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Timo Pache Ein Satz wie ein Bumerang für Robert Habeck

Staatssekretär Patrick Graichen sitzt bei einer Ausschusssitzung links neben Robert Habeck
Der Minister und sein Problem: Robert Habeck (r.) will an seinem Staatssekretär Patrick Graichen festhalten
© Kay Nietfeld / picture alliance/dpa
Trotzig hält Robert Habeck an seinem mächtigen Staatssekretär Patrick Graichen fest – obwohl der sich in der Affäre um einen gut dotierten Job immer weiter reinreitet. Aus einer wurstigen Posse macht der Wirtschaftsminister so ein noch größeres Problem, auch für sich selbst 

Es war ein Satz, der ein Ende markieren sollte – und sich doch als Anfang erweisen könnte: „Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss.“ Diesen Satz sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Mittwoch dieser Woche nach einer zweieinhalbstündigen gemeinsamen Sitzung von gleich zwei Bundestagsausschüssen über seinen beamteten Staatssekretär und wichtigsten Mitarbeiter. Der Satz sollte nach Entschlossenheit klingen, nach Schlussstrich und Basta.

Gut möglich, dass das Drama allerdings gerade erst so richtig losgeht.

Denn die Sprengkraft von politischen Affären und Skandalen liegt ja oft nicht in dem zugrunde liegenden Vorgang – in diesem Fall die Beteiligung von Habecks Staatssekretär, seinem eigenen Trauzeugen und engen Freund einen gut dotierten Posten als Chef der bundeseigenen Energieagentur Dena zu verschaffen (Jahresgehalt inklusive Altersvorsorge knapp 200.000 Euro). Sondern sie liegt in Fehlern bei der Aufarbeitung dieses Vorgangs, in widersprüchlichen Aussagen, Ungenauigkeiten, vielleicht auch kleinen oder großen Manipulationen der Wahrheit. Und die Suche nach genau diesen Fehlern, Ungenauigkeiten und Widersprüchen hat in dieser Woche gerade erst begonnen. Was sich Habeck als Befreiungsschlag vorstellte, lieferte der Opposition ausgerechnet das Material, mit dem sie ihn nun weiter vor sich hertreiben kann.

Worum geht es? Unstrittig ist, dass Graichen Mitglied einer drei(!)köpfigen Findungskommission war, die einen neuen Chef für die bundeseigene Energieagentur Dena auswählen und dem Aufsichtsrat vorschlagen sollte. Die Dena untersteht Habecks Ministerium, und schon hier beginnt ein atemberaubender Murks: Neben Graichen war auch dessen Staatssekretärskollege aus dem Bundeswirtschaftsministerium, Stefan Wenzel, Mitglied der Kommission. Wenzel ist zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Dena und sollte also gewissermaßen sich selbst einen geeigneten Geschäftsführer vorschlagen. Drittes stimmberechtigtes Mitglied war ein Referatsleiter aus dem Ministerium – man kann sich denken, was dieser Beamte in dieser Konstellation leisten konnte. Immerhin, diese völlig absurde Fehlkonstruktion des ganzen Suchprozesses haben Graichen und Wenzel schon vor einigen Tagen selbst eingeräumt.

Graichen selbst hat es schlimmer gemacht

Auch das Ergebnis des ganzen Verfahrens gilt aus Sicht von Habeck und Graichen inzwischen als „geheilt“: Graichens Trauzeuge, der sich tatsächlich völlig überraschend unter allen Bewerbern durchsetzte, hat inzwischen zurückgezogen. Aber wie gesagt, damit enden solche Affären selten.

Denn Graichen selbst macht es immer schlimmer: Im Ausschuss am Mittwoch erklärte er – und er veröffentlichte seine Version der Vorgänge anschließend auch dankenswerterweise auf Twitter – , er habe seinem Freund, als dieser ihn über sein Interesse an dem Dena-Job informiert habe, umgehend erklärt, „dass unsere Freundschaft in diesem Verfahren kein ausschlaggebender Grund für das Ergebnis sein darf“. Das klingt nach Distanz und Transparenz, zeigt aber auch: Graichen erkannte sofort den Interessenkonflikt, der in dieser Personalie schlummerte. Dennoch machte er ihn nach eigenen Worten nicht öffentlich, sondern informierte Habeck angeblich erst drei Tage nach der Vertragsunterschrift über seine enge persönliche Beziehung zum neuen Dena-Chef.

Zudem war sich Graichen in den Wochen davor nicht zu schade, den beauftragten Headhuntern seinen Freund – und mehrere weitere Kandidaten, wie er sagt – für den Job zu empfehlen. Insgesamt gab es am Ende elf Kandidatinnen und Kandidaten, die die Headhunter der Kommission vorschlugen – von denen Graichen neun persönlich kannte und mit denen er meist per Du ist. Nach den Auswahlgesprächen, in denen Graichen alle Kandidaten nach eigenen Angaben aber siezte, schlug die Kommission dem Aufsichtsrat jedoch nur Graichens Trauzeugen als neuen Dena-Chef vor.

