Das Amtsgericht Essen hat in den vergangenen vier Jahren eine gewisse Routine mit Insolvenzverfahren bei der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof entwickelt. Drei Mal hat das Unternehmen dort Insolvenzanträge gestellt – am 1. April 2020, am 31. Oktober 2022 und jetzt am 9. Januar 2024. Mit dem neuerlichen Antrag versucht die Tochter des österreichischen Signa-Konzerns, die zuletzt fast so viel Zeit in einem Sanierungsverfahren steckte wie im regulären Geschäftsbetrieb, wieder einmal den Neuanfang. Capital beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.
Was ist der Auslöser der erneuten Insolvenz?
Galeria hatte in den vergangenen Jahren viel Routine darin, externe Faktoren für die eigenen Pleiten verantwortlich zu machen. 2020 führte das Unternehmen die Lockdowns in der Coronakrise als Auslöser an – überwiegend zu Recht, 2022 die hohen Energiekosten durch den Ukrainekrieg und Kaufzurückhaltung wegen der Inflation – eher zu Unrecht.
Bei der aktuellen Insolvenz gibt es dagegen wenig Zweifel daran, dass es sich bei dem Auslöser tatsächlich um einen externen Schock handelt: nämlich die Insolvenz der Konzernmutter Signa. Nach den Insolvenzanträgen von Benkos Dachgesellschaft Signa Holding Ende November und ihrer wichtigsten Immobiliengesellschaft Signa Prime kurz nach Weihnachten, die unter Benkos waghalsigem und schuldenfinanziertem Expansionsdrang kollabierten, war klar, dass Galeria nicht mehr mit einer zugesagten Finanzhilfe der Eigentümerin rechnen kann.
Im letzten Insolvenzplan hatte Signa einen Sanierungsbeitrag von 200 Mio. Euro versprochen, eine erste Rate von 50 Mio. Euro sollte kommenden März an Galeria fließen. Ohne das eingeplante Geld aus Wien gab es jedoch Zweifel an einer positiven Fortführungsprognose für Galeria über die nächsten zwölf Monate. Vielmehr bestand die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit in Phasen, in denen im Warenhausgeschäft üblicherweise wenig Geld in die Kassen kommt. Entsprechend sah sich die Galeria-Spitze nun veranlasst, Insolvenzantrag zu stellen – nicht zuletzt auch, um Haftungsrisiken zu begrenzen.
Wie unterscheidet sich das aktuelle Insolvenzverfahren von den vorherigen?
Bei den letzten beiden Insolvenzverfahren, die Galeria durchlaufen hat, ging es um sogenannte Schutzschirmverfahren, die in Verfahren in Eigenverwaltung mündeten. In diesen Fällen, mitunter auch als „Insolvenz light“ bezeichnet, hat das Management des Unternehmens weitgehend die Kontrolle behalten, begleitet von einem Sachwalter.
In beiden früheren Verfahren berief das Amtsgericht Essen den Düsseldorfer Insolvenzrechtler Frank Kebekus als Sachwalter. Operativ lag die Sanierung 2020 und 2022/2023 in den Händen des Generalbevollmächtigten Arndt Geiwitz, den Signa-Gründer René Benko als Mann seines Vertrauens nach Essen entsandt hatte. In Summe erhielten die Sanierer Kebekus und Geiwitz mit ihren Teams in beiden Verfahren ein Honorar im höheren zweistelligen Millionenbereich. Bei dem jetzigen Insolvenzverfahren handelt es sich dagegen um eine sogenannte Regelinsolvenz. Dabei übernimmt ein Insolvenzverwalter das Kommando über das Unternehmen. Ebenso wie ein Schutzschirmverfahren kann aber auch ein Regelverfahren darauf ausgerichtet sein, das Unternehmen zu sanieren und fortzuführen.
Wer hat bei Galeria jetzt das Sagen?
