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Kommentar Großbritanniens verkappter Keynesianer

Die Briten konsolidieren ihren Haushalt zögerlicher als sie behaupten. Von Robert Skidelsky
Robert Skidelsky
Robert Skidelsky
© Getty Images

Robert Skidelsky ist Mitglied des britischen Oberhauses und emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Warwick.

Unter den Finanzfachleuten in Großbritannien wächst die Einigkeit darüber, dass der britische Schatzkanzler George Osborne nicht annähernd so gewillt ist, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen, wie er behauptet. Er bestimmt selbst ein Zieldatum für den Haushaltsausgleich, aber wenn die Frist verstreicht und der Haushalt immer noch unausgeglichen ist, setzt er sich einfach ein neues Datum.

Rechnen wir kurz nach: Als Osborne im Jahr 2010 Schatzkanzler wurde, betrug das Haushaltsdefizit – Ausgaben minus Einnahmen – 153 Milliarden Pfund (195 Milliarden Euro) oder 10,2% des BIP. Er versprach, das Defizit bis 2015 auf 37 Milliarden Pfund oder 2,1% des BIP zu reduzieren – und damit Ausgaben und Einnahmen weiter aneinander anzugleichen. Statt dessen wird erwartet, dass 2014-2015 das Defizit 97 Milliarden beträgt.Die Einlösung von Osbornes Ausgleichsversprechen wurde auf das Haushaltsjahr 2019-2020 verschoben.

Osborne redet zwar über die Notwendigkeit, die Ausgaben zu reduzieren, aber sein Handeln spricht eine andere Sprache. Obwohl er versprach, die Ausgaben bis heute um über 100 Milliarden Pfund zu kürzen, hat er dies nur zur Hälfte eingelöst und einfach sein Fünfjahresprogramm um ein paar weitere Jahre verlängert. So beginnt Osborne, der bisher das Aushängeschild britischer Sparsamkeit war, wie ein verkappter Keynesianer auszusehen.

Manche denken, Vertrauen in die Politik könne statt durch Errungenschaften bereits durch Verpflichtungen geschaffen werden. Die Bank of England beispielsweise hat sich auf „mittelfristig zwei Prozent Inflation“ verpflichtet. Während der letzten sechs Jahre wurde dies nicht erreicht, aber es ist möglich, dass die Verpflichtung der BoE einen gewissen Einfluss auf die Senkung der Zinssätze hatte.

Signaleffekt für Konsumenten

Osbornes Verteidiger könnten in Bezug auf seine Haushaltspolitik ähnlich argumentieren. Eine glaubwürdige Politik der Haushaltskonsolidierung, könnten sie sagen, wird denselben vertrauenssteigernden Effekt haben wie die Konsolidierung selbst.

Ökonomen nennen dies den „Signaleffekt“. Wenn man ankündigt, die Bilanz in fünf Jahren auszugleichen und eine große Zahl von Ausgabenkürzungen ankündigt, haben die Konsumenten keine Angst mehr vor zukünftigen Steuererhöhungen und geben mehr Geld aus. Dies führt zu einer Steigerung des Nationaleinkommens und mit etwas Glück zur planmäßigen Reduzierung des Haushaltsdefizits, ohne dass zu viele Einschränkungen nötig sind.

Indem sie die Wichtigkeit von Signalen betonen, betreten die Ökonomen postmodernes Territorium. Das Signal – in diesem Fall das Versprechen eines Haushaltsausgleichs – erzeugt die Wirklichkeit. Die Menschen beginnen, sich so zu verhalten, als sei die Bilanz ausgeglichen, und ignorieren die Tatsache, dass dies nicht der Fall ist. Wenn man die Geschichte glaubt, verhält man sich so, dass sie wahr wird.

Ich glaube allerdings, dass Osborne selbst dem Signaleffekt seiner Ankündigungen nie irgendeine Wichtigkeit zugemessen hat. Er wollte tatsächlich durch seine versprochenen Kürzungen den Haushalt ausgleichen. Sollte er sich als größerer Keynesianer herausgestellt haben als geplant, hatte dies pragmatische Gründe.

Alle Politiker sind letztlich Keynesianer

Was die Ideologen des freien Marktes oft nicht verstehen, ist, dass die Politik letztlich alle Politiker in einem gewissen Maße zu Keynesianern macht. Unabhängig davon, wie sehr ein Politiker kurzfristige Schmerzen propagiert, um langfristige Vorteile zu erzielen, ist die Schmerzgrenze der Wähler gering. Also setzen vernünftige Politiker die eigentlich nötigen Kürzungen aus und nehmen Kredite auf, die sie bekanntermaßen nicht zurückzahlen können, um die öffentlichen Dienstleistungen aufrecht zu erhalten.

Natürlich sollte Osborne für seinen verkappten Keynesianismus nicht zu sehr gelobt werden. Ein echter Keynesianer hätte 2010 offen gesagt, dass statt Konsolidierung eine Ausweitung des Haushalts nötig sei. Osborne glaubte oder schien zu glauben, Sparsamkeit könne das Vertrauen in die Regierungsfinanzen wieder herstellen und damit das Wirtschaftswachstum beschleunigen.

Aber es gibt klare Anzeichen dafür, dass durch seine Kürzungen aus einer Wirtschaft, die bereits vorher mangels Gesamtnachfrage gelitten hatte, weitere Gelder abgezogen wurden. Dies wirkte sich auf die Erholung eher nachteilig aus. Von 2010 bis 2013 stagnierte die Wirtschaft und machte es Osborne unmöglich, seine Ziele zur Reduzierung des Defizits zu erfüllen.

Jetzt, wo Osborne erneut Kürzungen und einen neuen Fünfjahresplan zum Haushaltsausgleich versprochen hat, ist die Frage, ob er diesmal sein Wort halten kann. Ja, die britische Wirtschaft hat endlich begonnen zu wachsen, und ja, das Wachstum wird vermutlich andauern. Aber gibt es Grund zu der Annahme, dass diese Erholung durch weitere fünf Jahre Sparsamkeit nicht abgewürgt wird? Muss Osborne (oder sein Nachfolger) die Frist erneut verlängern?

Wir alle sind uns einig darüber, dass der Haushalt die Wirtschaft beeinflusst. Aber die Einschätzung von Keynes, dass „der Boom und nicht der Abschwung die Zeit für Sparmaßnahmen im Haushalt“ sei, würde ich nicht teilen. Wer wie Osborne in einem Abschwung versucht, die Ausgaben zu kürzen, verlängert den Abschwung. Und wie er gerade feststellen muss, bedeutet dies, den ausgeglichenen Haushalt immer weiter in die Zukunft verschieben zu müssen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Robert Skidelsky ist Mitglied des britischen Oberhauses und emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Warwick.

Copyright: Project Syndicate, 2014.

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