CAPITAL: Taumelt der stationäre Einzelhandel von einer Krise in die nächste?
CHRISTIAN GREINER: Gejammert wird in der Branche schon seit langem, auch schon vor Corona. Die aktuelle Krise aber betrifft alle, nicht nur den stationären Einzelhandel. Im Ecommerce ist es sogar noch viel krasser, das hat man jetzt im ersten Halbjahr gesehen. Die Inflation treibt alle Branchen gerade sehr stark um. Aber die Leute konsumieren immer noch. Und ich glaube, wenn man ein überzeugendes Konzept hat, dann hat man immer noch eine Chance.
Sie haben sich ja kurz vor Corona der Bekleidungskette Wöhrl angenommen und haben versucht, ein neues Konzept durchzusetzen. Wie läuft es da?
Wir haben nicht wirklich versucht, ein neues Konzept umzusetzen. Wir haben eher probiert, uns auf die ursprüngliche Erfolgsgeschichte zu fokussieren. Das hat nach dem Neustart auch schnell gut funktioniert – bis dann Corona kam. Und jetzt spüren wir wie alle Einzelhändler die Auswirkungen der ganzen Krise. An den wenigsten Standorten sind die Frequenzen wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie.
Und jetzt kommt der Anstieg der Energiepreise noch dazu.
Ja, aber das ist auch ein extrem psychologisches Thema. Die Kunden sind ja nicht immer rational, wenn es um Einkäufe geht. Sobald eine Angst entsteht, eine Situation, die die Leute verunsichert, dann wird ganz schnell der Konsum zurückgefahren. Weil man nicht die Lust hat zu konsumieren und weil man natürlich erst mal das Geld zusammenhält. Diese Auswirkungen spüren wir nach wie vor. Aber wir merken, dass sich das schrittweise wieder erholt.
Wir sehen, dass viele Modeketten derzeit aufgeben und dicht machen. Was ist das Erfolgsrezept für eine Kette wie Wöhrl, um das zu verhindern?
Wir setzen sehr stark auf persönliche Beratung und auf den Menschen. Wir versuchen, ein wirkliches Einkaufserlebnis zu schaffen. Wenn die Leute kommen, müssen sie merken, dass sie einen Mehrwert bekommen und nicht nur ein Produkt kaufen. Wenn man austauschbar wird, hat man ein Problem. Die Produkte, die wir anbieten, kann ich an unendlich vielen anderen Stellen auch kaufen. Der Faktor Mensch ist der entscheidende.
Was heißt das konkret?
In unserem Stammhaus in Nürnberg versuchen wir, über die reine Produktwelt hinaus, einen Mehrwert für den Aufenthalt zu schaffen. Ob es mit Veranstaltungen, mit Gastronomie oder Events ist. Oder mit überraschenden Produktwelten. Das Wichtigste ist, die Menschen neugierig zu machen.
Beratung kostet auch Geld, da muss ja auch investiert werden. Man braucht geschultes Personal, und auch ein schönes Umfeld ist nicht billig. Da muss also eine angeschlagene Branche investieren, um aus der Ecke rauszukommen.
Ja, natürlich. Aber oft geht es einfach um Zeit und Gehirnschmalz, den man investieren muss. Nur Geld in ein Geschäft zu stecken, um das goldene Lametta von der Decke runterzuhängen, das alleine reicht nicht. Eines ist klar: Der stationäre Handel kann den großen Onlinern vom Produktportfolio her nicht das Wasser reichen. Also muss man sein Profil schärfen und vielleicht das eine oder andere ganz weglassen. Aber gerade in einem schwierigen Marktumfeld trauen sich das viele natürlich nicht.
Es gab ja immer die These, dass die Zukunft in einer geschickten Kombination von Online- und Offlinehandel liegt. Aber Sie sehen ja den Onlinehandel eher skeptisch, oder?
Ich stehe dem Onlinehandel nicht per se skeptisch gegenüber, das stimmt nicht. Ich bin dann skeptisch, wenn Geschäftsmodelle keine Wertschöpfung haben. In den letzten Jahren sind Geschäftsmodelle mit viel billigem Geld aufgeblasen worden und haben sich Marktanteile erkauft. Die waren aber eher destruktiv und hatten keine Wertschöpfung. Aber sich einfach mit viel Geld Umsatzanteile zu erkaufen, und das auch noch über einen langen Zeitraum, das ist einfach ungesund. Es gibt Produktwelten, bei denen ich nach wie vor nicht glaube, dass man im Ecommerce ein profitables Geschäftsmodell aufbauen kann.
Aber trotzdem müssen doch beide Modelle vernetzt werden?
Ja, natürlich, auf jeden Fall. Und das machen wir auch. Der Endverbraucher hat ja den Anspruch, über alle Kanäle mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten. Aber es muss für sich selbst ein tragfähiges Geschäftsmodell sein.
„Der kostenlose Versand wird schrittweise verschwinden“
Wie will man denn dem Onlinehandel wirksam Konkurrenz machen?
Fakt ist doch: Ein Großteil der Onlinehändler ist defizitär. Selbst wenn sie Umsätze im Milliardenbereich machen. Ich glaube, was jetzt passieren wird, ist folgendes: Jetzt, da die Zinsen hochgehen und die Private Equity-Fonds auch nicht mehr alles mit Geld zumüllen, müssen diese ganzen Konzepte die Profitabilität in den Fokus rücken. Dadurch werden sie Umsatz verlieren. Ich glaube, dass der ganze kostenlose Versand schrittweise verschwinden wird. Auch die kostenlosen Retouren werden in der Form nicht mehr existieren. Und die Kosten für den Endverbraucher werden online steigen. Und dann wird es viele geben, die sagen: Dann kann ich ja gleich in der Stadt einkaufen.
Sie haben beschrieben, welche Wirkung ein attraktives Verkaufsumfeld haben kann. Aber ist das nicht nur etwas für Premiumlagen wie Ihr Stammhaus in Nürnberg – und weniger etwas für Kleinstädte und schlechtere Lagen?
Manchmal stimmt eher das Gegenteil. Wir haben Wöhrl-Standorte in kleineren Städten, in denen das Konzept gut funktioniert. Und manchmal mit weniger Aufwand als in einer Großstadt. Es gibt andere Kostenstrukturen und weniger Konkurrenz. Die Münchner Innenstadt ist ja so umkämpft wie kaum ein anderes Gebiet in Deutschland. Da muss man sich gegen immer bessere Gegenspieler behaupten. Es gibt Beispiele von Einzelhändlern, die im letzten Eck super-erfolgreiche Konzepte entwickelt haben. Aber natürlich müssen die Kommunen die Innenstädte für Verbraucher attraktiv halten. Da bemühen sich zu wenige.
Was heißt das?
Da gehören Dinge dazu wie die Verkehrsberuhigung der Innenstadt. Wie werden Baustellen organisiert? Wie lange dauern Genehmigungen? Wie gehe ich mit öffentlichen Veranstaltungen um?
Also Musik und Kunst?
Auch. Das kann alles mögliche sein. Manchmal geht es auch einfach darum, die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten. Dass die Leute sich in der Innenstadt sicher fühlen – das ist eine ureigene Aufgabe, die die Städte und Gemeinden haben.
Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
Hören Sie in der neuen Folge von „Die Stunde Null“:
- Warum es so schwer ist den Onlinehandel mit stationären Geschäften zu verbinden.
- Welche Vorteile der Buchhandel in der neuen Handelswelt hat.
- Wo man Christian Greiner als Musiker erleben kann.
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