Wir alle haben unsere Vorurteile, egal wie intelligent wir sind. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass Eliten sich seltener von ihren Vorurteilen lösen als Normalbürger. Das liegt wahrscheinlich daran, weil sie glauben, sie seien besser ausgebildet und informiert als die breite Masse, was durchaus stimmen mag. Doch viele Mitglieder der Elite wurden vom Brexit und vom Aufstieg Donald Trumps völlig überrascht. Diese Ereignisse passten einfach nicht zum gedanklichen Konstrukt der Welt, mit dem viele von uns in den letzten Jahrzehnten vertraut waren.
Also, was ist das nächste große Ding, das der globalen Elite entgeht? Möglicherweise die Deglobalisierung. So wie viele Führungskräfte der oberen Managementebene den Aufstieg des Populismus verpasst haben, so besteht die Gefahr, dass das globale Unternehmensestablishment die Tatsache übersieht, dass sich in den USA ein Konsens zwischen Rechts- und Linksextremen um eine nationalistische Wirtschaftsagenda herum bildet. Dies erinnert in gewisser Weise an die gemeinsamen Anliegen der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega, die in Italien eine Koalition bilden.
In den USA teilen viele Anhänger des Sozialisten Bernie Sanders die Ansichten von Handelsfalken der Trump-Administration wie Peter Navarro und Robert Lighthizer, die glauben, dass sich Amerika von China lösen und eine nationale Industriepolitik betreiben sollte.
Linke und Rechte verfolgen das gleiche Ziel
Die Glaubenssysteme, die Agenda und die spezifischen politischen Rezepte dieser beiden Lager sind sehr unterschiedlich. Aber das Ziel ist das gleiche – sie wollen, dass amerikanische Unternehmen Kapital, Jobs und geistiges Eigentum im Inland halten.
Viele führende Persönlichkeiten, mit denen ich spreche, sind verblüfft über diesen Zusammenfluss der Interessen. Sie argumentieren, dass eine Entflechtung nicht möglich ist - Lieferketten seien zu komplex, der chinesische Inlandsmarkt sei zu wichtig und andere Länder könnten noch kein vergleichbares Paket an Arbeitskräften, Logistik, Infrastruktur und Lieferantennetzen anbieten.
Stimmt, und doch könnten ihre Einwände nebensächlich sein. Die arbeitnehmerfreundliche Linke versucht das unternehmensfreundliche Zentrum der Demokratischen Partei langsam aber sicher zu zerstören. Das Establishment der Demokraten würde es lieber sehen, nach Trump in die frühere Ära des Freihandels zurückzukehren
Die Zeit spielt aber für die Disruptoren, die in einer Zeit der wirtschaftlichen Zwänge, der Umweltzerstörung und der politischen Parteinahme groß geworden sind. Sie machen sich keine Sorgen um die klassische Ökonomie und es ist ihnen egal, wenn Kritiker ihre Ideen als „sozialistisch“ anprangern.
Raus aus China?
Bislang sind jüngere Wähler nicht so regelmäßig wählen gegangen wie ihre Eltern. Aber „die demografische Entwicklung ist immer noch Schicksal“, sagt Bruce Stokes vom Pew Center. „Es dauert nur länger, als man denkt.“
Unterdessen nutzen die Handelsfalken gezielt Zölle, um Unternehmen den Export aus China zu erschweren. „Lighthizer will US-Unternehmen dazu bewegen, an andere Standorte zu ziehen“, sagt Arthur Kroeber von Gavekal Dragonomics. Seine in Peking ansässige Forschungsfirma betreut Kunden, die über einen solchen Schritt nachdenken. Bisher hat allerdings noch keine Firma seinen Standort verlegt. „Vietnam ist die naheliegende Alternative, aber es gibt noch zu viele Hindernisse", sagt er. Und kein Unternehmen „will dasjenige sein, das die Hindernisse beseitigt. Sie warten, bis ein anderer den Pionier spielt, und schauen dann, ob es Sinn macht, sich ebenfalls zu bewegen.“
Wie Paare in einer schlechten Ehe hoffen viele Führungskräfte auch weiterhin auf Veränderungen, ohne dass sie etwas anderes tun müssen. In der Zwischenzeit kämpfen die herrschenden Kräfte gegen die alte Ordnung. Die neue Fassung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens zielt darauf ab, die Möglichkeiten Mexikos und Kanadas für eigene Verhandlungen mit China einzuschränken.
Die Chinesen ihrerseits versuchen die Bedeutung des US-Dollars für den Handel und die Rohstoffmärkte zu schmälern. Im März starteten sie einen auf Renminbi lautenden Ölterminmarkt. Und die Europäer suchen nach Möglichkeiten zur Umgehung des Dollar, damit sie weiterhin Öl aus dem Iran kaufen können. Kapitalverkehrsverbote von und nach den USA und China führen zu einer regionalen Fragmentierung, insbesondere im Technologiesektor.
Investoren spüren die Deglobalisierung
Der chinesische Venture-Capital-Investor Kai-Fu Lee hat eine Reihe von Investitionen in Amerika getätigt. Doch wie er vor kurzem sagte, stellt er sich darauf ein, dass künftig nicht mehr in den USA investieren zu können. Stattdessen werde er sich auf den chinesischen Markt konzentrieren.
Manager mögen es leugnen, aber Investoren spüren all dies bereits auf die angstmachende Art und Weise, die Menschen Dinge im Traum erleben lassen. Im Marktgeschehen der vergangenen Woche und der weit auseinandergehenden Entwicklung von US-Aktien und Aktien aus Schwellenländern in den letzten Monaten spiegelt sich die tiefgreifende Unsicherheit wegen der nationalistische Politik wider. Schließlich begann das Auseinanderdriften etwa zur gleichen Zeit, als die USA das iranische Atomabkommen aufkündigten, Populisten in Italien die Wahlen gewannen und die Handelsspannungen zwischen den USA und China zunahmen.
Trump könnte einen Weg suchen, um ein symbolträchtiges Abkommen mit China abzuschließen, das die wachsenden Handelsspannungen zwischen den beiden Ländern entschärft. Er müsste zuvor zu der Erkenntnis gelangen, dass ein Abkommen seinem Ansehen nützt. Die starke Abwertung des Renminbi in den letzten Monaten deutet darauf hin, dass Peking den Boden dafür bereitet.
Aber ein solches Abkommen wäre nur eine Finte vor den Kongresswahlen im November. Die grundlegenden Impulse gehen nicht verloren: Das Spiel der jungen Sozialisten und der alten Handelsfalken ist langfristig angelegt. Die Wirtschaftselite täuscht sich selbst, wenn sie nicht aufpasst.
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