Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland wird in den kommenden zwei Jahren um 82 Cent auf 12,82 Euro erhöht. Einen entsprechenden Vorschlag der zuständigen Mindestlohnkommission will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil per Verordnung umsetzen. Das kündigte der SPD-Politiker am Montag in Berlin an. Die Kommission hatte zuvor nach langen Verhandlungen vorgeschlagen, den Mindestlohn zum 1. Januar 2024 von 12,00 auf 12,41 Euro und ein Jahr später auf 12,82 Euro anzuheben – was insgesamt ein Plus von 6,8 Prozent bedeuten würde.
Die Empfehlung wurde allerdings erstmals in der Geschichte der Mindestlohnkommission nicht im Einvernehmen getroffen. Die Arbeitnehmervertreter in der Kommission halten die Anhebung für zu niedrig, wurden überstimmt und erhoben schwere Vorwürfe gegen die Arbeitgeberseite.
Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte den Mindestlohn zuletzt zum 1. Oktober 2022 ausnahmsweise per Gesetz von 10,45 Euro auf 12 Euro angehoben. Vor allem die SPD hatte sich im Bundestagswahlkampf 2021 dafür eingesetzt. Der aktuelle Erhöhungsschritt kommt nun wieder wie üblich auf Vorschlag der Kommission zustande.
Streit zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern
Normalerweise ist das ein Routinevorgang: Die Bundesregierung setzt die Vorschläge der Kommission üblicherweise einfach per Verordnung in Kraft. Dieses Mal trat Arbeitsminister Heil extra vor die Kameras, um zu versichern, dass es dabei bleibt. „Ich weiß, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften durchaus einen höheren Mindestlohn gewünscht hätten“, sagte er. Er verwies aber auf das Mindestlohngesetz. Demnach könne die Bundesregierung nur den Vorschlag der Kommission umsetzen oder nicht. Die Alternative wäre keine Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar, „was angesichts der Inflationsentwicklung nicht verantwortbar ist“.
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz der Vertreter der Mindestlohnkommission hatten sich die Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter zuvor Wortgefechte geliefert. „Für eine Anpassung lediglich im Cent-Bereich konnten wir auf keinen Fall unsere Hand reichen“, sagte Kommissionsmitglied Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Aus DGB-Sicht müsste es mit Blick auf die Inflation eine Anhebung auf mindestens 13,50 Euro geben. Körzell warf den Arbeitgebern vor, in einer Situation mit den höchsten Teuerungsraten bei den finanziell Schwächsten sparen zu wollen.
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, ebenfalls Mitglied der Mindestlohnkommission, wies die Angriffe zurück. Der gesetzliche Auftrag der Mindestlohnkommission sei wohl abgewogen und kein „Reparaturbetrieb für gesellschaftspolitische oder inflationspolitische Entwicklungen“. Man sei mit dem Beschluss seiner tarifpolitischen, staatspolitischen und wirtschaftspolitischen Verantwortung gerecht geworden.
Die Vorsitzende der Mindestlohnkommission gab den Ausschlag
Im Beschluss der Kommission, der gegen die Stimmen des DGB gefasst wurde, hieß es, die Mehrheit der Kommission halte es im Rahmen einer Gesamtabwägung für vertretbar, den Mindestlohn in diesem Umfang zu erhöhen. Die Beschlussfassung falle in eine Zeit schwachen Wirtschaftswachstums und anhaltend hoher Inflation in Deutschland, die für Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen große Herausforderungen darstellten.
Branchen mit den niedrigsten Gehältern
Das Statistische Bundesamt hat für 18 Branchen die durchschnittlichen Bruttojahresverdienste von Vollzeitbeschäftigten im Jahr 2021 berechnet. Der öffentliche Dienst schnitt dabei lediglich im unteren Mittelfeld ab. Beschäftigte im Bereich „öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Soziaversicherung“ verdienten den Angaben zufolge im Schnitt 51.857 Euro brutto. Das Jahr hatte laut Statista für Vollzeitbeschäftigte 1603 Arbeitsstunden. Das ergäbe einen Stundenlohn von rund 32,30 Euro. Die Staatsbediensteten lagen damit noch knapp unter dem Gesundheits- und Sozialwesen (53.084 Euro).