Als vorläufigen Insolvenzverwalter für Galeria hat das Essener Amtsgericht den Hamburger Insolvenzverwalter Stefan Denkhaus berufen. Denkhaus ist Partner der Kanzlei BRL Boege Rohde Luebbehuesen, seit dem Frühjahr 2023 ist er auch Sprecher des renommierten Gravenbrucher Kreises, in dem sich Deutschlands führende Insolvenzverwalter zusammengeschlossen haben. In der Vergangenheit kümmerte sich Denkhaus vorzugsweise um Insolvenzverfahren im norddeutschen Raum, etwa das diakonische Krankenhaus in Flensburg, den Hamburger Jachtausrüster A. W. Niemeyer und die Flensburger Traditionswerft FSG, bei der der frühere Hertha-Investor Lars Windhorst 2019 einstieg. In einem größeren Verfahren wickelte Denkhaus den börsennotierten Agrarkonzern KTG Agrar ab, der 2016 nach einem Bilanzskandal in der Pleite versank.
In allen Fällen ging es aber um ein kleineres Kaliber als nun bei Galeria mit noch 15.000 Mitarbeitern und 92 Filialen. Wie Denkhaus am Dienstag mitteilen ließ, will er eng mit dem seit vergangenem Jahr amtierenden Galeria-Chef Olivier Van den Bossche und Finanzchef Guido Mager zusammenarbeiten. „Das Management hat bereits viel erreicht und wird deshalb den Sanierungsprozess mit mir im Team führen“, wurde Denkhaus zitiert. Im Fall des Falles liegt das letzte Wort allerdings bei dem Insolvenzverwalter, der laut Insolvenzordnung die vorrangige Aufgabe hat, die Interessen der Gläubiger zu sichern.
Erhalten die Angestellten Insolvenzgeld?
Für Entlastung im Insolvenzverfahren sorgt zunächst das Insolvenzgeld, das die Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziert. Dabei übernimmt die BA ab Verfahrenseröffnung die Gehälter der Beschäftigten für drei Monate. Im Fall von Galeria geht es dabei angesichts der hohen Zahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um erhebliche Beträge: Laut dem Insolvenzplan 2020, der Capital vorliegt, wurden seinerzeit 125 Mio. Euro an Insolvenzgeld über eine Privatbank vorfinanziert und an die Beschäftigten ausgezahlt. Im zweiten Insolvenzverfahren 2022/2023 waren es knapp 100 Mio. Euro.
Nach Informationen von Capital hatte es vor dem jüngsten Insolvenzantrag unter Insolvenzrechtsexperten Bedenken gegeben, ob der Warenhauskonzern so kurz nach dem Ende des Vorgängerverfahrens erneut Anspruch auf Insolvenzgeld hat – zumal der Insolvenzplan aus dem Vorverfahren nicht erfüllt ist, allein schon, weil der vom Mutterkonzern Signa zugesagte Sanierungsbeitrag in Höhe von 200 Mio. Euro wohl nicht mehr fließen wird.
In ähnlichen Fällen hatte die BA in der Vergangenheit einen Anspruch auf erneutes Insolvenzgeld abgelehnt. Am Dienstag teilte die BA dann allerdings mit, sie habe „nach intensiven Beratungen mit dem Unternehmen und einer detaillierten Prüfung der Voraussetzungen“ festgestellt, dass die Galeria-Beschäftigten erneut Insolvenzgeld beziehen können. Möglicherweise könnte hinter dieser Zusage auch ein Wink des Bundesarbeitsministeriums stecken, da die Bundesregierung den Eindruck verhindern will, dass die Politik die Galeria-Beschäftigten komplett im Regen stehen lässt. Erneute finanzielle Hilfen für Galeria – wie sie die Bundesregierung 2020 und 2022 gewährt hatte – hatte das Wirtschaftsministerium zuletzt ausgeschlossen. Von den insgesamt 680 Mio. Euro an Staatshilfen hat Galeria bislang rund 40 Mio. Euro zugrückgezahlt. Der Großteil des Geldes ist verloren.
Was passiert genau im Insolvenzverfahren?
In dem nun beginnenden Verfahren geht es für Insolvenzverwalter Denkhaus und das im Amt bleibende Galeria-Management vor allem um zwei Dinge: eine weitere Restrukturierung des Unternehmens sowie die Suche nach einem Investor, der die Warenhauskette übernimmt. Denkhaus machte am Dienstag klar, ihm gehe es darum, Galeria möglichst als Ganzes zu erhalten und an einen neuen Eigentümer zu verkaufen. Das Verfahren sei ein „Befreiungsschlag“, Ziel sei es „ausdrücklich nicht“, das Unternehmen zu zerschlagen.
