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Kolumne Geld kann man nicht verschenken

Der Austausch von Geschenken sagt etwas über die Beziehung zwischen zwei Menschen aus. Geld ist zwar effizient, als Präsent ist es aber in westlichen Kulturen verpönt. Von Rebecca Cassidy
Weihnachtsgeschenke: "Der Wert eines Geschenks liegt nicht in seinem Preis, sondern in dem, was es für eine Beziehung symbolisiert"
Weihnachtsgeschenke: "Der Wert eines Geschenks liegt nicht in seinem Preis, sondern in dem, was es für eine Beziehung symbolisiert"
© Getty Images

Wieder einmal drohen die Festtage und damit die unvermeidlichen Folgen, die mit dem jährlichen Überschwang verbunden sind: Haufen von Geschenkpapier, Karten und sonstige Überbleibsel. Übergewicht, das im neuen Jahr wieder abgebaut werden muss, Katerstimmung und belastete Beziehungen mit Freunden und Liebsten. Warum aber tun wir uns das an? Warum schenken wir überhaupt?

Es gibt wohl kein Thema, bei dem Wirtschaftswissenschaftler und Anthropologen so weit auseinander liegen wie bei der Suche nach Erklärungen für den Austausch von Geschenken. Normalerweise behandeln Ökonomen die Anthropologen gern wie arme Verwandte. Bei diesem Thema aber können wir ohne zu zögern sagen: "Willkommen in meiner Welt!" Anthropologen lieben Wirtschaftssysteme, die auf Schenkbeziehungen aufbauen, wir fühlen uns wohl, wenn wir über sie sprechen können.

Wenn hingegen Wirtschaftswissenschaftler dies tun, sehen sie in der Regel ziemlich alt aus. Joel Waldfogel zum Beispiel forderte 2009 in seinem Buch "Scroogenomics", Weihnachten müsse wegen seiner puren Ineffienz abgeschafft werden. Waldfogel wartete mit einer Schätzung auf, wonach das Weihnachtsfest in den USA pro Jahr 12 Mrd. Dollar oder 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vernichtet, weil es schlichtweg falsche Anreize setzt. Selbst die grässlichsten Dinge werden von den Beschenkten mit einem höflichen "Danke! Das habe ich mir schon immer gewünscht" in Empfang genommen. Danach reihen sich die Opfer der Gaben in die Rückgabeschlangen der Einkaufsläden ein oder überlassen die ihnen aufgedrängte Scheußlichkeit einer karitativen Einrichtung.

Beziehung zwischen zwei Menschen

Rebecca Cassidy
Rebecca Cassidy ist Professorin für Anthropologie am Goldsmiths College der University of London
© Rebecca Cassidy

Waldfogel stützte sich bei seiner Untersuchung auf eine Erhebung unter seinen Studenten an der Universität Yale. Sie sollten den Wert der erhaltenen Weihnachtsgeschenke schätzen und zudem angeben, wie viel sie dafür zu zahlen bereit wären. Im Schnitt bewerteten die Studenten ihre Geschenke mit 90 Prozent des tatsächlichen Kaufpreises, womit ein "Wohlfahrtsverlust" von zehn Prozent entstand. Erwartungsgemäß nahm die Effizienz des jeweiligen Geschenks umso mehr ab je größer der Altersunterschied zwischen Schenker und Beschenktem war. Der neue Strickpullover von der Großmutter ist das ultimative ineffiziente Weihnachtsgeschenk.

Die Argumentation Waldfogels hat einen entscheidenden Makel: Das effizienteste Mittel Werte abzubilden, wäre Bargeld, auch zwischen Menschen, die einen sehr unterschiedlichen Geschmack haben. Aber es ist für sich genommen kein gutes Geschenk, vor allem nicht in den kapitalistischen Gesellschaften Europas und Nordamerikas. Anders ist es bei Volksgruppen wie den Merina in Zentral-Madagaskar, wo Bargeld in vielen Fällen problemlos als Geschenk eingesetzt wird, ohne an symbolischem Wert zu verlieren. Die ganze Haltung zum Geld ist dort sehr entspannt, das Wort "Vola" (Geld) wird sogar als Vorname für Mädchen genutzt.

