Bei Investoren saß das Geld lange locker. Es störte sie nicht, wenn Startups Wachstum über Gewinn gestellt haben. Doch diese Zeiten sind vorbei. Nach einem Boomjahr 2021, als die hiesige Startup-Branche von einem Digitalisierungsschub in der Pandemie und risikofreudigen Investoren profitierte, hat sich der Markt seit 2022 gedreht. Inzwischen herrscht wieder Zurückhaltung: Die Mehrheit der deutschen Startups hat Schwierigkeiten, an frisches Kapital zu kommen. Einer Umfrage für den Digital-Verband Bitkom zufolge sagen acht von zehn Startups, dass Investoren sich zuletzt mit Geldspritzen deutlich zurückhalten.
Doch es gibt eine Ausnahme: Ausgerechnet Klima-Startups kommen derzeit bei Investoren besonders gut an. „Der Energiemarkt ist ein sehr regulierter Markt. Das hat viele Investoren lange abgeschreckt. Inzwischen haben sich sowohl auf EU-Level als auch in Deutschland die politischen Rahmenbedingungen allerdings dahingehend verändert, dass die Klima-Startups jetzt extremen Rückenwind haben“, sagt Pia Dorfinger von der Deutschen Energie-Agentur (dena) ntv.de.
Laut einer Analyse der Unternehmensberatung Oliver Wyman haben Klima-Startups im vergangenen Jahr eine Rekordsumme von 12,3 Milliarden US-Dollar eingesammelt. Damit hat sich der Gesamtbetrag an weltweiter Risikokapitalgeber im Vergleich zu 2019 mehr als versechsfacht. Laut den Autoren spiegelt das die Erkenntnis wider: Neue Lösungen zur Erleichterung der Energiewende haben in Zukunft für Unternehmen oberste Priorität.
Mitautor Thomas Fritz fügt im Gespräch mit ntv.de hinzu: „Die Energiekrise ist ganz klar ein Beschleuniger und ein zusätzlicher Weckruf gewesen. Ohne sie hätte es sicherlich fünf Jahre länger gedauert, bis es Klima-Startups mit dieser Intensität in den Markt geschafft hätten.“ Dieser Einschätzung pflichtet auch Dorfinger bei: „Die Energiekrise hat definitiv nochmal mehr Druck hereingebracht.“ Ein gestiegenes Interesse zeichnete sich zwar bereits ab. „Der Ukraine-Krieg hat die Entwicklung aber definitiv beschleunigt, weil die Nachfrage nach innovativen Technologien immens gestiegen ist.“
Kapitalbedarf noch lange nicht gedeckt
Auch wenn das Geld bei Investoren zuletzt nicht mehr besonders locker gesessen hat, Wagniskapitalgeber sind laut Fritz überzeugt: „Klima-Startups sind ein sicheres Wachstumsfeld, auch unabhängig von ökonomischen Kontraktionsphasen.“ Der globale Markt für Klimatechnologie bietet in der Tat ein großes Wachstumspotenzial. Trotz der Rekordsumme an Investitionen ist der Kapitalbedarf von Klima-Startups noch lange nicht gedeckt. Gerade Klima-Startups im Hardware-Bereich haben laut Dorfinger einen hohen Kapitalbedarf. „Anders als bei Software-basierten Lösungen, geht es im Hardware-Bereich oftmals darum, Produktionen oder Fabriken aufzubauen – und das kostet eben viel Geld.“
Laut dem „Digitalreport“ des European Center for Digital Competitiveness wird der Gesamtmarkt für sogenannte Greentechs bis 2030 rund 1,2 Billionen US-Dollar umfassen. Energieexperte Fritz geht deswegen nicht davon aus, dass die aktuelle Zurückhaltung von Investoren so schnell auch die Klima-Startups treffen wird: „Der Boom bei Klima-Startups wird nicht abreißen. Der Umbau des Energiesystems, wie wir es in Zukunft brauchen, ist abhängig von intelligenten Lösungen, wie sie viele Startups bereitstellen.“
In Deutschland sind laut der Studie bei Investoren besonders Technologien mit einem Fokus auf der Steigerung der Energieeffizienz und der Senkung der Stromrechnung beliebt. „Die Konzentration auf die Energiekosten ist das Ergebnis der Inflation, die durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg angeheizt wurde“, heißt es in der Analyse. Sie hätte die Investoren erst auf die Chancen aufmerksam gemacht, die fragmentierte und dezentralisierte Energiemärkte böten.
Trotz des schwierigen Kapitalmarktumfeldes war es zuletzt dem Energie-Startup 1Komma5Grad gelungen, im Rahmen einer neuen Finanzierungsrunde den „Einhorn-Status“ zu erreichen. So werden Firmen mit einer Bewertung von mindestens einer Milliarde US-Dollar bezeichnet. Insgesamt hätten Investoren 215 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, teilte der Anbieter von umweltfreundlichen Energiesystemen für Gebäude mit. Das Unternehmen aus Hamburg bietet seinen Kunden Solaranlagen, Wärmepumpen, Stromspeicher und Wallboxen an und vernetzt diese Komponenten miteinander. Damit das gelingt, kauft das Startup Handwerksbetriebe auf. Im Gegenzug werden diese über sogenannte Rückbeteiligungsoptionen am Gewinn beteiligt.
Aufholbedarf trotz Rekord-Investition
Energieexperte Fritz ist sich sicher: Auch andere Klima-Startups werden in absehbarer Zeit zu Einhörnern aufsteigen. „Es ist beachtlich, wie viele Unternehmen sich in so kurzer Zeit am Markt etabliert haben.“ Spannend werde in den nächsten Jahren jetzt: Wer investiert nach den Wagniskapitalgebern in innovative Energieunternehmen? Welche etablierten Player positionieren sich in dem Feld? Nach Information des „Spiegel“ hatte angeblich auch Shell Interesse an der aktuellen Finanzierungsrunde von 1Komma5Grad. Das Startup soll eine Beteiligung aber umgehend abgelehnt haben.
Ob ein Energie-Startup Geld von einem fossilen Unternehmen akzeptieren will, muss laut Fritz jedes Unternehmen zwar für sich entscheiden. Allein das Interesse solcher Unternehmen an einem Klima-Startup sei allerdings ein wichtiges Signal. „Es zeigt: Viele traditionell eher 'fossile' Unternehmen haben erkannt, dass sich ihr Portfolio ändern muss.“
Auch wenn die Investitionen in Klima-Startups eine neue Rekordsumme erreicht haben: Einen Aufholbedarf sieht Startup-Expertin Dorfinger immer noch. „In Deutschland kommen Startups in der Frühphase vielleicht noch relativ leicht an Geld. Problematisch wird es für viele aber spätestens, wenn es an die Kommerzialisierung und Skalierung geht.“ Sie würde es deswegen nicht verwundern, wenn sich in Zukunft vermehrt etablierte Industrieunternehmen an innovativen Startups beteiligen. Allein schon, um ihre eigenen Dekarbonisierung schneller voranzutreiben.
Dieser Artikel ist zuerst bei n-tv.de erschienen.