Capital: Herr Fink, 2003 haben Sie zum ersten Mal mit Capital die Hidden Champions der Beraterbranche ausgezeichnet. Nach dem Zusammenbruch der New Economy steckte die Wirtschaft in der Krise – und mit ihr die Consultants. 2023 steuern wir auf eine Rezession zu, und die Beratungsbranche erzielt Rekordumsätze. Wie kann das sein?
DIETMAR FINK: Die Gründe sind vielfältig. Zum einen ist die wirtschaftliche Situation heute eine andere als vor 20 Jahren. Damals wurde die Krise von einem einzelnen zentralen Ereignis geprägt – eben dem Zusammenbruch der New Economy. Heute fordern zahllose Faktoren Wirtschaft und Gesellschaft zeitgleich heraus: gestörte Lieferketten, steigende Kapitalkosten, die Inflation und nicht zuletzt die tiefgreifende Transformation ganzer Industrien. Da ist einiges zu tun – auch für Berater.
Wird der Aufschwung in der Branche anhalten?
FINK: In Anbetracht der vielen Unwägbarkeiten ist es schwierig, eine konkrete Prognose abzugeben. Tendenziell rechnen wir aber damit, dass sich die Wachstumsraten der vergangenen Jahre abschwächen werden.
BIANKA KNOBLACH: Von den Beratungsunternehmen selbst bekommen wir in dieser Hinsicht unterschiedliche Signale: Während einige große Firmen vor allem aus den USA heraus beginnen, Sparmaßnahmen auf den Weg zu bringen und sich für schlechtere Zeiten zu wappnen, machen manche mittelgroßen deutschen Berater momentan gerade in den USA sehr gute Geschäfte. Ohnehin muss man sehen, dass die aktuellen Herausforderungen regional sehr unterschiedlich verteilt sind. Während die Wirtschaft in Deutschland erheblich unter Druck gerät, schaffen es andere Länder, besser durch die globalen Krisen zu manövrieren. Das bedeutet auch für viele deutsche Unternehmen, dass sie nicht mehr hier vor Ort investieren, sondern anderswo auf der Welt. Beim Schritt ins Ausland werden sie oft von Beratern begleitet.
Vor 20 Jahren prophezeiten Sie, der Beratungsmarkt werde „nicht mehr größer und größer“. Tatsächlich haben sich die Umsätze seither vervielfacht. Wie lässt sich diese Entwicklung erklären?
KNOBLACH: Die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Berater einsetzen, hat sich seither deutlich verändert. Viele Aufgaben, die früher zum festen Bestandteil des Tagesgeschäfts der eigenen Mitarbeiter gezählt haben, werden heute in Projekten abgewickelt, die häufig an Berater ausgelagert werden. So muss man die erforderlichen Spezialkenntnisse, die man selbst vielleicht nur ein einziges Mal benötigt, nicht teuer im eigenen Haus aufbauen. Auch der immer drängendere Fachkräftemangel wird vielerorts durch Consultants kompensiert.
FINK: Die Beratungsleistungen werden heute viel besser beim Kunden integriert als vor 20 Jahren. Guter Rat allein reicht längst nicht mehr, man unterstützt auch bei dessen Umsetzung. Berater haben also heute eine andere Angebotsstruktur als früher. Wir nennen das die operative Wende im Beratungsgeschäft.
Beim ersten Durchgang der Hidden Champions konnten sich lediglich in sieben von elf Disziplinen Spezialisten gegenüber Generalisten wie McKinsey oder Roland Berger durchsetzen. Mittlerweile identifizieren Sie spezialisierte Spitzenreiter in 31 Themenbereichen und Branchen. Sind die kleinen Consultants besser geworden oder die großen schlechter?
KNOBLACH: Wenn überhaupt, dann würde ich sagen, dass die Hidden Champions besser geworden sind. Zumindest werden sie von den großen Beratern als Wettbewerber sehr ernst genommen – manche kooperieren sogar miteinander, etwa Bain und ROI-EFESO. Das war vor 20 Jahren noch ganz anders.
FINK: Es sind aber nach wie vor sehr wenige mittelgroße Beratungsunternehmen, die es in ihrem Spezialgebiet schaffen, auf Augenhöhe mit McKinsey, BCG und Bain zu konkurrieren. Wir suchen permanent nach geeigneten Kandidaten, aber unsere Regeln sind sehr streng. Dass wir mittlerweile 30 Firmen auszeichnen, und nicht mehr sieben, zeigt zwar, dass sich die Spezialberater in diesen sehr anspruchsvollen Nischen etabliert haben. Wenn man aber bedenkt, dass es in Deutschland über 15.000 Beratungsunternehmen gibt, sind 30 immer noch eine sehr überschaubare Zahl.
Welche Qualifikationen sind bei den Auftraggebern derzeit besonders gefragt?
KNOBLACH: Die Fähigkeit, Maßnahmen erfolgreich umzusetzen, ist seit vielen Jahren eines der wichtigsten Kriterien für die Positionierung auf den vorderen Rängen. Das erklärt auch, warum Berater ihr Geschäft mittlerweile auf diese sogenannte Umsetzungsbegleitung ausweiten. Auch in diesem Jahr steht Umsetzungsfähigkeit für Kunden an erster Stelle. Auf Rang zwei folgt das Fachwissen: Momentan gibt es sehr viele spezielle Themen, bei denen man Berater mit einem tiefen Sachverstand benötigt. Auf dem dritten Platz liegt mit dem Vordenkertum, also dem Innovationsgeist, eine klassische Paradedisziplin von Beratungsunternehmen, die in den letzten Jahren im Zeichen der operativen Wende etwas an Bedeutung verloren hatte.
Wie erklären Sie sich das? Viele Unternehmen müssen derzeit doch eher ihre Märkte verteidigen und Kosten senken?
FINK: Der Grund liegt in der bereits angesprochenen Fülle von Krisen und Herausforderungen, denen sich viele Unternehmen gegenübersehen. Wenn die Geschäftsmodelle ganzer Branchen gefährdet sind, ihre globale, geopolitische Einbettung, ihre Lieferketten, ihre technologische Basis – dann wünscht man sich Berater, die dazu in der Lage sind, vorauszudenken und die groben Leitplanken für das künftige Geschäft aufzuzeigen.
Blicken wir mal 20 Jahre nach vorn: Welche Arten von Beratungsfirmen werden wir 2043 als Hidden Champions in welchen Disziplinen auszeichnen?
FINK: In Zukunft werden wir Beratungskunden haben , die sowohl Generalisten als auch Spezialisten Raum für ihr Geschäft lassen: Zum einen sind das solche Kunden, die eine komplette Transformation in die Hände eines einzelnen Beratungsunternehmens legen, das als Vollsortimenter alles aus einer Hand anbieten kann und auch für spezielle Unteraspekte bis in die Details in die Verantwortung geht. Andere Kunden werden sich selbst die Mühe machen, für spezielle Fragestellungen die jeweils besten Experten zusammenzustellen. Und die finden sie im Zweifel in den Reihen der Hidden Champions. Das Geschäft der Spezialisten könnte in diesem Zuge facettenreicher werden – wenn sie sich beispielsweise untereinander vernetzen und ihre Kompetenzen projektspezifisch kombinieren.
KNOBLACH: Wenn wir 20 Jahre in die Zukunft blicken, müssen wir uns unweigerlich auch dem Thema Künstliche Intelligenz zuwenden. Noch erlaubt sich diese zwar sehr viele Patzer. Ich bin aber durchaus gespannt, wann wir zum ersten Mal McGPT als Hidden Champion auszeichnen.