Anthropologen gehen völlig anders an das Thema heran. Für sie sagt der Austausch von Geschenken vor allem etwas über die Beziehung zwischen zwei Menschen aus und weniger über die Beziehung zwischen einem Menschen und einer Sache. Wer zu einer Erklärung kommen will, sollte daher nicht den objektiven Wert eines Dings zugrunde legen, sondern berücksichtigen, was der Tausch von Objekten über eine Beziehung aussagt und wie er sie beeinflusst. Der Wert eines Geschenks liegt nicht in seinem Preis, sondern in dem, was es für eine Beziehung symbolisiert. Geschenke sind, anders als Wirtschaftsgüter, im Grunde "unveräußerliche Besitztümer", wie die Anthropologin Annette Weiner einmal feststellte.

Verzicht auf Geld hat egoistische Komponente

Die Bewohner der Trobriand-Inseln und Samoas haben diese alternative Logik zum generellen Prinzip gemacht. Statt auf komerzielle Weise Profite zu maximieren und privaten Reichtum zu mehren, wechseln Güter stets als Geschenke den Besitzer. Auf diese Weise werden Beziehungen zwischen Menschen aufgebaut und erhalten. Marcel Mauss schrieb in seinem Buch "The Gift": "Das Tauschobjekt sollte ein freundschaftliches Gefühl zwischen den beiden beteiligten Personen schaffen. Wenn dies nicht gelang, hatte es seinen Zweck verfehlt."

Warum also funktioniert Bargeld in Europa und Nordamerika nicht als Geschenk? Warum erzeugt es keine "freundschaftlichen" Gefühle? Wenn ein junger Mann seiner Freundin Geld gibt, würde ihm das als achtlos ausgelegt, während ein personalisiertes Geschenk zeigt, dass er sich Gedanken gemacht hat, Zeit investiert hat und zudem etwas über die Frau weiß. Genau das richtige also für einen Liebhaber. Es gibt jedoch auch Theorien, die davon ausgehen, dass der Verzicht auf Geld auch eine egoistische Komponente hat: danach ist es schlicht günstiger, sich mit einer nicht-monetären Gabe als Altruist zu präsentieren als mit einer monetären.

Aber kann diese These erklären, warum es unangebracht ist, der Ehefrau am Hochzeitstag Geld in die Hand zu drücken? Oder warum es ein großer Unterschied ist, ob ein Mann einer Frau beim dritten Date im Restaurant eine Blume schenkt oder ihr am nächsten Morgen einen Hunderter auf den Nachttisch legt?

Gegensatz zwischen Geld und Liebe

Wir geben in derlei Situationen kein Bargeld, auch wenn es das effizienteste Geschenk wäre. Denn wenn wir dies täten, würden wir den Gegensatz zwischen Geld und Liebe zum Einsturz bringen. Derzeit tun wir alles, um diese Sphären auseinander zu halten: Auf der einen Seite steht der Austausch von Waren und Geld, der angeblich von einer unsichtbaren Hand gesteuert wird. Auf der anderen Seite stehen Moral und verwandtschaftliche Beziehungen, die von ebenso unergründlichen aber eben völlig anderen Regeln wie Blut und Instinkt bestimmt werden. Wenn gedankenlos Schenkende plötzlich Geld in diese soziale Sphäre einführen, stellen sie einen Zusammenhang zwischen Geld und Beziehungen her. Dies aber würde deutlich machen, dass auch die Wirtschaft von Menschen gemacht wird und nicht von einer unsichtbaren Hand.

Was aber könnte schlimmer sein als die Entdeckung, dass wir uns selbst versklaven? Pullover zu verschenken erlaubt es uns, in der sozialen Komfortzone zu bleiben. So ineffizient das auch sein mag.

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