Die Handelsgespräche der letzten Jahre galten in der Regel als Treffen, die in gedämpfter Atmosphäre stattfanden und nirgendwo hinführten. Und tatsächlich: Wer am vergangenen Samstag zur Abschlussitzung des Ministertreffens der Welthandelsorganisation WTO in Bali kam, den erwartete zunächst einmal ehrfurchtsvolle Stille. Da saßen Hunderte von Delegierten in geordneten Reihen und lauschten Reden, die nur über Kopfhörer übertragen wurden.
Dann aber beendete der indonesische Handelsminister Gita Wirjawan die Debatte mit dem emphatischen Satz "It is so agreed" - und der Saal brach in Jubel, Umarmungen und Freudentränen aus. Und dafür gab es einen guten Grund: Zum ersten Mal in der 18-jährigen Geschichte der WTO hatten es die 159 Mitglieder tatsächlich geschafft, sich auf etwas zu einigen.
Nüchtern betrachtet bestand die Einigung vom Samstag aus einem vergleichsweise unspektakulären Maßnahmenpaket, das Unternehmen dabei helfen soll, ihre Produkte einfacher in andere Länder auszuführen. Um die Balance zu halten, beinhaltet der Deal natürlich Zugeständnisse an die Entwicklungsländer: Hilfen für arme Staaten, damit diese die neuen Regeln einhalten können. Das Versprechen, die WTO-Vorgaben zum Thema Landwirtschaft so rasch wie möglich zu ändern, damit staatliche Nahrungsmittelprogramme möglich werden. Und mehrere Zusagen, die armen Volkswirtschaften dabei zu unterstützen, dass sie mit ihren Exporten Zugang zu anderen Märkten erhalten.
Das Prinzip Wettbewerb
Die wahre Bedeutung der Einigung von Bali aber lag in ihrem symbolischen Wert: Gerade jetzt, da viele Industrieländer sich aus Frust über die endlos stockende Doha-Welthandelsrunde in bilaterale Abkommen flüchten, meldet die WTO sich zurück. „In den vergangenen Wochen ist die WTO zum Leben erwacht“, sagte Roberto Azevedo, der seit September amtierende brasilianische Generaldirektor der Organisation, in seiner Abschlussrede.
Für diese Entwicklung gibt es vor allem zwei zentrale Gründe. Zum einen wirkt schlicht einfach das Prinzip Wettbewerb. Der Deal von Bali entspringt auch der Furcht vieler großer aufstrebender Volkswirtschaften, ins Hintertreffen zu geraten. Die USA und die EU verhandeln bereits über ein transatlantisches Handelsabkommen, einen Giganten seiner Art. Die USA, Japan und zehn weitere Pazifik-Anrainer stehen kurz vor einem Abkommen über transpazifische Partnerschaft. Darüber hinaus ist keine der aufstrebenden Volkswirtschaften bisher an dem Vorhaben von USA und EU beteiligt, die veralteten Regeln für den Handel mit Dienstleistungen zu überarbeiten. Immerhin ist dies angesichts der Art, wie heutzutage Geschäfte gemacht werden, eines der interessantesten Felder.
China ist so wichtig für die Weltwirtschaft, dass es in Handelsfragen zwangsläufig immer ein gewichtiges Wort mitreden wird. Das Land hat sogar schon begonnen, sich aktiver in die Verhandlungen außerhalb der WTO einzumischen. Doch für die ärmsten Staaten der Welt und Newcomer wie Brasilien, Indien, Indonesien, Nigeria, Russland und Südafrika ist die WTO einfach das beste Forum, um sich Gehör zu verschaffen. Wer bei regionalen Bündnissen außen vor gelassen wird, hat ein Problem, und der beste Weg, dem zu begegnen, liegt in einer wiederbelebten WTO.
Azevedos Verdienste
Der zweite Grund für die Wiedergeburt der WTO hat mit der Bedeutung von Einzelpersonen zu tun. Der wahre Held von Bali war Roberto Azevedo. Als er zum Nachfolger von Pascal Lamy gewählt wurde, kam die Frage auf, ob Azevedo nicht zu sehr Genfer Insider sei - immerhin war er zu der Zeit WTO-Botschafter Brasiliens. Auch wurde bezweifelt, ob Azevedo als Kandidat der Entwicklungsländer auch mit EU und USA zurecht käme, die beide seine Bewerbung nicht unterstützt hatten.
Doch Azevedo hat seit seinem Start im September mehr Energie und Disziplin in die WTO gebracht. Dem Deal von Bali gingen Wochen nächtelanger Verhandlungen voraus, denen Azevedo eine strikte Regel verpasst hatte: Keine Einlassung dürfte länger als 60 Sekunden dauern. Aber der Brasilianer hat sich auch bemüht, den altbekannten Verdacht auszuräumen, dass die eigentlichen Deals in der WTO im Hinterzimmer zwischen den großen Tieren wie der EU und den USA gemacht werden. In jeder Rede betonte er sein Interesse daran, alle Akteure einzubinden. "Wir haben die Welt zurück in die Welthandelsorganisation gebracht", sagte er am Samstag. "Darauf bin ich sehr stolz."
Die große Frage ist nun, ob Azevedo nach seinem Start in Bali auch die nächsthöhere Hürde schafft. Es ist eine Sache, eine Einigung in Bali auf den Weg zu bringen. Darauf aber aufzubauen und die WTO wieder an die vorderste Front zu bringen kommt einer Sisyphus-Arbeit gleich. Es wird eine Menge Ausdauer erfordern.
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