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Gastbeitrag Die 12-Billionen-Dollar-Opportunität – und wie wir sie erreichen

Leere Autobahn im Ruhrgebiet während des Shutdowns: Die Umwelt konnte aber nur kurz durchatmen
Leere Autobahn im Ruhrgebiet während des Shutdowns: Die Umwelt konnte aber nur kurz durchatmen
© IMAGO / blickwinkel
Zurück zur Wachstumsdoktrin? Sebastian Stricker und Philip-Nicolas Schaaf warnen in ihrem Gastbeitrag vor einer Rückkehr zu dieser Art von Normalität. Sie fordern eine neue sozial und ökologisch vertretbare Ökonomie

Vielleicht finden Sie sich hier wieder: Wenn Sie dieser Tage zum Telefon greifen und ein*e Geschäftspartner*in fragen, wie es ihr oder ihm aktuell denn so ergeht, ob alles wieder gut anlaufe, kommt gerade erstaunlich häufig die Antwort zurück: „Ja, es ist wirklich viel zu tun!“. Es scheint, als würde ein frischer Wind durch die Geschäftswelt wehen. Diese neuerliche Geschäftigkeit um uns herum löst ein Gefühl aus – dass es trotz prognostizierter Weltwirtschaftskrise und steigender Corona-Fallzahlen schon irgendwie weitergehen, dass „alles gut” werden wird.

Und doch lässt diese Betrachtungsweise, die unseren existentiellen Wunsch nach der Rückkehr zu der Normalität, wie wir sie kennen und an die wir als Gesellschaft unseren Wohlstand gekoppelt haben, so viele und so vieles außen vor. Man denke an all jene, die dieses Gedankenspiel ausschließt – etwa Menschen, die während der Krise ihre Arbeit verloren haben. Ihre Zahl könnte in diesem Jahr die Marke von drei Millionen knapp erreichen.

Wir wissen, dass Personen mit niedrigem sozialem Status stärker von gesundheitlichen Folgen betroffen sind und die soziale Ungleichheit durch die Schließung von Schulen verstärkt wird. Bei allen Zeichen des Zusammenhalts, die während der ersten Monate der Pandemie gesendet wurden, sind dies traurige Fakten. Und da haben wir noch nicht einmal das globale Level betrachtet. Alleine in diesem Jahr können 86 Millionen zusätzliche Kinder in Armut geraten . Die Zahl der Hungernden könnte sich sogar verdoppeln .

Die Umwelt hat zu wenig Zeit zur Regeneration

Es ist ein düsteres Bild, das das Gefühl des „alles wird gut“ schnell wieder trübt. Denn eigentlich wissen wir, dass jene viel proklamierten Verlierer der Pandemie nur die Spitze eines Eisbergs sind, dessen enorme Ausmaße eigentlich schon lange nicht mehr in Untiefen schwimmen. Während die Gründe mannigfaltig sind, ist es doch immer wieder der eine große Fehler: Wir geben dem Naturkapital und Umweltressourcen in weltwirtschaftlichen Betrachtungen eine viel zu untergeordnete Rolle. Der kurze Schwenk, als aufgrund des Lockdowns gezwungenermaßen der Smog aus den Städten wich, war nicht von langer Dauer.

Wir beweisen gerade wieder, dass wir nicht bereit sind, der Umwelt Zeit zur Regeneration zu geben – und auch uns selbst und der Wirtschaft nicht. Die Meinung, das Streben nach exponentiellem Wachstum sei die einzig immerwährende Leitplanke, ist zu tief verfestigt. Dabei hält sie nicht mehr. Unsere Unfähigkeit, soziale und ökologische Probleme zu lösen, führt zu einem Mangel an Vertrauen in Politik und Wirtschaft und spaltet vielerorts die Menschen. Die nötigen Investitionen und Lösungen werden nicht aufgebracht und schon lange reicht es nicht mehr aus, die Verantwortung in die Hände des sozialen Sektors zu legen. Während es generell eines holistischen Ansatzes bedarf, stehen hier auch ganz pragmatisch nicht genügend Mittel zur Lösung aller Probleme zur Verfügung.

Wir müssen uns daher fragen, wo diese Ressourcen zum Skalieren von Lösungen generiert werden und wer daran beteiligt ist. Tatsächlich wird der größte Teil durch Unternehmen geschaffen, wenn diese Wert schöpfen. Sie tun das aus dem Bedürfnis heraus, Gewinne zu erwirtschaften, doch von ihren Abgaben können Staaten soziale Zwecke unterstützen – und spätestens durch den öffentlichen Druck investieren Unternehmen selbst oft einen Teil in CSR-Maßnahmen. Wertschöpfung ist also die „magische Formel“: Wenn wir Gewinne erzielen, können wir Ressourcen schaffen, um die Welt besser zu machen. Wir können skalieren. Nun müssen wir uns „nur“ dafür entscheiden. Und das ist der große Shift, den wir machen müssen.

Dass diese Investitionen jedoch nicht nur im Einklang mit ökologischen und sozialen Bemühungen stehen, sondern auch die monetäre Wertschöpfung ankurbeln können, zeigen aktuelle Entwicklungen. Soziale Unternehmen beweisen, dass sich Gewinne erwirtschaften lassen, indem soziale Probleme gelöst werden. Entscheider*innen großer Unternehmen, die sich durch nachhaltige Richtungsentscheidungen hervorheben, bekommen positives Feedback durch die Öffentlichkeit. Unternehmen, die besonders nachhaltig handeln, fahren Studien zufolge heute schon zum Teil deutlich höhere Bruttomargen ein und können eine höhere Bewertung erzielen, als Konkurrenten ohne CSR-Fokus. Und das Erreichen der 17 Ziele der Agenda 2030 würde Schätzungen zufolge Marktmöglichkeiten von 12 Billionen Dollar eröffnen.

Eine Opportunität, die wir in der aktuellen Situation leichter denn je nutzen können. Sie liefert eine neue Art von Wachstumsbestrebungen, die über rein finanzielles Wachstum hinausgeht. Schafft den Anreiz, unsere globale Lebensqualität und Gesundheit zu verbessern, soziale Problem zu lösen und den Bestand eines Planeten, der noch viele Generationen überdauern soll. Die Nach- und Neubeben der weltweiten Pandemie geben uns gerade einen Eindruck davon, was Unsicherheit bedeutet. Wir merken, wie bequem wir es uns gemacht hatten. Es ist Zeit, die Ungemütlichkeit dieses neuen Lebensgefühls zu akzeptieren und daraus etwas Gutes und etwas Großes zu machen, nicht zuletzt uns selbst und unserer Wirtschaft zuliebe.

Sebastian Stricker ist Gründer und CEO von Share. Philip-Nicolas Schaaf ist Head of Category Management bei der Deutschen Bahn.

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