In den Statistikbereich der „sonstigen Dienstleistungen“ fallen zum Beispiel Frisöre, Schuster, Kosmetiksalons, Bestatter oder Wäschereien. Er rangierte 2021 beim durchschnittlichen Jahresgehalt mit 51.140 Euro auf dem siebtletzten Platz. Hier registrierten die Experten zudem einen besonders starken Abfall in Ostdeutschland (ohne Berlin). Der Durchschnittslohn betrug dort lediglich 39.974 Euro.
Jobs im Handel, egal mit welchen Gütern, gehören zu den am schlechtesten bezahlten Stellen in Deutschland. Destatis meldete für diesen Wirtschaftszweig (inklusive Autowerkstätten) ein durchschnittliches Jahresgehalt von 50.182 Euro. In Ostdeutschland waren es sogar nur 38.147 Euro. Das entsprach in etwa einem Stundenlohn von 23,80 Euro.
Bei Energieversorgern werden mit die höchsten Gehälter gezahlt (71.683 Euro). Ganz anders sieht es bei der kommunalen Wasserversorgung aus. Vollzeitbeschäftigte erhielten der Statistik zufolge 2021 im Schnitt 47.603 Euro (Ost: 40.927 Euro, West: 49.233 Euro).
Auf durchschnittlich lediglich 22,00 Euro Stundenlohn sind Beschäftigte im Bereich „Verkehr und Lagerei“ 2021 in Ostdeutschland gekommen (Jahresgehalt: 35.339 Euro). Dieser Wirtschaftszweig umfasst unter anderem Bahnverkehr, Luft- und Schifffahrt, öffentlichen Personennahverkehr, Taxifahrer, Post- und Kurierdienste sowie Speditionen und Hafenbetriebe. Bundesweit ergab sich ein Standardlohn von 41.730 Euro. Das konnten nur zwei Wirtschaftszweige in Deutschland unterbieten.
Im Sammelbecken „Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“ verzeichnete die Statistikbehörde bundesweit die zweitniedrigsten Jahresgehälter. Sie beliefen sich auf 35.690 Euro. Zu dieser Branche gehören Vermieter beweglicher Güter (Autos, Maschinen etc.), Zeitarbeitsfirmen, Reisebüros, Sicherheitsfirmen, Putzfirmen, Gärtnereien.
Manche Hotels in Deutschland können ihren Betrieb nur mit studentischen Saisonarbeitern aus Indien aufrechterhalten. Der Grund für die extreme Personalnot im Gastgewerbe spiegelt sich in Platz eins der Branchen mit den niedrigsten Gehältern wider. Vollzeitkräfte verdienten laut Destatis 2021 im Schnitt 26.820 Euro. In Ostdeutschland lag der durchschnittliche Stundenlohn mit 14,90 Euro nur etwas höher als der neue Mindestlohn (Jahresgehalt: 23.841 Euro).
Die Positionen hätten sehr weit auseinander gelegen, sagte die Vorsitzende der Mindestlohnkommission, Christiane Schönefeld. Die Verhandlungen dauerten ihren Angaben zufolge von Sonntagnachmittag bis in den frühen Montagmorgen.
Den gesetzlichen Mindestlohn gibt es seit 2015 in Deutschland. Zum Start lag er bei 8,50 Euro die Stunde und ist seitdem mehrfach erhöht worden. Nach dem Mindestlohngesetz muss eine aus jeweils drei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern, zwei Wissenschaftlern und einer oder einem Vorsitzenden besetzte Kommission alle zwei Jahre unter Berücksichtigung der Tarifentwicklung im Land einen Vorschlag für die künftige Höhe der Lohnuntergrenze machen. Stimmberechtigt sind die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Kommt es zum Patt, kann der oder die Vorsitzende mit seiner Stimme eine Mehrheit herstellen. Das war dieses Mal der Fall.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes profitierten von der letzten Erhöhung im vergangenen Herbst rund 5,8 Millionen Beschäftigte, die vorher weniger als 12 Euro die Stunde verdienten. Arbeitgebern, die gegen die Lohnuntergrenze verstoßen, drohen Bußgelder bis zu 500.000 Euro.