Das bislang scheinbar ungezügelte Wachstum des gehypten Lebensmittel-Lieferdiensts Gorillas kühlt sich offenbar ab. Das legen interne Geschäftszahlen nahe, die Capital einsehen konnte. Demnach wächst die Zahl der wöchentlich aktiven Kunden seit Anfang Juli nicht mehr. Damals erreichte das Berliner Start-up 170.000 aktive Kunden pro Woche, seither ist die Zahl um etwa fünf Prozent gesunken. Der Juli markiert damit den ersten Monat in der etwas mehr als einjährigen Firmengeschichte, in dem die Zahl der aktiven Kunden über mehrere Wochen rückläufig ist. Ein Gorillas-Sprecher wollte die Zahlen auf Anfrage nicht kommentieren.
Für ein Start-up, das seinen Investoren eine eindrucksvolle Wachstumsgeschichte präsentieren will und muss, sind die schwächelnden Zahlen ein Problem. Dass Gorillas offenbar dringend auf mehr Bestellungen angewiesen ist, dürfte vielen Nutzern bereits aufgefallen sein. Im Juli und August bekamen viele Kunden, die zuletzt weniger bestellt hatten, mehrere E-Mails mit Betreffzeilen wie „Machst du mit uns Schluss?“, „Ist das das Ende?“ und „Gib uns noch eine Chance“. Teil der Rückholaktion waren auch Rabattcodes für kostenlose Lieferungen.
Die Auslastung der Fahrerflotte mit ausreichend Bestellungen ist auch für das Geschäftsmodell von Gorillas unverzichtbar. Laut internen Unterlagen geht man im Management des Start-ups davon aus , dass ein Standort mindestens 1.100 Bestellungen am Tag erreichen muss, um einen positiven Deckungsbeitrag zu erzielen. Selbst die bislang erfolgreichsten Warenlager blieben Ende Juli jedoch unter 900 Bestellungen pro Tag. Besonders auffällig ist die Entwicklung am Standort Prenzlauer Berg in Berlin. Im April war der Hub mit rund 1.100 Bestellungen noch die Nummer eins unter den Gorillas-Warenlagern. Im Juli verzeichnete der Standort hingegen nur noch etwa halb so viele Aufträge pro Tag.
Die Entwicklung schlägt sich auch in weiteren Kennzahlen nieder – so sind der durchschnittliche Umsatz pro Warenlager und die Prognose für den Jahresumsatz seit Juli ebenfalls rückläufig. Die Jahresprognose für den fortgeschriebenen Umsatz hat sich jüngst bei rund 260 Mio. Euro eingestellt – was für ein Jahr altes Start-up immer noch beträchtlich ist.
Ungebremster Ausbau
Mehr oder weniger ungebremst treibt Gorillas hingegen den Ausbau seines Geschäfts voran. Hier gilt weiterhin die Strategie, möglichst viele Standorte in möglichst kurzer Zeit zu eröffnen. Allein im Zeitraum von Juni bis Juli 2021 hat das Start-up mehr als 70 neue Warenlager eröffnet und betreibt jetzt insgesamt mehr als 170 Standorte. Das geht aus den Unterlagen hervor, die Capital einsehen konnte. Bis Jahresende sollen es sogar 500 sein.
Mit der aggressiven Expansion will Gorillas seine Konkurrenten auf Distanz halten. Der Nachteil dieser Strategie zeigt sich jetzt allerdings in den Zahlen: In der Startphase tragen die neuen Standorte kaum etwas bei und drücken so auf die Geschäftszahlen.
Bei den älteren Standorten zeigen sich zudem Probleme bei der Skalierung – insbesondere was die Abfertigung der Bestellungen angeht. Das wird etwa an den Lieferzeiten deutlich. In den Märkten, in den Gorillas schon länger aktiv ist und entsprechend mehr Kunden bedient, sind die Lieferzeiten tendenziell höher. Ein Beispiel: In Spanien, wohin Gorillas zuletzt expandierte, beträgt die durchschnittliche Lieferzeit rund sechs Minuten. Im Heimatmarkt Deutschland, wo Gorillas seit 2020 aktiv ist, liegt die Lieferzeit hingegen bei rund elf Minuten.
Gewinne erzielt Gorillas bisher nicht, da die Kosten für die Expansion und die Verluste im laufenden Geschäft schlicht zu hoch sind. Folgerichtig sucht das Start-up nach neuen Geldgebern, dem Vernehmen bereits schon seit dem Frühsommer. Die Sondierungen liefen bisweilen zäh, was auch daran gelegen haben dürfte, dass Gründer und CEO Kagan Sümer zwischenzeitlich sogar eine Bewertung von 6 Mrd. Dollar angestrebt haben soll – aus Sicht der Investoren offenbar eine überzogene Summe.
Doordash-Einstieg offenbar geplatzt
Gorillas sollte nun kurz davor stehen, die lang geplante Finanzierungsrunde zum Abschluss zu bringen. Nach Informationen von Capital ging es dabei um einen Betrag zwischen 800 und 900 Mio. Euro. Die Bewertung („Post Money“) werde auf etwa 2,1 bis 2,3 Mrd. Euro steigen, heißt es aus dem Unternehmensumfeld.
Die „Financial Times“ hatte bereits Anfang August über die Verhandlungen mit neuen Investoren berichtet, zu denen auch das US-Start-up Doordash gehören soll. Der Einstieg des amerikanischen Liefergiganten schien so gut wie sicher zu sein. Nach Informationen von Capital wollte sich Doordash als Hauptinvestor mit 400 bis 500 Mio. Euro an der Runde beteiligen. Ein Sprecher von Gorillas wollte die Informationen auf Anfrage von Capital nicht kommentieren.
Die Verträge waren noch nicht unterzeichnet, der Gang zum Notar stand kurz bevor. Doch nun ist der Deal offenbar doch noch auf den letzten Metern geplatzt, wie Bloomberg und Telegraph am Freitagnachmittag berichten. Die beiden Unternehmen hätten sich nicht auf eine Strategie einigen können. Gorillas steht nun unter Zeitdruck, schnell einen neuen Geldgeber zu finden.
Als das Start-up im Juni 2020 in Berlin mit seinem Dienst startete, war das Versprechen, Lebensmittel und Getränke zu Ladenpreisen innerhalb von zehn Minuten an die Haustür zu liefern, noch völlig neu. Inzwischen sind eine Handvoll weitere Start-ups mit demselben Konzept in den deutschen Markt eingestiegen, darunter Getir, Flink, Grovy und die Delivery-Hero-Marke Foodpanda. Die Dienste liefern sich ein Rennen um die Vorherrschaft im Markt – und nehmen dabei fürs erste hohe Verluste in Kauf.
Hinweis: Capital.de hatte über das anstehende Investment von Doordash berichtet. Nun ist diese Finanzierungsrunde offenbar auf den letzten Metern noch geplatzt, wie die Berichte von Bloomberg und Telegraph nahe legen. Diese Informationen wurden nachträglich ergänzt.
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