Alle warten sehnsüchtig darauf, dass die Bänder in Wolfsburg, Ingolstadt, München oder Sindelfingen wieder anlaufen. Nicht nur die Manager und Beschäftigten bei VW, Audi, BMW oder Daimler selbst, sondern Zehntausende von Angestellten und Arbeitern in den Zuliefererbetrieben. Auch die Ökonomen, die Börsenanalysten und die Politiker warten auf das Zeichen der Rückkehr zur Normalität. Selbst für die Bundeskanzlerin ist der Produktionsstart in den deutschen Autowerken Chefsache.
Für die deutsche Volkswirtschaft, in der jeder siebte Arbeitsplatz direkt oder indirekt am Automobil hängt, geht es beim Wiederanlaufen der Bänder tatsächlich um sehr viel. Doch noch wichtiger als die Angebotsseite ist die Nachfrageseite: Wann und in welcher Stückzahl werden die Kunden weltweit wieder deutsche Autos kaufen?
Kurzfristig spülen das Anlaufen der Produktion und die Wiederöffnung der Autohäuser auf jeden Fall wieder Geld in die leeren Kassen der Autohersteller. Viele Autos sind bereits verkauft, aber stehen auf den Sammelparkplätzen herum, weil sie in den letzten Wochen niemand zulassen und ausliefern konnte. Vor allem die Modelle mit langen Lieferzeiten sind zum Teil zwar bereits fest bestellt,aber noch gar nicht produziert. Der mehrfache Nachholeffekt bringt erst einmal Schwung in die Industrie – aber hält nicht sehr lange.
Autohersteller müssen mit Kaufzurückhaltung rechnen
Die Kardinalfrage ist: Wann entschließen sich die Kunden, ein Fahrzeug neu zu bestellen? Für die meisten Privatkäufer gehört die Anschaffung eines Pkws zu den ganz großen Investitionsentscheidungen, die man nicht leichtfertig fällt, schon gar nicht in unsicheren Zeiten. Wer genug Geld auf der hohen Kante hat, aber in diesen Wochen um seinen Job fürchtet, dürfte die Bestellung erst einmal nach hinten schieben. Und auch bei den sehr wichtigen Flottenverkäufen an große Unternehmen und Mietwagenketten dürften die Autohersteller erst einmal Zurückhaltung spüren. Alle Firmen halten ihr Geld in diesen Zeiten zusammen und manche Branchen wie der Einzelhandel fallen möglicherweise auf sehr lange Zeit als Käufer aus.
Nun werden die Autohersteller alles tun, um die Kunden in die Showrooms zu locken, sobald die Autohäuser wieder öffnen. Man kann mit einer brutalen Rabattschlacht rechnen. Was gut ist für die Kunden, ist aber schlecht für die Autoindustrie und ihre Zulieferer. Die Margen werden erst einmal kräftig sinken. Die neue Normalität der Schlüsselindustrie dürfte nicht nur dieses Jahr, sondern auch noch im nächsten Jahr ganz anders aussehen als die Lage vor der Corona-Krise. Die Hersteller müssen mit niedrigeren Stückzahlen und damit also auch höheren Kosten fertig werden. Und das bei weiterhin sehr hohen Investitionen für den Übergang zur Elektromobilität.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich die Konzentration in der Autoindustrie deshalb weiter verstärken. Kleine Autohersteller und Konzerne mit schwachem Eigenkapital haben es noch schwerer zu überleben als die ganz großen. Spannend wird es vor allem in der Volksrepublik China, wo die deutschen Konzerne schon jetzt eine Wiederbelebung des Marktes erleben. Gerade dort aber tummeln sich in zwischen Dutzende von neuen, kleineren Herstellern, die um ihr Überleben kämpfen. Und weil in China eben am Ende alles an den Entscheidungen des Staates hängt, wird man abwarten müssen, was dort geschieht. Ein Selbstläufer für Daimler und Co. wird es in den nächsten Monaten auch dort nicht sein.
Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.