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Bernd Ziesemer Ein Schlüsseljahr für Chinas Wirtschaft

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Die Börse in Shanghai startet denkbar schlecht ins neue Jahr. Die Unsicherheit in der Realwirtschaft drückt auf die Stimmung

Traditionell beginnt 2025 für die Chinesen erst am 29. Januar, wenn der Neumond das diesjährige Neujahrsfest einläutet. So bekommen die vielen abergläubischen Börsenspekulanten in Shanghai so etwas wie eine zweite Chance. Denn der Start ins neue Kalenderjahr ist auf ganzer Linie missglückt: Am Donnerstag und Freitag, den beiden ersten Handelstagen an den chinesischen Börsen, fielen die Kurse. Der Leitindex CSI 300 verlor erst 2,9 Prozent und dann noch einmal 1,2 Prozent.

Dabei hatte sich Chinas Diktator Xi Jinping in seiner Neujahrsrede redlich bemüht, Optimismus zu versprühen. Die Wirtschaft des Landes habe sich „erholt“ und befinde sich nun auf einem „Aufwärtstrend“. Viele Chinesen hörten oder lasen die Botschaft, aber glauben sie nicht. Nach wie vor geht eine große Unsicherheit in der Industrie und vor allem auf dem Immobiliensektor um. Und das schlägt auf die Stimmung an der Börse.

Börse in China läuft schlecht

Die großen Versprechungen Xi Jinpings vom Spätsommer, die zeitweilig für einen Schub an den beiden wichtigsten Börsen in Shanghai und Shenzhen gesorgt hatten, sind in der chinesischen Realwirtschaft weitgehend verpufft. Die meisten spüren nichts von der Lockerung der Geldpolitik oder dem Konjunkturpaket. Es sind eher die großen Staatsbetriebe und die hoch verschuldeten Provinzen, die von den bisherigen Maßnahmen direkt profitieren. Bei den normalen Chinesen aber kommt nur wenig davon an. Der erhoffte Trickle-Down-Effekt stellt sich bisher nicht ein.

So wird nun 2025 zu einem Schlüsseljahr für die chinesische Wirtschaft. Dabei stellen sich zwei Fragen: Gelingt es der Regierung tatsächlich, den Binnenkonsum anzukurbeln? Und kann China auf einen stärkeren Exportimpuls hoffen? Der heimische Absatz kann sich nur entwickeln, wenn Xi Jinping mehr tut als bisher angekündigt worden ist. Und der Export kann nur dann boomen, wenn nicht die Zollschranken weiter hochgehen. Das gilt vor allem in den USA, aber auch in der EU. Sollte der neue US-Präsident Donald Trump tatsächlich die Einfuhr chinesischer Waren bremsen, muss sich Europa auf einen noch stärkeren Ansturm einstellen. Die EU-Kommission müsste in diesem Fall wohl oder übel ebenfalls handeln. Keine guten Aussichten für Chinas Exportindustrie!

Irrglaube der Analysten

Viele Börsenexperten glauben, all diese geopolitischen Risiken seien bereits in den chinesischen Aktienkursen „eingepreist“. Aber das könnte sich als großer Irrglaube erweisen. Bisher rechnet China nur mit einem wirtschaftlichen Sturm, aber Trump könnte auch einen veritablen Orkan auslösen. Vor allem dann, wenn er auch gegen die Umgehung der Sanktionen vorgeht. In der Vergangenheit konnten die Chinesen immer wieder Drehscheiben in Europa, Asien oder Lateinamerika nutzen, um ihre Waren doch noch auf den Markt in den USA zu werfen. Stopft die neue US-Administration diese Schlupflöcher, wird es erstmals seit Jahrzehnten wirklich ernst für die chinesische Exportwirtschaft.

Am Ende bleibt China nur ein wirklicher Ausweg: die Entwicklung des eigenen Binnenmarktes. Das wäre durchaus möglich. Die Probleme sind keineswegs unüberwindbar und ähneln in vielerlei Hinsicht denen, die andere asiatische Schwellenländer vor einigen Jahrzehnten bewältigen mussten. Doch bisher wirkt Chinas mächtige Führung merkwürdig hilflos, wenn es um Wirtschaftsreformen geht. Vielleicht müsste sie sich an die Ära Deng Xiaopings zurückerinnern, der in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts gezeigt hat, wie es geht.

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.

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