Der Reiseverkehr springt wieder an und auch China hebt die letzten verbliebenen Covid-Beschränkungen auf, doch ausgerechnet jetzt wird allmählich deutlich: Es mangelt weltweit an Flugzeugen.
Zwar haben Fluggesellschaften von United Airlines bis Air India hunderte Jets bestellt beziehungsweise wollen sie bestellen. Die Hersteller Boeing und Airbus können daher mit zahlreichen Blockbuster-Geschäften aufwarten. Doch aufgrund von Lieferengpässen werden diese Flugzeuge möglicherweise erst in einigen Jahren ausgeliefert – Jefferies schätzt, dass es derzeit einen Auftragsbestand von 12.720 Maschinen gibt.
All das bedeutet, dass die hohen Flugpreise, über die sich viele Menschen in den letzten Monaten heftig beklagt haben, nicht verschwinden. Es könnte zunächst sogar noch schlimmer werden.
„Die Menschen haben sich während der Pandemie an niedrigere Flugpreise gewöhnt, und Chinas Öffnung wird die Situation noch verschlechtern“, sagt Ajay Awtaney, Gründer der Vielflieger-Website LiveFromALounge.com. „Es geht nicht nur um den Mangel an Flugzeugen, sondern auch um andere Faktoren wie die Ölpreise.“
Lieferkettenprobleme bei Boeing und Airbus
Die Flugzeuggiganten Boeing und Airbus, die weitgehend ein Duopol bei Passagierflugzeugen haben, sind bei ihren beliebtesten Single-Aisle-Modellen bis mindestens 2029 ausverkauft. Die Nachfrage der Fluggesellschaften, die auch ihre veralteten Flotten erneuern wollen, trifft bei den Herstellern auf Probleme in den Lieferketten – von der Beschaffung der erforderlichen Komponenten bis hin zum Mangel an Arbeitskräften. Airbus hat Anfang des Monats sein Auslieferungsziel von 700 Flugzeugen in diesem Jahr unter Hinweis auf Lieferkettenprobleme aufgegeben und bereits früher davor gewarnt, dass ein sprunghafter Anstieg der Energiekosten vor allem kleinere, energieintensive Hersteller wie die Guss- und Schmiedeteilehersteller hart treffen wird.
Air-Lease-Gründer Steve Udvar-Hazy sagt, dass jeder Jet in den letzten zwei Jahren verspätet ausgeliefert worden sei. Air Lease ist einer der größten Leasinggeber der Welt. „Wir haben kein einziges Flugzeug pünktlich bekommen, egal ob es sich um eine 737 Max oder eine 787 oder eine A330 oder A350 handelt“, sagt Udvar-Hazy. „Und am schlimmsten war es bei der A321neo. Wir hatten Verspätungen von bis zu sechs oder sieben Monaten, wenn man den vertraglichen Liefermonat mit der tatsächlichen Auslieferung vergleicht. Das liegt an einer Kombination aus Problemen in den Lieferketten, einem zu schnellen Hochfahren der Produktion und einem Mangel an Arbeitskräften. Die Produktionsmitarbeiter können nicht von zu Hause aus arbeiten. Das ist ein echtes Problem gewesen.“
Auch Tausende von Flugzeugen, die die Fluggesellschaften während der Pandemie in Wüsten auf der ganzen Welt abgestellt haben, tragen zu dem Mangel bei. Hunderte von ihnen wurden nicht wieder in die Flotten aufgenommen, entweder weil sie nach so langer Zeit des Stillstands dringend gewartet werden müssen oder weil die Fluggesellschaften sie aus dem Verkehr ziehen wollen, weshalb sie in den Flugplänen nicht mehr berücksichtigt wurden.
Das Ergebnis für die Fluggäste sind horrende Flugpreise, die noch weiter steigen könnten, wenn Geschäftsreisen wieder zunehmen und sich mehr Menschen zum ersten Mal seit Jahren einen Urlaub im Ausland gönnen wollen. Das könnte bedeuten, dass man auf ältere Maschinen zurückgreift.
Längere Nutzungsdauer
„Als letzten Ausweg können wir uns vorstellen, dass die Fluggesellschaften die Nutzungszyklen verlängern“, sagt Sunny Xi von der Beratungsfirma Oliver Wyman in Singapur. Die Fluggesellschaften in Asien planen ihre Flotten traditionell in Zwölf-Jahres-Zyklen, was weniger ist als in den meisten anderen Regionen. Aber im Zuge der Umstrukturierungen, die die Fluggesellschaften in den letzten Jahren durchliefen, „haben mehrere Fluggesellschaften ihre Flottennutzung verlängert und könnten dies auch in Zukunft tun“, sagt er.
Für Boeing und Airbus ist die rechtzeitige Auslieferung der verkauften Flugzeuge jetzt das Problem Nummer eins. Angesichts eines Auftragsbestands von mehr als 6100 Maschinen der A320neo-Familie, dessen Abarbeitung acht Jahre dauern würde, sieht sich Airbus bereits jetzt mit einer Zurückhaltung der Fluggesellschaften bei der Erteilung neuer Aufträge konfrontiert. Das Unternehmen hatte lange Zeit geplant, die Produktion auf bis zu 75 A320-Jets pro Monat hochzufahren, dieses Ziel nun aber auf die Mitte des Jahrzehnts verschoben.
Aktionäre von Boeing – das in diesem Jahr rund 850 Bruttoaufträge meldete, darunter ein Auftrag von United Airlines von Mitte Dezember – sind inzwischen besorgt über die langsamen Fortschritte, die der US-Flugzeughersteller bei der Behebung Lieferkettenproblemen und der Beschleunigung der Produktion in seinen Fabriken gemacht hat, so RBC-Analyst Ken Herbert.
Der einzige Lichtblick? Die Beschäftigten in diesem Sektor werden wahrscheinlich nicht so bald entlassen. „Die Auftragsbestände sind groß genug, dass eine Rezession im Moment keine Rolle spielen würde“, sagt George Ferguson, Analyst bei Bloomberg Intelligence. „Die Hersteller und Fluggesellschaften werden ihre Mitarbeiter auch bei kleineren Turbulenzen halten.“
Mitarbeit von Julie Johnsson und Siddharth Philip
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