Es ist nur eine Personalie, eine ziemlich unbedeutende noch dazu. Deshalb hat das Ganze auch etwas Possenhaftes. Man hätte die Sache vielleicht sogar früh aus der Welt räumen können: Volle Transparenz, schnelle Korrektur, klare Entschuldigung und ein kompletter Rückzug von Graichen aus dem Prozess. Aber der Schaden, der aus der Wurstigkeit bei der Besetzung eines 200.000-Euro-Jobs bei einer Bundesagentur entsteht, – ausgerechnet in einer Zeit, in der viele Immobilienbesitzer tief verunsichert sind, womit sie künftig eigentlich noch ihr Häuschen warm bekommen sollen und wie sie das bezahlen sollen, ist nicht zu überbieten.

Natürlich ist das eine Kampagne, aber so ist Politik

Es ist nicht schwer, sich auszumalen, was die Opposition mit solchen Aussagen anstellen wird. Natürlich mag da manches unfair sein: Habecks Staatssekretär ist seit 20 Jahren einer der wichtigsten Strippenzieher der Klimapolitik, und es ist daher auch kein Wunder, dass er jeden Windmüller im Land persönlich kennt. Graichen gilt als Fachmann, er ist nicht unumstritten, aber ein anerkannter Experte. Dass Deutschland nach dem 24. Februar 2022 einigermaßen glimpflich durch die Energiekrise kam, ist tatsächlich auch sein Verdienst.

Natürlich ist das also eine Kampagne. Aber das ist Politik – und wäre die Rollenverteilung genau umgekehrt, oppositionelle Grüne würden sich eine solche Vorlage bei einem CDU- oder FDP-Minister niemals entgehen lassen.

Das macht den politischen Schaden für Habeck und seine Partei nicht kleiner. Denn Graichen ist der Kopf hinter allem, was der Minister in den vergangenen Wochen als großen Neuanfang in der Energiepolitik auf den Weg gebracht hat – und gerade im politischen Prozess ohnehin schwer umkämpft ist: Etwa sein Vorhaben, ab dem kommenden Jahr beim Einbau neuer Heizungen Öl- und Gasöfen möglichst aus den Kellern zu verbannen. Das Projekt stieß bereits vor der Trauzeugen-Affäre auf viel Widerstand, verunsicherte viele Hausbesitzer und kostete die Grünen und Habeck persönlich viel Sympathie.

Und es geht immer weiter: Am Rande der Ausschusssitzung, die ein Befreiungsschlag werden sollte, wurde auch noch bekannt, dass das Wirtschaftsministerium inzwischen gar die „Einleitung eines dienstrechtlichen Verfahrens“ gegen Graichen prüfe. Das mag im Sande verlaufen, aber peinlich ist es allemal. Als nächstes wird die Stelle des Dena-Chefs neu ausgeschrieben, diesmal in einem ganz transparenten Verfahren und mit einer viel breiter besetzten Findungskommission. Die Headhunter werden sich freuen. Es beginnt ein Prozess zur Besetzung eines Postens, von dem 99,99 Prozent der Deutschen bisher gar nicht wussten, dass es ihn überhaupt gibt.

Diese Affäre ist nicht vorbei

Womit wir noch bei einem anderen Thema wären. Denn auch das kann man an dieser Stelle einmal festhalten: Bei der Dena, laut Eigenauskunft ein Thinktank an der Schnittstelle von Politik, Energieunternehmen und Wissenschaft, arbeiten zwar knapp 500 Menschen, sicher alle hochqualifiziert. Aber selbst Kenner der Energiebranche fragen sich bisweilen, was die Dena eigentlich macht – abgesehen von vielen Studien, Ideenwettbewerben, Umfragen zur Akzeptanz der Energie- oder Verkehrswende, Preisverleihungen, Diskussionsforen und „Praxisdialogen“.

Dass Habecks Staatssekretär Graichen bis zu 60 Dena-Mitarbeiter in den kommenden Monaten nach Recherchen des „Handelsblatts“ an allen zuständigen Instanzen vorbei in das eigene Ministerium abziehen wollte, könnte auch mit dieser Einsicht zu tun gehabt haben: In der konkreten Gesetzesarbeit wären die Energieexperten womöglich besser aufgehoben. In Wahrheit ist es doch so: Die Dena mag vielleicht wertvolle Arbeit leisten, ihr Chefposten war schon vor dieser Affäre ein Job für Leute mit guten Drähten zu den entscheidenden Ministern. Der scheidende Dena-Chef, Andreas Kuhlmann etwa, war viele Jahre ein enger Mitarbeiter und Vertrauter von Franz Müntefering, einst SPD-Chef, Arbeitsminister und Vize-Kanzler. Nach dessen Ausscheiden aus der Politik ging Kuhlmann zunächst zum Energielobbyverband BDEW, um von dort Mitte 2015 an die Dena-Spitze zu wechseln. Damals hieß der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

Nein, diese Affäre ist nicht vorbei. Für Graichen nicht und für Habeck auch nicht. Gut möglich, dass der Satz mit dem Fehler noch mal zurückkommt und sich selbst als großer Fehler erweist – diesmal allerdings für den Minister selbst.  

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