Die AfD befindet sich im Umfragehoch: Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würde jeder Fünfte derzeit sein Kreuz bei den Rechtspopulisten machen. Damit würden sich viele AfD-Sympathisanten aber vor allem ins eigene Fleisch schneiden, ergibt eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Demnach wären die Hauptleidtragenden der AfD-Politik ihre eigenen Wählerinnen und Wähler.
Zu diesem Ergebnis kommt DIW-Präsident und Studienautor Marcel Fratzscher durch einen Abgleich der politischen Positionen der AfD mit den ökonomischen Interessen ihrer Unterstützer. Fratzscher schreibt: „Menschen, die die AfD unterstützen, würden am stärksten unter der AfD-Politik leiden, und zwar in Bezug auf fast jeden Politikbereich: Wirtschaft und Steuern ebenso wie Klimaschutz, soziale Absicherung, Demokratie und Globalisierung.“
Dieses Paradox beruhe auf einer falschen Selbsteinschätzung vieler AfD-Wähler sowie einer Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität, analysiert Fratzscher. Der Ökonom zitiert Untersuchungen, die zeigten, dass Einkommen und Bildung von AfD-Wählern eher gering bis mittelhoch sind. Auch die soziale und politische Teilhabe sei unterdurchschnittlich. Besonders hoch ist der Zuspruch unter mittelalten Männern in ländlichen und strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland.
Politik für Gutverdiener und Reiche
Genau diese gesellschaftlichen Gruppen würden durch viele politische Vorhaben der AfD benachteiligt, analysiert Fratzscher. Die AfD stehe für eine „extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik“ und den Abbau des Sozialstaats. Bei der Analyse bezieht sich der Ökonom nicht auf Parolen einzelner Parteivertreter, sondern allein auf die Sach-Aussagen, die die Partei für den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung bei den vergangenen Bundestagswahlen abgegeben hat.
Generell setze sich die AfD für eine Beschneidung der Rolle des Staates und mehr Macht für den Markt ein. Sie setze auf Steuersenkungen, unter anderem für Erben und Spitzenverdiener. Bei den Sozialleistungen setze sie auf stärkere Einschnitte als jede andere Partei im Bundestag. Sie habe sich gegen mehr Mieterschutz und einen höheren Mindestlohn ausgesprochen. „Würde sich die AfD-Politik durchsetzen, käme es zu einer Umverteilung von Einkommen und sozialen Leistungen von AfD-Wähler*innen hin zu den Wähler*innen anderer Parteien“, schreibt Fratzscher.
Die gesellschaftlichen und demokratischen Einschnitte, die die AfD plane, träfen „vor allem Personen mit Migrationshintergrund, aber durchaus auch AfD-Wähler*innen“, schreibt Fratzscher. Die von der Partei angestrebte Schwächung von Europäischer Union und Klimaschutz träfen mittel- und langfristig vor allem die sozial Schwachen der Gesellschaft – und damit auch viele Anhänger der AfD.
Ökonom erklärt AfD-Paradox
Warum hat die Partei damit Erfolg? Ökonom Fratzscher erklärt das „AfD-Paradox“ so: Durch Hetze und Diskriminierung von Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund suggeriere die Partei ihren Unterstützern, sie würden wirtschaftlich, sozial und politisch gewinnen, wenn soziale Leistungen oder Grundrechte eingeschränkt würden. „Die individuelle Fehleinschätzung liegt darin, dass viele AfD-Wähler*innen nicht realisieren, dass eine Politik der Diskriminierung und Ausgrenzung sie selbst stark negativ betreffen würde.“
Wer wenig verdiene und wenige Privilegien genieße sei ganz besonders auf Unterstützung durch den Staat angewiesen. „So wären vor allem AfD-Wähler*innen von Arbeitsplatzverlusten, einer schlechteren Infrastruktur und weniger Leistungen, einer Schwächung der Europäischen Union oder Steuersenkungen für Spitzenverdiener*innen stark negativ betroffen.“
Das Fazit des DIW-Präsidenten lautet: „Be careful what you wish for.“ Die alte Weisheit, wonach man vorsichtig sein sollte, was man sich wünscht, treffe auf AfD-Wähler und -Sympathisanten ganz besonders zu.
Der Beitrag ist zuerst bei stern.de erschienen