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Studie Deutschland ist nicht sonderlich abhängig von China

Eine chinesische und eine deutsche Flagge wehen im Wind
Wie abhängig ist Deutschland von China?
© IMAGO / photothek
Politik und Unternehmen diskutieren derzeit lebhaft darüber, wie die wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduziert werden kann. Nun ist eine Studie zu dem überraschenden Schluss gekommen: So groß ist diese Abhängigkeit gar nicht

Dieser Artikel liegt Capital.de im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Europe.Table am 21. April 2023.

Deutschlands Wirtschaft ist nach Erkenntnissen einer neuen Studie in den meisten Branchen weit weniger von China abhängig als gemeinhin angenommen. Das ist das Fazit einer von der Bertelsmann Stiftung, dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW), dem China-Institut Merics und dem BDI am Donnerstag veröffentlichten Studie. Diese hat die Gewinnsituation deutscher Unternehmen in China – nach eigenen Angaben zum ersten Mal überhaupt – systematisch untersucht, inklusive Sonderauswertungen von Bundesbank-Daten.

Aus den Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in China flossen demnach zwischen 2017 und 2021 jährlich Gewinne in Höhe von sieben bis 11 Mrd. Euro nach Deutschland zurück. Damit liegt Chinas Bedeutung mit einem Anteil von zwölf bis 16 Prozent an den Gewinnrückflüssen der Firmen aus dem gesamten Ausland in etwa gleichauf mit den USA. Der Anteil der EU war mit durchschnittlich 56 Prozent allerdings deutlich höher.

Keine kritische Abhängigkeit

Die Volksrepublik spiele als Zielort von Direktinvestitionen im Ausland trotz wachsender Bedeutung nach wie vor eine relativ untergeordnete Rolle im Vergleich zur EU, schreiben die Autoren. Eine kritische volkswirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China gebe es nicht. Das ist eine ziemlich überraschende Schlussfolgerung angesichts der aufgeregten Debatte über eine zu große Abhängigkeit von China.

Die Autoren sehen ihre Erkenntnisse durchaus als Signal der Entwarnung. Laut der Studie entfielen 2020 mit rund 90 Mrd. Euro nur 6,8 Prozent deutscher Direktinvestitionen im Ausland auf China – im Vergleich zu 34 Prozent auf die EU inklusive Großbritannien und 27 Prozent auf die USA.

Im Folgenden einige der wichtigsten Erkenntnisse der Studie:

  • Der Bestand deutscher Direktinvestitionen (FDI) in China hat sich zwischen 2010 und 2020 von 29 Mrd. Euro auf knapp 90 Mrd. Euro mehr als verdreifacht.
  • Vor allem das verarbeitende Gewerbe investiert in China – allen voran die Automobilindustrie. Sie hat mit 30 Prozent den mit Abstand größten Anteil an den kumulierten deutschen Direktinvestitionen in China.
  • Investitionen in China sind aufgrund hoher Margen besonders lukrativ: Knapp sieben Prozent der deutschen FDI-Bestände entfallen auf China. Aber es stammen 12 bis 16 Prozent der Gewinnrückflüsse aus ausländischen Standorten deutscher Firmen aus der Volksrepublik.
  • Die jährlich in die Volksrepublik fließenden deutschen FDI finanzieren sich zunehmend aus den von bestehenden China-Standorten erzielten Gewinnen. „Kapital fließt also nicht im großen Stil von Deutschland nach China“, erkärt Friedolin Strack, Leiter der Abteilung Internationale Märkte im BDI.
  • Bei einzelnen Großunternehmen befürchten die Autoren aber durchaus kritische Abhängigkeiten. Sie bemängeln in diesem Zusammenhang die dünne Informationslage über firmenspezifische geopolitische Klumpenrisiken.

China: Abhängigkeit vor allem bei Großkonzernen

Vor allem Großkonzerne wie Volkswagen, Mercedes-Benz, BMW oder BASF sind es, die ungeachtet der China-Diskussion in Europa ungebremst weiter dort investieren. VW bezeichnet China seit Jahren als „zweiten Heimatmarkt“; BASF errichtet derzeit einen großen Verbundstandort in Südchina.

„Hier braucht es mehr Transparenz, auch auf der Ebene besonders in China exponierter deutscher Firmen“, fordert Jürgen Matthes, Leiter der Abteilung Globale und regionale Märkte am IW. „Investoren und Anleger sollten ein Interesse haben, mehr über solche Klumpenrisiken zu erfahren.“ Es sei „im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland, dass betroffene Großunternehmen ihre eigene Existenz auch gegen geopolitische Worst-Case-Szenarien (wie etwa eine Invasion Taiwans durch China) absichern“, warnen die Autoren in der Studie.

Investitionen statt Ausfuhren schlecht für Deutschland

Doch der Investitionsfluss könnte sich sogar noch einmal erhöhen. Eine deutliche Mehrheit der im Rahmen der Studie befragten Firmen will bis 2030 Exporte aus Deutschland durch Produktionen vor Ort ersetzen. Der Trend ist bekannt – damit folgen die Unternehmen unter anderem chinesischen Forderungen nach mehr Lokalisierung.

„Diese Vorhaben drohen die zukünftigen deutschen Exportperspektiven zu schwächen. Mittelfristig könnte das zulasten des Standorts Deutschland und der am Export nach China und Asien hängenden Arbeitsplätze gehen“, warnt Merics-Chefökonom Max Zenglein. Die früher gängige These, dass Investitionen in China automatisch auch dem Standort Deutschland nutzen, gelte nicht mehr zwingend.

Empfehlungen für den Umgang mit China-Investitionen

Für die Wirtschaftspolitik und die China-Strategie der Bundesregierung leiten die Autoren Empfehlungen ab. „Die neue deutsche China-Politik sollte unabhängig von einzelnen Unternehmens- und Brancheninteressen ausgerichtet werden“, sagt Cora Jungbluth, China-Expertin der Bertelsmann Stiftung. „Die Wohlstandssicherung für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland sollte im Vordergrund stehen.“

Weitere Empfehlungen der Autoren:

  • In Zukunft sei mit Blick auf China genauer zu prüfen, inwieweit Firmeninteressen von Standortinteressen divergieren könnten.
  • Auch empfehlen die Autoren die Diversifizierung von Absatz- und Beschaffungsmärkten.
  • Die Studie fordert zudem die EU zu größeren Anstrengungen bei der Identifikation und Reduktion von Abhängigkeiten in der Wertschöpfungskette auf: „Bei Seltenen Erden sind sie bekannt, in anderen Segmenten der Wertschöpfungsketten einzelner Unternehmen gibt es hingegen noch kein verlässliches Bild zu einseitigen Abhängigkeiten.“

Alle Mitgliedstaaten sollten an einem Strang ziehen, damit die EU ihr gesamtes wirtschaftliches Gewicht einbringen und China auch auf Augenhöhe begegnen könne.

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