CEO Van den Bossche deutete an, worum es in dem Verfahren außerdem gehen soll: Man wolle „die Signa-Mieten, teure Dienstleister, das Service-Center in Essen und die Effizienz unserer Logistik konsequent auf Kurs bringen“, sagte er. Ziel sei es, sich aus der „Umklammerung“ des bisherigen Eigentümers Signa zu befreien. Damit spielte der Galeria-Chef auf die überdimensionierte Konzernzentrale in Essen, teure Beraterverträge aus der Signa-Zeit sowie auf die teils exorbitanten Mieten an, die Galeria bislang an jenen Standorten bezahlen muss, an denen die Immobilien Mutterkonzern Signa gehören.
Nach Angaben von Unternehmenskennern liegen diese konzerninternen Mieten teils erheblich über dem Marktniveau – auf Geheiß der Konzernmutter in Wien und deren Mastermind Benko, der in der Vergangenheit stets darauf achtete, dass die Mieterlöse seiner Immobiliensparte stimmen, da an den Mieten auch der Wert der Häuser hängt.
Werden nun Kaufhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof schließen?
Die Galeria-Spitze strebt nun an, die Mietraten neu zu verhandeln. Dabei kann ihr das Insolvenzrecht helfen, das eine außerordentliche Kündigung vieler Verträge erlaubt. Allerdings dürfte es nicht leicht werden, mit der ebenfalls in Sanierungsverfahren steckenden Signa-Immobiliensparte Einigungen über Mietnachlässe zu erzielen. Denn deren Verwalter muss Vermögen für die eigenen Gläubiger sichern. Daher könnte es dazu kommen, dass Galeria einige Filialen schließt, wenn es keine Entlastung bei den Mietkosten gibt. Darüber hinaus könnten auch andere, ertragsschwächere Standorte dicht gemacht werden. Konzernkenner gehen davon aus, dass 50 bis 70 Filialen eine gute Chance haben, auch dieses Insolvenzverfahren zu überleben – falls es einen Investor gibt.
Wie stehen die Chancen, einen Investor zu finden?
Das ist die entscheidende Frage, die über die Zukunft von Galeria entscheidet. Anders als noch 2020, als die Sanierer während der Insolvenz auf einen Investorenprozess verzichteten, weil sie wegen der Folgen der Coronakrise für den Handel keinerlei Aussichten für einen Verkauf sahen, setzt Insolvenzverwalter Denkhaus jetzt auf einen Käufer. Gespräche mit „potenziellen Investoren“ seien bereits angelaufen, teilte Galeria am Dienstag mit. Diese hätten gezeigt, „dass das Warenhausgeschäft von Galeria in deutschen Innenstädten und Einkaufsmetropolen nach einem solchen Befreiungsschlag hoch attraktiv ist“.
Zudem verwies man in Essen auf das zuletzt gut laufende Geschäft in den Warenhäusern, etwa in den Wochen vor Weihnachten. Derlei Optimismus gehört zum Start von Insolvenzverfahren häufig dazu. Tatsächlich dürfte es aber – anders als es 2020 in der Coronakrise ohne das damalige Engagement von Signa gewesen wäre – eine gewisse Chance geben, das Unternehmen zu erhalten – oder zumindest einen Teil der Filialen.
In den vergangenen Wochen wurden bereits öffentlich manche Namen potenzieller Käufer gehandelt, darunter plausible Interessenten, aber auch erkennbar absurde. Nach Einschätzung von Galeria-Insidern wird eine zentrale Frage für jeden Interessenten sein, ob es Bewegung bei den überteuerten Mieten gibt, die das Gesamtunternehmen nach unten drücken. Sollte dies der Fall sein, dürfte es mehrere Interessenten geben, sowohl strategische Investoren als auch Finanzinvestoren, sagt ein Manager. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob sein Optimismus begründet ist.