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Kolumne Die zivilisierte Inflation

Die Propheten der großen Geldentwertung haben sich blamiert. Einige ihrer Argumente gelten aber nach wie vor. Von Christian Schütte
Christian Schütte
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik
© Trevor Good

Die Euro-Kritiker, die mit vielem Recht behalten haben, stehen mit ihrer populärsten These inzwischen ziemlich dumm da: Die Warnung vor der großen Inflation klingt in diesen Tagen absurder denn je.

Die europäische Teuerung ist so schwach und der Euro ist gegenüber anderen Währungen so stark, dass inzwischen sogar von Deflationsgefahr die Rede ist. EZB-Chef Mario Draghi und seine Kollegen werden nächste Woche wohl eine weitere monetäre Lockerung beschließen, um wenigstens wieder eine Mini-Inflation zu befeuern. Derzeit liegt die Teuerungsrate klar unter den zwei Prozent, die von der EZB als Stabilitätsziel angestrebt werden.

War das ganze Inflationsgerede also bloß hohle Hysterie?

Es war ohne Zweifel zu kurz gedacht. Allerdings ist es deswegen noch lange nicht absurd. Inflation ist ein bewährtes Mittel gegen diverse wirtschaftliche Malaisen. Wo diese Malaisen auftreten, ist sie folglich immer eine Option. Und wenn diese Option nicht gezogen wird, bleibt noch immer die Frage, welches Mittel denn stattdessen zum Einsatz kommt.

Rückgriff auf Geldentwertung ausgeschlossen

Viele Kritiker der Euro-Einführung hatten immer befürchtet, dass in der neuen Währungsunion alle Probleme von Überschuldung und fehlender Wettbewerbsfähigkeit genauso gelöst werden würden, wie das in den Jahrzehnten zuvor in Südeuropa üblich gewesen war: Mit dem Rückgriff auf Geldentwertung.

Dazu ist es nicht gekommen, nicht zuletzt, weil die Regeln der Währungsunion ganz ausdrücklich so geschrieben wurden, dass dieser Rückgriff ausgeschlossen bleiben soll.

Probleme mit fehlender Wettbewerbsfähigkeit und drohender Überschuldung gibt es aber in der Eurozone trotzdem – und zwar in dramatischem Umfang. Die Frage ist noch immer unbeantwortet, wie diese Probleme denn nun wirklich gelöst werden sollen.

Kein Ausgleichssystem in Europa

Die Hoffnung der Euro-Idealisten, das alles werde sich letztlich einmal genauso fügen wie bei der deutsch-deutschen Währungsunion, ist längst vom Tisch. Bei der deutschen Einheit war die gemeinsame Währung ja nur ein Zwischenschritt zu einer vollen politischen Union gewesen. In deren Rahmen wurden - und werden - die Schieflagen einzelner Regionen ständig über solidarische Transfers aufgefangen. Das Ausgleichssystem reicht von den Sozialkassen bis zum Länderfinanzausgleich und besonderen Entschuldungshilfen des Bundes.

In Europa gibt es nichts Vergleichbares, und es gibt auch keinen Willen mehr, rasch zu einer politischen Union voranzuschreiten. Die Lösungsstrategie der vergangenen Jahre bestand deshalb in einer brachialen Rosskur der Krisenländer, die im Gegenzug von ihren starken Euro-Partnern gerade immer so viel Unterstützung erhielten, dass ein totaler Kollaps verhindert wurde.

Das war in Teilen recht erfolgreich und trägt inzwischen sichtbare Früchte, etwa in Form des kräftig wachsenden Exports aus Spanien. Allerdings sind auch die politischen und ökonomischen Grenzen dieser Strategie mittlerweile zu sehen: Die Austeritäts- und Reformpolitik führt zunächst einmal zu scharfen Konjunktureinbrüchen und sie drückt Löhne und Preise.

Wenn die Inflation in Deutschland sehr niedrig ist, müssen die Krisenländer sogar eine Deflation erzwingen, um konkurrenzfähiger zu werden.

Zweifel an Italien

Das Problem der Schulden wird in diesem Anpassungsprozess noch verschärft. Relativ zur Wirtschaftsleistung des Landes ist etwa der Schuldenstand Griechenlands – trotz eines zwischenzeitlichen Schuldenschnitts – längst schon wieder so hoch, dass demnächst ein neuer Schuldenerlass ausgehandelt werden muss.

Im Fall Italien rechnen die Ökonomen hin und her, ob das Land auf Dauer noch in der Lage sein wird, seinen Staatsschuldenberg zu tragen. Die Zweifel daran sind beträchlich. Klar ist, dass Italien ein deutlich höheres nominales (!) Wirtschaftswachstum benötigt. Mehr Inflation wäre da äußerst hilfreich - ein stabiles oder gar sinkendes Preisniveau könnte hingegen in eine gigantische Schuldenkrise führen. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone und - in absoluten Zahlen gerechnet – einer der größten Staatsschuldner der Welt.

Die politischen Anreize, eine etwas höhere Geldentwertung anzustreben, sind also nach wie vor da. Die ökonomischen Argumente für mehr Teuerung werden international – etwa beim IWF - breit diskutiert.

Die Frage ist nur, zu welchen Schritten die EZB bereit ist. Und in welchem Maß sie tatsächlich heute in der Lage ist, Inflation herbeizuführen. Das Beispiel Japan zeigt, dass es Situationen geben kann, in denen es einer Notenbank auch bei größter Anstrengung nicht gelingt, die Verbraucherpreise ans Laufen zu bringen.

Wenn die große Inflation ausbleibt – wofür heute vieles spricht –, dann wird das Schuldenproblem letztlich eben auf andere Art gelöst werden. Das politisch naheliegende Instrument ist eine kräftige Vermögensbesteuerung, mit der sich die Lasten sehr viel gezielter verteilen lassen als mit einer allgemeinen Geldentwertung.

Eine Steuer auf Privatvermögen sei „sozusagen die zivilisierte Form der Inflation“, hat Thomas Piketty, der neue Star-Ökonom und Vordenker der Linken, im Capital-Interview (Ausgabe 06/2014) gesagt.

Mancher, der sich heute über die ausbleibende Inflation freut, freut sich wahrscheinlich ein bisschen zu früh.

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