim Bundeswirtschaftsminister klang das gestern früh eindeutig. Das Urteil des Verfassungsgerichts zum Haushalt, sagte Robert Habeck, „bezieht sich auch auf den Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds“. Es ist ein Satz mit unmittelbaren Folgen. Wenn er stimmt, und nicht nur der grüne Vizekanzler interpretiert das Urteil so, dann wäre der Haushalt des laufenden Jahres nicht verfassungsfest. Dann müsste schnell ein Nachtragshaushalt her und der Bundestag erneut die Notlage erklären, um eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu begründen.
Beim Regierungssprecher klang das gestern Mittag schon deutlich schwammiger. Welche weiteren Auswirkungen das Urteil habe, werde noch geprüft, sagte Steffen Hebestreit. Abwarten, bitte. Das Bundesfinanzministerium verhängte am Montagabend dann aber eine Haushaltssperre für den gesamten Bundesetat. Aufgrund des Urteils ergebe sich „für den Bundeshaushalt die Notwendigkeit der Überprüfung der haushaltswirtschaftlichen Gesamtlage“, schrieb Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer. Eine nach der Haushaltssperre von den Ministerien „begehrte Freigabe von Verpflichtungsermächtigungen (...) in besonderen Einzelfällen kann ich allenfalls im Falle eines schriftlich dargelegten sachlich und zeitlich unabweisbaren Bedarfs in Aussicht stellen“. Es werde dabei „ein besonders strenger Maßstab an den Nachweis eines solchen Bedarfs angelegt“. Bestehende Verbindlichkeiten würden weiter eingehalten, es dürften nur keine neuen eingegangen werden.
Vergangene Woche hat das Verfassungsgericht eine Umwidmung von Krediten über 60 Mrd. Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Sie waren damals genehmigt worden, um die Coronakrise zu bewältigen, sollten künftig aber für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Nun stehen die Milliarden für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) nicht zur Verfügung. Und wohl nicht nur die.
Was tun? Die unterschiedlichen Aussagen von Vizekanzler und Regierungssprecher zeigen: Ganz genaues weiß man nur vielleicht – und wenn, dann erst später. Dabei steht viel auf dem Spiel. 29 Sondervermögen des Bundes gibt es insgesamt, das älteste ist von 1953, das Treuhandvermögen für den Bergarbeiterwohnungsbau. Sind die jetzt alle in Gefahr?
Auf die Notlage kommt es an
Davon geht der Ökonom Armin Steinbach nicht aus. „Bei den meisten Sondervermögen dürfte das Risiko, dass sie nicht rechtskonform sind, gering sein“, sagt Steinbach, der früher in leitender Funktion im Bundesfinanzministerium arbeitete. Inzwischen lehrt er an der Pariser Elitehochschule HEC. Es sei gut, sagt Steinbach, dass die Regierung nun alle Töpfe prüfe. Problematisch sind seiner Einschätzung nach aber vor allem die Sondervermögen, die mit einer Notlage begründet sind.
Neben dem KTF, den die Verfassungsrichter nun beanstandet haben, betrifft das den finanzstarken Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Er sollte Unternehmen im Zuge der Coronapandemie stützen. Nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs wurde sein Zweck erweitert, um die Folgen der Energiekrise abzufedern. Dafür wurde der WSF 2022 ermächtigt, bis zu 200 Mrd. Euro an Krediten auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen. Das war der sogenannte „Doppel-Wumms“. Damals hatte die Bundesregierung eine Notlage erklärt, um von der Schuldenbremse abweichen zu können.
Weil sich der WSF komplett aus Notlagenkrediten speist, ist er durch das Urteil nun massiv gefährdet. „Die Kredite müssen in dem Jahr auf die Schuldenbremse angerechnet werden, in welchem sie aufgenommen und ausgegeben werden“, sagt Steinbach. Für 2023 könnte das bedeuten, dass im Haushalt nun mehr als 30 Mrd. Euro fehlen, die der Staat aus dem WSF für günstigere Energie- und Strompreise ausgegeben hat.
Die restlichen Sondervermögen hingegen seien nicht mit einer Notlage begründet worden, sagt Steinbach, die Regeln für diese weniger strikt. Das Urteil ist demnach mitnichten ein Verbot für künftige Sondervermögen. Eine Finanzquelle für weitere Mittel für den Klimaschutz sieht Steinbach auch nach dem Urteil zum Beispiel darin, ein Sondervermögen für Transformation in der Verfassung zu verankern. Damit würde der Topf nicht der Schuldenbremse unterliegen, wie schon das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, das bereits im Grundgesetz steht. Wie bei der Finanzierung der Zeitenwende bräuchte die Ampel dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Sie wäre also auf die Stimmen der Union angewiesen.
Habeck schiebt Union die Schuld zu
Danach sieht es derzeit nicht aus. Von ganz großkoalitionärer Einigkeit im Angesicht einer schwierigen Haushaltslage bei gleichzeitig großen Herausforderungen ist nichts zu spüren. Im Gegenteil. Während die Ampel noch prüft und überlegt, was nun zu tun ist, sind einige Sozialdemokraten und Grüne bemüht, die Schuld für ihre Misere bei CDU und CSU abzuladen.
Dass nun höhere Strom- und Gaspreise für viele Bürgerinnen und Bürger drohen? Dafür, so Habeck im Deutschlandfunk, könnten sich die Menschen bei der Union und CDU-Chef Friedrich Merz bedanken. Die Union wiederum hat ihre Prüfung der neuen Lage offensichtlich abgeschlossen. Die Regierung müsse jetzt einen Nachtragshaushalt für 2023 vorlegen, forderte Mathias Middelberg, Unionsfraktionsvize im Bundestag. „Auch der Haushalt 2024 dürfte so, wie er jetzt vorliegt, nicht beschlussreif sein“, ergänzte er.
Mit Reuters
Der Beitrag ist zuerst bei stern.de erschienen