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Bernd Ziesemer Die Industrie wendet sich nach Westen

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Die USA ziehen verstärkt Investoren an, China verliert an Attraktivität. Die Welt erlebt die größte geopolitische Wende seit Jahrzehnten

Als Deng Xiaoping Ende 1978 auf der inzwischen berühmten 3. Plenartagung des 11. Zentralkomitees der KP Chinas die Weichen für wirtschaftliche Reformen und die Öffnung des Landes stellte, setzte sich ein Zug von Investoren nach Osten in Bewegung, der die gesamte Weltwirtschaft erst langsam und dann immer schneller veränderte. Ohne Kapital und Know-how aus dem Ausland wäre Chinas Aufstieg nicht möglich gewesen. Die ausländischen Direktinvestitionen im Land summieren sich mittlerweile auf 2 Billionen Dollar. Doch der Trend könnte sich langsam, aber sicher drehen. Die Industrie wendet sich erstmals seit Jahrzehnten mit voller Kraft nach Westen, während China aus vielen Gründen mehr und mehr an Attraktivität verliert für Investoren. Verstetigt sich diese Entwicklung, erleben wir die größte Wende der Weltwirtschaft seit 1978.

Vordergründig sind es die gewaltigen Subventionsprogramme von Präsident Joe Biden, die viele Industrien aus Europa und aller Welt anlocken. Allein mit dem Chips Act vom August 2022 pumpt die Regierung 280 Mrd. Dollar in die strategisch wichtigste Schlüsselbranche der Welt: die Halbleiterfertigung. Gleichzeitig schneiden die USA China aus Sicherheitsgründen von den neusten Entwicklungen der Chip-Technologie ab und verstärken damit noch den Zug nach Westen. Viele deutsche Manager jammern darüber, aber stellen sich trotzdem darauf ein. Nie ventilierten deutsche Konzerne so viele neue Projekte in den USA wie heute, nie war die Vorsicht in China größer als heute.

China trägt jedoch selbst die größte Schuld für seine sinkende Anziehungskraft als Investitionsstandort. Xi Jinping verfolgt ein ganz anderes Programm als Deng. Seine aggressive Außenpolitik, die Drohungen gegen Taiwan, die Unterstützung Wladimir Putins, der Bruch internationaler Verträge in Hongkong, die militärische Aufrüstung, die hermetische Abriegelung des Landes von „gefährlichen“ Informationen geben immer mehr westlichen Unternehmen zu denken. Der Diktator hat die Ansätze von unabhängiger Gerichtsbarkeit, die seine Vorgänger zumindest jenseits politischer Machtfragen eingeführt hatten, Schritt für Schritt wieder beseitigt.

China verprellt ausländische Investoren

Der Druck auf westliche Konzerne wächst, man verlangt von ihnen selbst in unbedeutendsten Dingen politisches Wohlverhalten. Der Zugang zu wirtschaftlichen Informationen wird immer schwieriger, die für Geschäfte notwendige Transparenz schwindet. Und chinesische Geschäftspartner westlicher Unternehmen können jederzeit ohne jede Vorwarnung plötzlich vom Bildschirm verschwinden. Das alles fördert nicht die Bereitschaft, weiter Kapital nach China zu bringen.

Natürlich lockt der gewaltige chinesische Markt weiter. Niemand verzichtet leichten Herzens auf große Gewinnchancen, die China immer noch eröffnet. Einige CEOs westlicher Konzerne haben deshalb für sich selbst beschlossen, die Augen einfach zu verschließen und die neue Realität in China einfach zu ignorieren. Vielen anderen aber fällt es jetzt viel leichter als noch vor zwei, drei Jahren, neue Projekte in China zu überdenken und stattdessen nach Westen zu schauen.  

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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